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So war der „Tatort“ aus DortmundEin Drama von Verlust, Trauer und Versöhnung

Lesezeit 5 Minuten
Peter Faber (Jörg Hartmann) sitzt bei seinem Vater Josef Faber, der auf seiner Couch schläft.

Peter Faber (Jörg Hartmann) muss sich im neuen „Tatort“ mit seiner Kindheit auseinandersetzen.

Der neueste „Tatort“ aus Dortmund trägt den Titel „Du bleibst hier“. In einer ergreifenden Auseinandersetzung mit den Phasen der Trauer und der Überlebensschuld wird die Frage danach beantwortet, wie es weitergehen kann.

Das Ermittlerteam

Der Tod von Kriminalhauptkommissarin Martina Bönisch (Anna Schudt) hinterlässt einen von Dämonen getriebenen Peter Faber (Jörg Hartmann), der zunächst krankgeschrieben ist und in seinem Opel Manta im Wald wohnt. Dementsprechend verwildert ist auch sein äußeres Auftreten, nachdem er im letzten „Tatort“ innerlich und äußerlich aufblühte, während er sich in Bönisch verliebte.

Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) und Jan Pawlak (Rick Okon) sind ebenfalls noch sichtlich mitgenommen vom Verlust ihrer Kollegin, haben jedoch beide auch ihre eigenen Probleme, die in clever ausgearbeiteten Nebenhandlungen weiter etabliert werden. Pawlaks Ehefrau sitzt aufgrund einer Drogensucht im Gefängnis, was sich auf die psychische Gesundheit ihrer gemeinsamen Tochter Mia (Jana Giesel) auswirkt. Herzog wird im Laufe des „Tatort“ immer wieder mit der kriminellen Vergangenheit ihrer Mutter konfrontiert, über die man aber bis auf wenige mysteriöse Hinweise noch nichts erfährt.

Der Fall

Keine Leiche, viel Blut und viele Fragen. Die Kommissare Jan Pawlak und Rosa Herzog stehen im Dortmunder Westpark zunächst vor einer großen Blutlache. Vermisst werden zwei Personen: Andreas Richter ist Chef einer Dortmunder Immobilienfirma, der sich mit seinem Geschäftsmodell in den letzten Jahren etliche Feinde gemacht hat. Er kauft Immobilien im Kreuzviertel auf und verwandelt Mietwohnungen in Luxusobjekte, die sich Normalverbraucher nicht mehr leisten können. Er hat bereits mehrere Drohbriefe und -mails erhalten.

Privat lässt er sich gerade von seiner Frau Natalja (Valery Tscheplanowa) scheiden, nachdem er nach 16 Jahren Ehe erfahren hat, dass der gemeinsame Sohn Jannik (Linus Moog) nicht sein Kind ist. Jannik lebt seit einem durch gepanschtes Ecstasy ausgelösten Schlaganfall mit einer halbseitigen Lähmung. Der Dealer, der Jannik damals das Ecstasy verkaufte, wird ebenfalls vermisst. Die Spur einer Drohmail an Richter führt zu einer seiner Mieterinnen, welche sich als die Nachbarin von Peter Fabers Vater herausstellt, der ebenfalls Mieter bei Richter ist.

Die Vergangenheit

Fabers Vater Josef, genannt Jupp (Wolfgang Rüter) hat schon lange keinen Kontakt mehr mit Peter. Dennoch ist er sehr stolz auf seinen Sohn und spricht vor all seinen Bekannten im Viertel über ihn. Einer davon ist Friseur Martin Engel (Andreas Schröders), der einen bekannten Salon im Viertel führt.

Im Verlauf des „Tatort“ ist Peter Faber dazu gezwungen, Kontakt mit seinem Vater aufzunehmen. Dabei findet er heraus, dass dieser seit einiger Zeit dement ist. Die Diagnose wurde gestellt, nachdem er vor einem halben Jahr eine körperliche Auseinandersetzung mit dem vermissten Dealer hatte.

Immer mehr Indizien führen zu Josef Faber, da er die Schnittstelle zwischen den beiden Vermissten bildet. Durch diesen Fall kurzzeitig wieder aus der Trauer geholt, setzt sich Peter Faber mit seiner Vergangenheit auseinander, um sich zum Ende hin mit seinem Vater zu versöhnen.

Die Trauer

Das Untersuchungstrio Pawlak, Herzog und Faber ist zu Beginn des „Tatort“ sehr zerstreut. Jeder trauert auf seine eigene Art und Weise um die Kollegin Bönisch - Faber springt aus gut zehn Metern in das Pumpspeicherbecken Herdecke, um wieder irgendetwas fühlen zu können - und versucht gleichzeitig, die eigenen Probleme in den Griff zu bekommen. Im Verlauf des „Tatort“ wachsen vor allem Rosa Herzog und Jan Pawlak zusammen und sind in schweren Momenten des Traumas füreinander da.

Als Faber nach einem Überfall auf seinen Vater wieder zurück ins Büro kommt, leitet er nach vielen Momenten unangenehmer Stille und wütender Konversation ein, dass Pawlak und Herzog mit ihm „einen auf Martina trinken gehen“ - aus dem einen werden dann natürlich ein paar zu viel.

Die verschiedenen Stadien der Trauer zeichnen sich sichtbar deutlich an Fabers äußerer Verfassung ab. Während er zu Beginn des „Tatort“ noch mit ungepflegtem, langem Haar und Bart vor sich hinvegetiert, lässt er sich zum Ende hin beides wieder im Salon von Martin Engel, dem Friseur seiner Kindheit, zurechtstutzen. Verfolgt von den letzten Worten Martina Bönischs – „Du bleibst hier“ – erkennt Faber mit fortschreitender Handlung immer mehr, warum er noch „hier“ bleiben muss: Um seinem Vater zu verzeihen und sich um ihn zu kümmern.

Die Auflösung

Zunächst liegt für alle Ermittler der Verdacht nahe, dass der demente Jupp Faber seinen kaltherzigen, geizigen Vermieter und den Dealer, der ihn bereits körperlich anging, ermordete und sich nun nicht mehr daran erinnert. Doch es stellt sich heraus, dass in Peters Abwesenheit der Friseur Martin Engel viel Zeit mit Jupp verbracht hat und für ihn wie ein Sohn war.

Daher wollte sich Martin für Jupp einsetzen und konfrontierte den Dealer. Dabei wurde dieser handgreiflich, Martin schlug zurück und immer weiter zu. Da es ihm gelang, die Leiche sorgfältig zu entsorgen, beging er die gleiche Tat mit dem Immobilienhai Andreas Richter, als dieser drohte, seinen Salon aufzukaufen. Das alles gesteht Martin friedlich bei einem Haarschnitt Peter Faber, für den der Fall bereits klar ist.

Fazit

Der Abschied von Martina Bönisch fiel nicht nur Zuschauerinnen und Zuschauern sehr schwer. Im gesamten „Tatort“ wirkt eine Leere nach, die die drei Hauptermittler nicht füllen können. Diese Leere wird untermalt mit dunkler, atmosphärischer Synthesizer-Musik, die die trübe Atmosphäre in den Köpfen der Hauptcharaktere widerspiegelt. Erst während Peter Fabers Konfrontation mit Erinnerungen aus Kindheitstagen wird auch die musikalische Untermalung freundlicher, etwa mit sphärischer Rock-Musik aus den späten 60ern.

Es gelingt Regisseur Richard Huber und den Drehbuchautoren Jürgen Werner und Jörg Hartmann auf eine sehr natürliche, ungezwungene Art und Weise, Peter Faber durch Konfrontation mit seiner frühen Kindheit wieder am Leben teilhaben zu lassen. Umso befriedigender ist daher der Entschluss, seinem Vater für die Fehltritte aus frühen Kindheitstagen zu vergeben und ihm in seiner Krankheit beizustehen. Faber hat seinen Grund gefunden, weshalb er „hier“ bleiben muss.

Die Bindung zwischen Rosa Herzog und Jan Pawlak macht mit dieser Folge einen weiten Schritt nach vorne. Auch deren jeweilige Nebenhandlungen und Probleme sorgen für einen großen Wunsch nach der Fortsetzung ihrer Geschichte.