Der neueste Münchner Tatort spult vor allem Gefängnis-Klischees ab. Dem Duo Leitmayr und Batic bleiben nur noch sechs Fälle für einen guten Abgang.
So war der Münchner TatortNoch sechsmal leiden bis zur wohlverdienten Rente
Die Abschiedstournee läuft: Udo Wachtveitl und Miroslav Nemec machen 2025 Schluss. Vor ihrer Tatort-Rente wollen die beiden Kommissare aber noch die 100 Folgen schaffen. Am Sonntag lief in der ARD mit der 94. Folge „Das Wunderkind“ der erste Krimi nach Bekanntwerden ihres Abschieds.
Es soll kein Highlight in der drei Jahrzehnte umfassenden Karriere der beiden werden. Dabei war die Ausgangslage des Krimis nicht schlecht. Er nimmt sich die Zeit, um in Ruhe das Setting und die Figuren einzuführen, wodurch die Ermittler ganze 18 Minuten lang nicht zu sehen sind. In die Geschichte gehen wir stattdessen mit Dieter Scholz (Carlo Ljubek), der kurz vor seiner Entlassung aus dem Gefängnis steht. Durch eine japanische Lebensphilosophie zu einem neuen Menschen geworden, wartet er schon sehnlichst auf die Wiedervereinigung mit seinem Sohn. Doch der kleine Ferdinand, ein Klavierwunder, will nach fünf Jahren in seiner Pflegefamilie am liebsten bei ihr bleiben.
Tatort „Das Wunderkind“ zeigt das Leben im Gefängnis
Parallel dazu haben wir mit dem Cyberkriminellen Kevin Schneider einen Neuling, mit dem wir als fish out of water tiefer in den Alltag und die Betrübnis der Haft hätte eintauchen können. Perfekt auch dazu das Setting, gedreht wurde in der JVA Landshut, sodass Zimmer und Aufenthaltsräume authentisch wirken.
Der Krimi konzentriert sich aber nicht auf den Alltag im Gefängnis, sondern auf wenig subtile Gewaltandrohungen. So etwa in Gestalt von Roland Gumbert (Ralph Herforth), der ebenfalls in Haft ist, dort aber eine kriminelle Organisation und praktisch das Gefängnis selbst anführt. Der will Scholz auch nach seiner Freilassung für krumme Geschäfte nutzen.
Als er sich weigert, verpasst Gumbert ihm ein paar Hiebe mit einer Orange in einem Sack. Mit jeder Szene kann der von Anfang an maximal unsympathische wie ernährungsbewusste Gumbert die Liste seiner potenziellen Mörder erweitern. Den Neuling und Cyberkriminellen Kevin Schneider lässt er in seine Zelle verlegen, um ihn zu vergewaltigen, damit kränkt Gumbert aber auch seinen Liebhaber Martin Liebeck (Merlin Leonhardt). Und natürlich gibt es auch einen kleinen Nebenstrang um Drogengeschäfte, die Gumbert einer konkurrierenden Bande abluchsen will. Den Tyrann ereilt sein Schicksal: Er wird in der Dusche erstochen.
Leitmayr und Batic treffen auf routinierte Polizeifeinde
Die Ermittler Franz Leitmayr und Ivo Batic beißen bei ihren Verhören auf Granit - die Häftlinge haben mit der Polizei Routine und kennen ihre Rechte. Auch die Überwachungsvideos des Gefängnisses sind für den Zeitraum des Mordes gelöscht worden – könnte es wohl der Cyberkriminelle Schneider gewesen sein? Leitmayr ist wegen seiner eigenen Vaterprobleme überzeugt davon, dass der scheidende Scholz seinen Sohn misshandelt, weswegen er ihm immer wieder auf den Zahn fühlt („Menschen wie Sie ändern sich nicht!“).
Nach seiner Freilassung bleibt Scholz für einen Neuanfang mit seinem mäkelnden Sohn letztlich nicht viel Zeit. Gumberts Liebhaber Martin Liebeck tötet ihn, weil er vermutet, dass er Gumberts Mörder ist. Der Mörder lässt das junge Klavierwunder am Leben, und das Kind nutzt die Chance, um der Vaterleiche auch ein paar Mal in den Rücken zu stechen. Dann kommt der Sohn dorthin, wo Genies aus Film und Fernsehen hingehören: in psychiatrische Behandlung.
Schließlich erfahren Leitmayr und Batic anhand älterer Überwachungsvideos des Gefängnisses, dass der Cyberkriminelle Kevin Schneider von Gumbert vergewaltigt wurde. Als die Ermittler ihn mit seinem Tatmotiv konfrontieren, hält er zunächst dicht, sie können ja nichts beweisen. Er gesteht dann aber überraschend schnell, als die Kommissare drohen, die Wahrheit im Gefängnis bekannt zu machen. Auch wenn er zu seinem Schutz in ein anderes Gefängnis verlegt wird, hilft es nicht: Er wird dort, wie Gumbert, erstochen.
Fazit zum neuesten Münchener Tatort
Die Tatortfolge kombiniert zwei typische Gefängnisnarrative: An Scholz wird beispielhaft gezeigt, wie Menschen am Abgrund einen Lebenswandel vollziehen, und Schneider steht für diejenigen, die im Gefängnis noch krimineller werden als vorher. Beide enden als Leichen. Es ist eine Stärke des Krimis, dass er eindrücklich zeigt, wie die Resozialisierung eines Straftäters auch an der Gesellschaft scheitern kann. Grandios etwa die Szene, in der Scholz sich gegenüber der Pflegemutter für eine neue Chance rechtfertigen muss, nicht zuletzt wegen Carlo Ljubek überzeugender Darstellung als Dieter Scholz.
Gleichzeitig kann man im Gefängnisbingo eigentlich jedes Kreuzchen machen. Durch das ständige Anspielen auf Klischees bleibt mit Ausnahme von Scholz das gesamte Figurenset flach, was nicht zuletzt an den durchwachsenen Dialogen liegt. Der Fokus auf der Gewalt kann da auch nur bedingt Spannung erzeugen. Beispielhaft etwa eine Szene, in der Kommissar Ivo Batic während der Ermittlungen plötzlich im Gefängnis alleine dasteht und dann von fünf maskierten Schlägern gestellt wird, als würden sie ihm auf dem Pausenhof das Essensgeld abknöpfen.
Dass der Krimi letztlich auch durch ein übereiltes Geständnis aufgelöst wird, verdeutlicht, dass die Ermittlung nicht im Vordergrund des Falls lag. Aber da auch mit dem jungen Klavierwunder vor allem Klischees abgespult werden, bleibt „Das Wunderkind“ ein unterdurchschnittlicher Tatort. Für Batic heißt das wohl: Noch sechsmal leiden bis zur wohlverdienten Rente.