AboAbonnieren

„Squid Game 2“Die Spiele müssen weitergehen, weil Netflix es so will

Lesezeit 5 Minuten
Squid Game Staffel 2 
 Seong Gi-hun (Lee Jung-jae)

Seong Gi-hun (Lee Jung-jae) trifft in der zweiten Staffel von „Squid Game“ auf einen maskierten Wächter.

„Squid Game“ war als Kapitalismus-Parabel ein Welterfolg – jetzt gibt eine zweite Netflix-Staffel dem Markt, was er verlangt.

„Squid Game“ war nicht nur der große Serienhit des Pandemiejahres 2021, die südkoreanische Serie wurde zu Netflix' meistgesehenen Programm überhaupt. Doch den Regisseur und Autor Hwang Dong-hyuk hinterließ der Welterfolg im Zwiespalt: Um seine Vision realisieren zu können, hatte er dem Streamingdienst zuvor sämtliche Rechte abtreten müssen. Selbstverständlich würde Netflix die Serie fortsetzen wollen, ob mit oder ohne ihn.

Wollte Hwang Dong-hyuk nicht erneut Dritte an seiner Idee verdienen lassen, blieb ihm nichts anderes übrig, als die eigentlich auserzählte Story von 456 armen Schluckern, die für die Aussicht auf einen Millionenbetrag ihr Leben in Kinderspielen mit tödlichem Ausgang verwetten, selbst wieder aufzugreifen.

Das Diktat des ewig gleichen Contents

Wenn nun in der zweiten Staffel Seong Gi-hun, der Gewinner/einzige Überlebende des ersten „Squid Game“, seinen Preis dafür einsetzt, das Spiel endgültig zu beenden, und – Achtung, Spoiler! — zwei enttäuschend zähe Folgen lang versucht, das Spiel von außen zu beenden, nur um schließlich freiwillig wieder als Kandidat mit der vertrauten Nummer 456 anzutreten, erscheint er wie ein Selbstporträt des Serienmachers.

Und Seong Gi-Huns nebulöser Plan, die Macher des Spiels als Spielender zu bekämpfen, wirkt in etwa so chancenlos, wie Hwang Dong-hyuks Versuch, der Unterhaltungsindustrie gleich zweimal dieselbe Kapitalismus-Kritik unterzujubeln, ohne dabei Teil von ihr und ihrem Diktat des ewig gleichen Contents zu werden.

Die erste „Squid Game“-Staffel zeigte den Kampf ums nackte Dasein

Die erste „Squid Game“-Staffel zeigte den Kampf ums Dasein als manipuliertes Spiel, dessen Kandidaten ihre nackte Existenz für das Versprechen einsetzen, am Leben der ein Prozent teilzuhaben. Sie sehen, wie ihre Mitbewerber von Maschinengewehrsalven niedergemäht werden – und starren doch nur hoffnungsblöde auf das gläserne Sparschwein, das mit dem Bargeld-Gegenwert der Toten aufgefüllt wird.

Das war Brecht'sches Aufklärungstheater mit der Drastik von Stanley Kubricks „Uhrwerk Orange“, verstanden (und von besorgten Eltern und mutprobensüchtigen Minderjährigen ebenso gründlich missverstanden) auf der ganzen Welt. Das riesige Robotermädchen beim „Rotes Licht, grünes Licht“-Spiel; das pastellig bunte M.C.-Escher-Treppenlabyrinth, durch das die Kandidaten dem mehr oder weniger sicheren Tod entgegengingen; die Blutfontänen, die aus ihren Adern sprudelten, wenn sie von den maskierten Wächtern in roten Overalls erschossen werden: „Squid Game“ schuf Bilder, die sich sofort ins kulturelle Gedächtnis einbrannten – und die nun allesamt brav wiederholt werden, ohne dass nennenswerte neue dazukommen. Am nachhaltigsten dürfte noch die Draufsicht auf ein Menschen-Karussell wirken, die ritualisierten Massenmord als Busby-Berkeley-Musicalnummer inszeniert.

Die Kapitalismus-Kritik von „Squid Game“ war nie subtil oder subkutan, sie bildete die grob geschnitzte Oberfläche der Serie. Doch in der Fortsetzung, die wie ein Blockbuster-Sequel „Squid Game 2“ betitelt ist, degradiert sie sich zur Sonntagspredigt. Was vorher in greller Überdeutlichkeit gezeigt wurde, wird nun mit bitterernster Miene ausgesprochen.

Vor allem von Lee-jung-jae, dem Darsteller des Protagonisten Seong Gi-Hun. Dem flogen 2021 als vom Dasein geprügelten Tunichtgut die Sympathien zu, jetzt, 465 Milliarden südkoreanische Won (ca. 30 Millionen Euro) reicher, hat er seinen fatalistischen Loser-Humor verloren, sinnt grübelnd auf Rache oder beschwört in hehren Reden die Solidarität der Verzweifelten, strapaziert dabei aber nur die Geduld der Zuschauer.

Noch stärker bremst der Subplot um den jungen Polizisten Jun-ho das erzählerische Momentum der sieben Folgen aus. Der war bereits in der ersten Staffel auf der Suche nach seinem vermissten Bruder von außen in die geheimnisvolle Insel eingedrungen, auf der die Spiele abgehalten werden. Nun wird er dabei sogar von einer kleinen Privatarmee unterstützt, schippert mit ihr aber derart ziellos auf dem Meer herum, dass man seine Szenen verlustfrei überspringen könnte, gäbe es nicht diesen einen kleinen Plot-Twist in der siebten Folge.

Zum ersten Mal erfahren wir etwas über die Handlanger der Spiele

Zum ersten Mal dagegen erfahren wir auch etwas über die Handlanger hinter den Masken, so spielt Lee Byung-huns geheimnisvoller Frontmann diesmal eine viel größere Rolle als direkter Gegenspieler unseres Helden. Interessanter aber ist die kleine Geschichte einer aus Nordkorea geflohenen Frau, die sich als rosa Hasen-Maskottchen in einem Vergnügungspark verdingt, bevor sie in den roten Overall wechselt und Verlierern in den Kopf schießt: Die erste, kinderbeglückende Arbeit ist aus ihrer Sicht die viel Ausbeuterische; ein nicht zu übersehender Hinweis auf den Preis des Entertainments.

Das war schon die klügste Volte der ersten Staffel, dass man sich als Zuschauer selbstredend mit den Hungerleidern identifizierte, die hier ihr Leben in die Waagschale warfen, weil sie sonst nichts mehr zu bieten hatten – und nicht mit den degenerierten Milliardären, die sich an ihrem Sterben weiden. Während man sich doch tatsächlich in der Position der reichen Gaffer befand, wenn auch nur auf den billigen Plätzen hinter den Geräten.

Jetzt glotzen wir wieder, aber diesmal geht es nicht mehr um beißende Kritik an einem mitleidslosen System oder an unseren eigenen Sehgewohnheiten, sondern nur darum, einen Überraschungshit weiter auszuschlachten. „Squid Game 2“ endet recht abrupt mit einem Cliffhanger, 2025 folgt die dritte Staffel. Die soll dann wohl endgültig Hwang Dong-hyuks letzte sein. Gleichzeitig arbeitet Meisterregisseur David Fincher für Netflix an einer amerikanischen Adaption.

Die Aufregung um die mechanisch ausgeführte Brutalität der Serie zielt daneben: Das Deprimierendste am zweiten „Squid Game“ ist die nicht ganz neue Erkenntnis, dass das System kein Außen kennt, dass Kritik letztlich auch nur ein Produkt ist. Je eindrücklicher diese Kritik vorgebracht wird, desto besser lässt sie sich verkaufen.