Sprachatlas für das RheinlandWarum Kölner sagen, was sie sagen
Köln – Hat jemand meine Schluppen gesehen? Vorzugsweise zwischen Viersen und der Nordeifel ist die Chance groß, gleich verstanden zu werden und rasch seine Füße in die gesuchten Pantoffeln stecken zu können. Um zu ergründen, an welchen Orten im Rheinland es dagegen eher Schluffen oder Schlappen heißt, hat sich hat Dr. Georg Cornelissen, Sprachexperte des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) Dialekt-Wort-Entdecker-Tour begeben. Der Wissenschaftler hat sich bereits vor Jahrzehnten auf die Spur der Sprache des Rheinlandes gemacht und landauf, landab Witterung aufgenommen. Sein im Kölner Greven Verlag erschienenes Buch „dat & wat“ ist der erste Sprachatlas für das Land am Rhein zwischen Emmerich und Eifel. Er nimmt die Leser mit in ein „Land der tausend Dialekte“.
Cornelissen zeigt, wie Wörter wandern, wo sie sich verlieren, wo sie überraschend auftauchen und wo sie ihre Grenzen finden. Der Atlas macht die Sprache und ihren Weg durch das Rheinland sichtbar. Das ist das Besondere von „dat & wat“. Auf 50 Karten wird deutlich, wie Menschen im Rheinland aus verschiedenen Generationen und Orten ihre Sprache leben und sprechen. „Ich habe versucht, alle Sprachlagen im Rheinland abzubilden: Dialekt, Regiolekt und Hochdeutsch.“
Dialekt, Mundart oder Platt? Egal
Seit 1985 ist Cornelissen mit dem Sprachteam im LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte auf diesem Gebiet tätig und hat während dieser Zeit unzählige Gespräche geführt und Fragebögen ausgewertet. Erstmals hat er die daraus entstandenen Sprachkarten in dem Atlas gebündelt. Die meisten Karten sind der regionalen Umgangssprache, dem Regiolekt gewidmet. Die Bezeichnungen Dialekt, Mundart und Platt werden gleichbedeutend gebraucht.
Wer dem Autor auf der Wanderung durch die verschiedenen Sprachlandschaften folgt, lernt unter anderem, wann und wo es bolze oder pöhle heißt? Oder an welchen Orten die Leute Stulle oder Knifte sagen? Und was Kitsche oder Kroos überhaupt bedeuten. Kleiner Tipp: Bolze hat etwas mit Fußball zu tun, Kroos nicht.
Köln ist Plümmo-Land, ebenso wie Düsseldorf
Um die einzelnen Karten mit den bunten Punkten zu erfassen, muss man sich etwas einlesen beziehungsweise einsehen. Dabei sind die erklärenden Kommentare sehr hilfreich. Glücklicherweise verfügt Sprachwissenschaftler Cornelissen über die Gabe, auch trockene und komplizierte Dinge verständlich und unterhaltsam zu präsentieren. Betrachten wir zum Beispiel das Wort Bettdecke. Da reichen die Bezeichnungen von Plümmo über Plumeau bis zu Deckbett. Interessant ist, wer sich wo womit zudeckt. Da liegen Orte sprachlich unter einer Decke, die man auf Anhieb nicht unbedingt zusammengelegt hätte.
Köln ist Plümmo-Land, ebenso wie Düsseldorf, Bedburg-Hau und Vettweiß. Tönisvorst, Bergneustadt und Hamminkeln verziehen sich Dialektfern unter die Bettdecke oder das Federbett.Es gibt auch Karten, die farblich eher spartanisch ausgestattet sind. Die begriffliche Bandbreite des im Rheinland sehr beliebten „Gebildbrotmännchens mit und ohne Tonpfeife“ ist im Hochdeutschen sehr überschaubar. Nahezu überall, in Emmerich und Kleve, in Mönchengladbach, Tüddern, Monschau und Blankenheim heißt der gebackene Bursche „Weckmann“. In Radevormwald, Bergneustadt, Oberhausen und Hamminkeln sollte man einen Stutenkerl verlangen. In ein paar engen Korridoren werden beide Begriffe parallel benutzt.
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Ähnlich verhält es sich beim Blick auf den Regiolekt. Da tauchen zusätzlich so drollige Begriffe wie Puhmann (Mülheim a.d.Ruhr) oder Buckmann (Straelen am Niederrhein) auf. Die Karte mit den Dialektbegriffen sieht aus wie ein Blatt auf dem jeweils eine Tüte mit hellgrünem und sattgrünem Konfetti ausgeschüttet wurde. Da mischen sich Weckmänner, Buckmänner und etliche Variationen miteinander. Südlich von Neuss muss es eine starke Kloskerl-Kolonie geben.Experte Cornelissen ist auch nach etlichen Jahrzehnten Sprachforschung fasziniert von der Kraft und Wandlungsfähigkeit der rheinischen Sprache. „Sie verändert sich ständig. Das ist ein ganz dynamischer Prozess. Die Grenzen sind fließend, manchmal ist es nur ein einziges Wort, das anders benutzt wird. Wir sind uns bewusst, dass wir immer nur Momentaufnahmen liefern, das ist ja gerade das Spannende.“ Der Atlas zeige auch, dass es im Rheinland keine einzige Sprachgrenze im Sinne von Sprachbarriere gebe. „Nirgendwo sind die Unterschiede so gravierend, dass Kommunikation unmöglich wäre.“
Das Buch „dat & wat“ ist ein Gewinn für alle, die sich für die rheinische Sprache und ihre Eigenarten interessieren. Es macht richtig gute Laune, sich auf die Sprachreise vor der eigenen Haustür einzulassen. Je nachdem, wo man herkommt, öffnen sich unbekannte Türen. Für „flottikowski“ (ein bisschen plötzlich) konnten die Sprachforscher in Krefeld von neun nur eine Person finden, die das Wort kannte, in Köln von zehn immerhin zwei. Damit rangiert „flottikowski“ in der Kategorie „seltene Wörter“. Es gibt auch Begriffe, deren Bekanntheitsgrad je nach Alter der Befragten rapide abnimmt. „Jummi“ kennen die Menschen in der Altersklasse von 45 bis 65plus recht gut, bei den 44- bis 25-Jährigen halten sich Jummi und Gummi fast die Waage, ab 24 Jahren hat der Jummi nur noch in Niederkrüchten, Schwalmtal oder Heiligenhaus volle Spannkraft.
Ein Forscherleben in einem Buch
Zu den ersten Lesern des gerade erschienenen Buches zählt der Kabarettist, Musiker und Autor Konrad Beikircher. Für den Wahlbonner ist der Atlas ein „wertvolles Stück Heimatbeschreibung. Da ist Georg Cornelissen etwas ganz Wichtiges gelungen. Und außerdem ist das Buch nicht zu übersehen. Weder in der Buchhandlung noch in der Landschaft.“ Wohl um nicht mit irgendwelchen roten oder blauen Stadt- und Regionalfarben ins Gehege zu kommen, haben sich Autor und Verlag für ein leuchtendes Orange entschieden. Beikircher findet das äußerst gelungen, weil es das Buch unverlierbar macht. „Das kann man getrost auf einer Bank oder in der Straßenbahn vergessen. Die Farbe sticht dem Sitznachbarn und einem Passanten sofort ins Auge und sie können den Besitzer auf dessen Schusseligkeit hinweisen. Außer vielleicht diejenigen, die rasch erkennen, was sie für einen Schatz vor sich haben. Die setzen sich womöglich drauf.“
Für Georg Cornelissen ist der Atlas so etwas wie die „Summe seines Forscherlebens“, wie es Verlagsgeschäftsführer Damian van Melis ausdrückte. Der 67-jährige Sprachwissenschaftler geht in gut zwei Wochen in den Ruhestand. 36 Jahre lang arbeitete er im LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte. Dem Gebiet, dessen Sprache er intensiv untersucht hat, ist er eng verbunden. Geboren wurde er in Kevelaer am Niederrhein, seit vielen Jahren lebt er in Bonn. Die markanteste Veränderung der rheinischen Sprache zeigt sich seiner Beobachtung nach im Dialekt. „Es fällt auf, dass immer seltener Platt zu hören ist. Wenn die über 60-Jährigen geimpft sind, sind die meisten Rheinländerinnen und Rheinländer mit Dialektkompetenz gegen Corona geschützt. Es wachsen keine Dialektsprecherinnen und - sprecher mehr nach.“ Es gibt übrigens einen Hotspot im Land, in dem noch vergleichsweise häufig Dialekt gesprochen wird. Nein, es ist nicht Köln. Es ist die Eifel. „Vor 15 Jahren hätte ich noch gesagt, die beiden sind gleichauf. Aber mittlerweile ist Köln zurückgefallen.“ Konrad Beikircher steuerte eine Idee bei, wie der rheinischen Sprache eine Renaissance zuteil werden könnte. „Jeder Neubürger sollte auf dem Einwohnermeldeamt den Sprachatlas als Begrüßungsgeschenk bekommen.“
Georg Cornelissen: „dat & wat – Der Sprachatlas für das Land am Rhein zwischen Emmerich und Eifel“, 216 Seiten, Greven, 28 Euro