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So war der Stuttgarter TatortDieses Krimi-Urgestein hat Leichen im Keller

Lesezeit 4 Minuten
Die peinigenden Erlebnisse seiner Kindheit hatte Daniel Vogt (Jürgen Hartmann) lange aus seinem Bewusstsein gesperrt. Aber nach dem Tod seines Jugendfreundes geht das nicht mehr.
Er schaut schmerzverzerrt mit zugekniffenen Augen und verschränkt die Arme hinter seinem Kopf.

Jürgen Hartmann spielt im Tatort „Vergebung“ den Rechtsmediziner Dr. Daniel Vogt

Im neuesten Stuttgarter Tatort „Vergebung“ benimmt sich ausgerechnet der langjährige Rechtsmediziner Dr. Daniel Vogt verdächtig. Fans der Figur müssen sich auf etwas gefasst machen.

Normalerweise ist es nicht verdächtig, wenn ein Rechtsmediziner Leichen im Keller hat. Nicht so in diesem neuesten Stuttgarter Tatort „Vergebung“, der am 19. November lief.

Dr. Daniel Vogt (Jürgen Hartmann) hat nämlich einen alten Kindheitsfreund auf dem Seziertisch, Mathias Döbele (Volker Muthmann). Der Rechtsmediziner verschweigt das vor den Kommissaren Sebastian Bootz (Felix Klare) und Thorsten Lannert (Richy Müller).

So war der Tatort am 19.11.

Erst als die Frau des Opfers, Sandra Döbele (Ulrike C. Tscharre), den Toten identifiziert, fliegt Daniel Vogts Befangenheit auf. Zudem trödelt er mit dem Obduktionsbericht herum. Der Tote hatte wegen seines Krebsleidens nicht mehr lange zu leben und hatte sich wohl als homosexuell geoutet. Handelt es sich also um einen Suizid oder um aktive Sterbehilfe? Oder hat Sandra Döbele ihrem Mann aus Eifersucht eine höhere Dosis eines Krebsmedikaments verpasst, um ihn im Fluss ertränken zu können? Es entsteht der Eindruck, dass Daniel Vogt da seine alte Jugendflamme schützen will.

Der Rechtsmediziner zieht jedenfalls los, um das Geschehen auf eigene Faust aufzuklären. Immer wieder stößt er dabei auf Reliquien seiner Jugendzeit, mit denen wir zurück in die 1980er reisen: Wir hören die Musik aus seinem Walkman, schauen auf einem Röhrenfernseher ein altes NBA-Spiel, begleiten drei Freunde, die auf ihren Retro-Fahrrädern zum Fluss fahren. Die Kulissen und Requisiten wecken Nostalgie, die immer wieder jäh von der Gegenwart und einem vagen Gefühl von Bedrohung eingeholt wird. Ein toller Kontrast, der dem Fall einiges an Spannung beschert.

Die Auflösung des Falls

Spannend ist auch, dass Daniel Vogts Alleingang zur Zerreißprobe wird. Nicht nur das professionelle Verhältnis zu den Kommissaren steht auf dem Spiel, sondern ihr Vertrauensverhältnis, das zwar noch keine Freundschaft ist, aber zu einer hätte werden können. Ihre Beziehung ist so nuanciert, immerhin ist Daniel Vogt seit 2008 im Stuttgarter Tatort zu sehen. Und so schmerzt es, als die Kommissare keine andere Möglichkeit sehen, als ihn freizustellen und sich eine unbefangenere Meinung einzuholen.

Erst dank einer letzten Erinnerung versteht Daniel Vogt schließlich, warum sein Freund sterben musste. Denn beide verfolgt noch immer der Tod eines gemeinsamen Freundes, Jonas Lentowski (Jakob Rottmaier). Sein Ableben galt lange als unschuldiger Schwimmunfall. In Wahrheit haben die beiden Jonas mit dem Kopf unter Wasser gedrückt, weil er sich über Matthias Döbeles romantische Gefühle für Daniel Vogt lustig machte. Eigentlich war er dabei nur kurz unter Wasser, aber wegen eines ihnen unbekannten Herzfehlers starb er trotzdem.

Matthias Döbele wollte also reinen Tisch machen und suchte Jonas Vater Hans Lentowski (Paul Fassnacht) auf. Als sie zusammen zum Ort Geschehens fuhren, rächte der verbitterte Vater seinen Sohn. Die Geschichte droht sich zu wiederholen, als der Mörder auch mit Daniel Vogt zum Steg fährt und ihn geknebelt in den Fluss wirft. Kurz vor dem Ertrinken können Lannert und Bootz ihren Pathologen aus dem Fluss retten.

Fazit zum Tatort „Vergebung“

Wir kommen mit diesem Krimi einer Figur nahe, die sich sonst eher am Rande des Stuttgarter Tatorts bewegt und die einiges zu erzählen hat. Das führt zu großartigen Szenen. Daniel Vogt dabei zuzusehen, wie er seinen Freund zwischen Trauer und grimmiger Entschlossenheit obduziert, trifft einen direkt ins Herz, nicht zuletzt auch durch Jürgen Hartmanns überzeugender Schauspielkunst. Besonders im Zusammenspiel mit der grandiosen Kamera entfalten die Bilder so von Anfang an eine starke Wirkung. Wie Daniel Vogt geradezu gewalttätig mit seiner French Press den Kaffeesatz herunterdrückt, deutet auf interessante Weise den Schwimmunfall voraus.

Gleichzeitig zeigt die Folge auch ein paar für Fernsehfilme typische Schwächen. Die Effekte einer surrealen Szene, in der Daniel Vogt sich in seinem Kinderzimmer plötzlich unter Wasser vorfindet, überzeugen nicht. Und die Dialoge neigen hier und dort dazu, Dinge wörtlich auszusprechen, die unausgesprochen stärker und subtiler wirken („Vogt, echt ey. Wie kriegen wir dich dazu, dass du aufmachst?“). Trotzdem lohnt sich das Einschalten. „Vergebung“ ist ein starker Tatort, der sowohl den Charme als auch die Sünden der 80er in die Gegenwart holt.