1991 wurde in der Synagoge Stommeln erstmals Kunst gezeigt. Jetzt erinnert ein Buch an das international renommierte Kunstprojekt.
Synagoge StommelnWie die Kunst vom Holocaust erzählt
Die Fenster der ehemaligen Synagoge sind mit Brettern verrammelt, der Durchgang in den Altarraum ist versperrt. So bleibt nur der Weg über die schmale Treppe, hinauf zur Empore für die Frauen. Von hier blickt man auf eine heimliche Baustelle: Das Gebäude ist zur Hälfte mit Erde gefüllt, in der Mitte, etwas zur Stirnseite versetzt, thront ein Fördergerüst über einem hell erleuchteten Loch. Offenbar wird hier ein Tunnel in den Untergrund gegraben. Doch von wem, wie tief und zu welchem Zweck, das alles lässt sich nur erahnen.
Nun gut: Wer vor sechs Jahren die Synagoge Stommeln besuchte, wusste, dass der libanesische Künstler Walid Raad die Grube ausgehoben hatte, und dass sich dort die Künstlerprominenz die Klinke in die Hand gibt. 1991 wurde das entweihte jüdische Gotteshaus, das die NS-Pogrome wohl nur deswegen überlebte, weil ein Bauer es als Scheune nutzte, erstmals als Ausstellungsort genutzt.
In der Kunstwelt hat Pulheim zu Metropolen aufgeschlossen
Es sollte ein „stiller Raum“ geschaffen werden, hieß es damals im Konzept, der ein „anderes Kunsterlebnis ermöglicht“ und „vielleicht“ zu einer „intensiveren Auseinandersetzung mit Geschichte“ anregt. Aus diesem „vielleicht“ wurde eine ungeschriebene Verpflichtung: Jede Ausstellung ist eine Auseinandersetzung mit dem geschichtsträchtigen Ort und eine Suche nach Möglichkeiten des Gedenkens an den Holocaust.
Auf diesem Weg kam die kleine Gemeinde Pulheim zu einer Künstlerliste, wie sie sonst nur Metropolmuseen vorweisen können: Jannis Kounellis weihte die Synagoge Stommeln ein, Mischa Kuball machte es mit gleißendem Licht zu einem unübersehbaren, aber auch unbetretbaren Ort und Daniel Buren verlieh dem engen Gebäude mit Spiegeln neue Dimensionen.
Für einen Skandal sorgte Santiago Sierra, als er die Synagoge im Jahr 2006 mit einer tödlichen Konzentration an Autoabgasen füllte, zwischenzeitlich schien das Konzept dann etwas ausgereizt – bis 2014 mit dem Raum- und Konzeptkünstler Gregor Schneider ein verblüffender Neubeginn begann. Schneider verbarg die Synagoge, die keine mehr ist, unter der Larve eines gewöhnlichen Einfamilienhauses, und brachte sie wieder zum Vorschein, indem er sie verschwinden ließ.
An die 30-jährige Geschichte des Pulheimer Kunstprojekts erinnert jetzt ein dicker Jubiläumsband, der durch Corona bedingt mit zweijähriger Verspätung zum Premierenjahr erscheint. In ihm werden die einzelnen Projekte in chronologischer Reihenfolge dokumentiert, jeweils mit mehreren Abbildungen und mit einem einführenden Text, der in der Regel dem Katalog zur Ausstellung entnommen wurde oder auf der Eröffnungsrede beruht; zu Sierras skandalumwitterten Projekt „245 Kubikmeter“ haben die Herausgeber einen einordnenden Beitrag von Georg Imdahl abgedruckt. So kann man nicht nur die Kunstwerke Revue passieren lassen, sondern auch die sie begleitende Vermittlungsarbeit.
Sehr schmal fällt hingegen die kunsthistorische und kulturpolitische Einordnung des Projektes aus. Im Grußwort erinnert Frank Keppeler, Bürgermeister von Pulheim, an dessen Vorgeschichte, die mit der späten „Wiederentdeckung“ der Synagoge Ende der 1970er Jahre begann und zunächst zur originalgetreuen Restaurierung des wohl schon vor der Reichspogromnacht von 1938 aufgegebenen Gotteshauses führte.
Auf Anregung des Künstlers W. Gies entwickelte der Pulheimer Kulturdezernent Gerhard Dornseifer schließlich das Konzept eines Gedenkortes mit Ausstellungen zeitgenössischer Kunst. Dornseifer leitete das Projekt bis zu seinem Tod im Jahr 2001 – schon damals in Zusammenarbeit mit der aktuellen Projektleiterin Angelika Schallenberg und seit 1994 mit dem Lichtkünstler Mischa Kuball als Berater.
Im Jahr 2019 wurde in der Synagoge zuletzt ausgestellt
Auch Gerhard Dornseifer kommt zu Wort, mit einem Beitrag aus dem Jahr 2000, ansonsten sprechen die historischen Beiträge und die Kunst. Die führte, wie bei Walid Raad, oft genug ins Reich der Assoziationen, die mal leichter und mal schwerer nachzuvollziehen waren. Konnte man bei Raad an die Keller, Verschläge und Hohlräume denken, in denen sich im NS-Staat verfolgte Juden versteckten, wirkten etwa die Beiträge von Georg Baselitz oder Anthony Cragg eher so, als hätten die Künstler aus ihrem vorhandenen Werkkatalog ein „passendes“ ausgewählt.
Verblüffend ist dabei die Bandbreite der Künstler, die von Minimalisten wie Carl Andre über den anarchistischen Objektkünstler Roman Signer bis zur konzeptionell arbeitenden Rosemarie Trockel reicht; fast alle von ihnen hatten etwas Anregendes und dem Ort Angemessenes zu sagen.
Zuletzt wurde die Synagoge im Jahr 2019 genutzt. Alfredo Jaar stellte einen Leuchttisch, auf dem sonst Dias gesichtet werden, hinein, und hing einen zweiten Leuchttisch so von der Decke, dass sie sich, Platte an Platte, sanft berühren. Aus dem Spalt zwischen den Tischen drang helles weißes Licht, das die gesamte Synagoge erfüllte, sobald der obere, an der Decke befestigte Tisch, langsam nach oben gezogen wurde. Auf diese Weise beschwor Jaar die Idee, dass Menschen auf Fotografien eine Lichtspur hinterlassen, die auch bleibt, wenn sie nicht mehr sind.
Seitdem sind mehr als drei Jahre vergangen, eine lange Zeit für ein Projekt, das auf jährliche Kontinuität gegründet ist. In seinem Grußwort lobt Bürgermeister Keppeler die „Synagoge Stommeln“ als „ehrgeiziges Vorhaben“, das Pulheim zu einer „eigenständigen kulturellen Identität“ verhalf. Man kann nur hoffen, dass der städtische Ehrgeiz nicht erlahmt.
„ein Ort - ein Raum - eine Arbeit. 30 Jahre Kunstprojekte in der Synagoge Stommeln“, 336 Seiten, 160 Abbildungen, Hirmer Verlag, 29,90 Euro.
Buchvorstellung am Samstag, 21. Januar, 15 Uhr, im Martinus-Haus, Pulheim-Stommeln, Eintritt frei.