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Tahsim Durgun bei der lit.CologneHumor als Antwort auf den Schmerz

Lesezeit 3 Minuten
Tahsim Durgun bei der lit.Cologne

Tahsim Durgun bei der lit.Cologne

Social-Media-Star Tahsim Durgun stellt bei der lit.Cologne sein Buch vor, das vor allem eine Liebeserklärung an seine Mutter ist.

Gerüstlandschaft nennt Tahsim Durgun die Gegend in Oldenburg, in der er aufwuchs. Dort gab es keine schicken Reihen- oder Einfamilienhäuser, nur Wohnblöcke, die häufig in Baugerüste gehüllt waren. Die Mehrheit der Familien dort hatte eine Migrationsgeschichte. Es war eine glückliche Kindheit, schreibt er in seinem Buch „Mama, bitte lern Deutsch“ (Knaur), das seit drei Wochen auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch steht. Die Kinder, mit denen er spielte, hatten einen ähnlichen Hintergrund.

Erst später wurde dem heute 29-Jährigen klar, dass nicht jedes Kind schon in jungen Jahren für die Eltern Bescheide vom Amt übersetzen muss oder die Mutter als Dolmetscher bei Arztbesuchen begleitet. Über sein Aufwachsen in einer kurdisch-deutschen Familie und die Vorurteile der deutschen Mehrheitsgesellschaft, mit denen er sein Leben lang konfrontiert war, macht der Lehramtsstudent seit der Corona-Pandemie sehr lustige und schlaue Videos. Seine Fangemeinde wuchs rasch an, bei der lit.Cologne bewies er nun in der ausverkauften Volksbühne im Gespräch mit Moderatorin Sarah Brasack, stellvertretende Chefredakteurin dieser Zeitung, dass der Hype begründet ist.

Poetin der Gerüstlandschaft

Der gar nicht mehr heimliche Star seiner Videos und auch seines Buches ist seine Mutter. Vor 36 Jahren kam ihre jesidische Familie nach Deutschland, hier heiratete sie und gründete eine Familie. Vier Kinder zieht das Paar groß. Eine Poetin sei sie in ihrer kurdischen Muttersprache, „ein Sprachgenie, das hier in dieser Gesellschaft verkümmerte“, sagte Durgun bei seinem lit.Cologne-Auftritt. Denn weil sie die deutsche Sprache nicht gut beherrscht, wird sie ausgegrenzt und abgewertet. „Ich habe verstanden, dass sie das Träumen verlernt hat.“ Und auch er selbst musste in jungen Jahren lernen, eigene Träume aufzugeben, die für andere Kinder ganz selbstverständlich wahr werden. Im Verein Fußball zu spielen, war für die Familie, die sehr aufs Geld schauen musste, nicht drin. Auf Klassenfahrt ins Ausland konnte er nicht mitfahren, weil er in Deutschland nur geduldet war und keinen Pass hatte.

Auf den Schmerz, den er spürte, war seine Antwort stets Humor: „Auf beklemmende Situationen reagiere ich oft mit einem Witz.“ Ob beim Arzt, im Supermarkt oder bei der Ausländerbehörde – häufig ist seine Familie im Alltag mit Respektlosigkeit und Ablehnung konfrontiert. Seine Waffe dagegen war schon früh so simpel wie effektiv: Beherrsche das Bürokraten-Deutsch besser als die Bürokraten! Noch heute wird er, wenn er in der Ersten Klasse im ICE sitzt, mehrfach nach seinem Ticket gefragt, erzählt Durgun. Er könne gar nicht ermessen, was seiner Mutter alles passiert, wenn sie allein unterwegs ist. Am liebsten würde er sie immer begleiten und beschützen.

So sind dieser Abend in Köln und sein Buch vor allem eine Liebeserklärung an seine Mutter, eine Frau, die in der deutschen Gesellschaft viel zu lange unsichtbar war, obwohl sie so viel zu erzählen hat. „Mama, bitte lern Deutsch“ ist aber auch eine schonungslose und kluge Analyse des Alltags von Menschen mit Migrationsgeschichte, die auf humorvolle Art darüber aufklärt, wie schwer es diese geschlossene Gesellschaft jenen macht, die sich in sie eingliedern wollen. Sie sei sicher, dass sein Buch irgendwann Schulstoff werde, sagte Sarah Brasack zum Schluss. Eine berechtige Hoffnung. Ihm habe, so Durgun, ein solches Buch als Schüler auf jeden Fall gefehlt.