Einige der neuen Songs hatte Robert Smith bereits in Köln vorgestellt. Aber das Warten hat sich gelohnt.
„Songs of a Lost World“So klingt das erste Album von The Cure seit 16 Jahren
„Das hier ist das Ende von jedem Lied, das wir singen“ – mit dieser erschreckend-finalen Zeile begrüßte Robert Smith vor knapp zwei Jahren sein Publikum in der Kölner Arena. Es folgte dann doch noch ein berückendes Konzert seiner Band The Cure, finster wie eine Neumondnacht, funkelnd wie ein Saphir. Die Zeile stammte von einem zuvor ungehörten Song, „Alone“.
Ganze fünf neue Stücke präsentierte die Band im Laufe ihres Sets, allesamt getragen, majestätisch und so wunderschön verzweifelt, wie The Cure spätestens seit Mitte der 1990er nicht mehr geklungen hatten. Nur auf ein neues Album wartete man weiterhin vergeblich, ihre bislang letzte Studioplatte hatte die Band 2008 veröffentlicht, das größtenteils vergessenswerte „4:13 Dream“.
In zwei Jahren können Robert Smith und The Cure ihr 50-Jähriges feiern
„Wird es jemals geschehen?“, entfuhr es auch dem britischen Musikkritiker Simon Price in seiner 2023 erschienenen Fanbibel „Curepedia“. Robert Smith ist 65 Jahre alt, in zwei Jahren kann er das 50-jährige Bestehen von The Cure feiern (auch wenn von der Originalbesetzung außer ihm nur noch der Bassist Simon Gallup mit dabei ist). Sollte er, als prototypischer Gothrocker, nicht auch die eigene Vergänglichkeit miteinkalkulieren?
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Nun wird das lang ersehnte neue The-Cure-Album, es heißt „Songs of a Lost World“, also endlich das Licht der Welt erblicken, passend zum Düster-Image der Band in der Nacht von Halloween zu Allerheiligen. Sein Cover ziert ein Steinkopf des slowenischen Bildhauers Janez Pirnat: Das Gesicht eines Träumenden, wo Stirn und Schädel sein sollten, sorgt der unbehauene Granit für mächtigen Albdruck.
Und das Album beschäftigt sich in der Tat mit den schwerstmöglichen Dingen, mit unwiederbringlichen Verlusten und einem sich stetig verengenden Horizont; vor allem der Tod des vergötterten zehn Jahre älteren Bruders – er brachte Robert Smith einst das Gitarrespiel bei – gab wohl die thematische Ausrichtung vor: „Etwas Böses kommt aus der kühlen Novembernacht, um das Leben meines Bruders zu stehlen“, klagt der Sänger in „I Can Never Say Goodbye“.
Noch düsterer und schwermetallischer kommt „Warsong“ daher, aber Smith besingt zu tiefer gestimmten Gitarren keine Schlachtfelder, sondern den alltäglichen Beziehungskrieg, aus dem selbst gegenseitiges Bedauern keinen Ausweg weist. Das folgende „Drone: Nodrone“ geht da im direkten Vergleich beinahe als Popsingle durch, es sind aber lediglich Smiths Selbstzweifel, die hier etwas aufgekratzt-nervöser über die Akkorde tanzen.
Der Tod lauert hinter jedem der acht Songs
Der Tod steckt in jedem Kinderzimmermonster und er ist auch verantwortlich für die Dringlichkeit, die man trotz des durchweg gemessenen Tempos hinter jedem dieser acht Songs spürt. Je länger die Jahre wurden, desto selbstparodistischer wirkte Smiths ewiges Pubertäts-Geheule. Bis, so fürchtete man, es irgendwann nur noch Mitleid erregen würde, oder Ekel wie im Fall des Weltschmerz-Kollegen Morrissey.
Stattdessen haben sich die kindlichen Verlustängste und die jugendliche Weltverlorenheit, die The Cure wie keine andere Band heraufbeschwören konnte, sämtlich bewahrheitet. Man muss nur lange genug warten. Im Refrain des – nun wirklich finalen – „Endsong“ zieht Smith eine Bilanz von Beckett'scher Trostlosigkeit: „Es ist alles weg/Nichts ist mehr übrig, von dem, was ich liebte./ Es fühlt sich alles falsch an/Es ist alles weg/Keine Hoffnungen, keine Träume, keine Welt/Nein, ich gehöre nicht dazu/Ich gehöre nicht mehr hierher“.
So fühlt sich das Alter an, jenseits der Lüge von den besten Jahren. Auf dem Papier klingt das ähnlich selbstmordgefährdend wie The Cures berüchtigtes Depressions-Epos „Pornography“ aus dem Jahr 1982, damals die Platte, mit der man die „echten“ von den Schönwetter-Fans trennen konnte, die lediglich „Friday I'm in Love“ mitträllern wollten.
Aber man muss diesen „Endsong“ eben auch gehört haben: ein gut zehnminütiger Trauermarsch aus Paukenschlägen und übereinander geschichteten Gitarrenwänden, schauerlich, absichtsvoll verrauscht und dabei doch sternenklar. Zuletzt war der Band dieser Effekt auf ihrem hypnotischen Meisterwerk „Disintegration“ von 1989 gelungen. Auf dem hatte Smith mit seinem unmittelbar bevorstehenden 30. Geburtstag gehadert, sich mit halluzinogenen Drogen beholfen und war in neue, profundere Gefilde vorgestoßen.
„Songs of a Lost World“ beschreibt die einigermaßen erschütternde Einsicht, dass aus dieser öden Gegend kein Weg zurück führt. So nah ist man Robert Smith vielleicht nie zuvor gekommen. Trotzdem ist das eigentlich nichts, was man gerne hören will, aber hier greift Smiths unfehlbarer Pop-Instinkt, der The Cure stets über gleichgesinnte oder epigonale Bands erhoben hat: „SOALW“ klingt wie eine Skulptur, die man immer wieder umrunden will.
Sollte die Band nie wieder etwas veröffentlichen, hätte sie hier das perfekte Ende ihrer Diskografie gefunden. Stattdessen hat Robert Smith bereits zwei weitere Veröffentlichungen angekündigt: Das Ende ist nicht das Ende.