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So war der „Tatort“Ein überragend gespielter Fall von Obsession und Überforderung

Lesezeit 7 Minuten
Die Ermittler haben schusssichere Westen mit der Aufschrift „Polizei“ an, der Schiedsrichter ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Referee“. Er schaut auf ein Handy, dass die Ermittler ihm überreicht haben. Im Hintergrund Zuschauer in einer Gaming-Arena.

Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) zeigen Referee (Danny Rosness) einen wichtigen Beweis.

Im neuesten Münchner Tatort ermitteln Franz Leitmayr und Ivo Batic wegen eines Mordes in der Gaming-Szene.

Wir starten in der mit „Game Over“ betitelten Folge des „Tatort“ mit geradezu propagandistisch anmutenden Bildern eines E-Sportlers, der gerade sein großes Finale gewonnen hat. Die Zuschauer jubeln, es regnet Konfetti vom Himmel. Der Gewinner hat in einem Counter-Strike Turnier mehrere Gegner getötet, aber das gehört zum Spiel dazu. Der Tod kann in Videospielen banal daherkommen, in der Regel kann man ja wieder von vorne anfangen, nachdem es einen erwischt.

In der analogen Realität ist der Tod dann erschreckend final. Da hat eine junge Polizistin (Xenia Benevolenskaya) beinahe Feierabend, hält dann wegen eines kaputten Rücklichts das falsche Auto an und wird dann erschossen. Eine erste Antwort auf ein „Warum“ zeigt sich, als Tatort-Ermittler Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) das Fluchtauto aufspüren können, das die Täter verbrannt zurückgelassen haben. Im Kofferraum finden die Polizisten nämlich eine verkohlte Leiche, der sich die Täter entledigen wollten. Die Ermittler können anhand der Erkennungsnummer auch den Besitzer des Wagens ausfindig machen: Michael Hetsch (Mauricio Hölzemann).

Tatort: Game Over führt die Ermittler in die Gaming-Szene

Als die Ermittler mit einem Sonereinsatzkommando seine Wohnung stürmen, finden sie aber nur die zu Eminem duschende Verena (Lea van Acken), Hetschs Schwester. Von Hetsch selbst keine Spur. Sie entdecken an seinem Schreibtisch mehrere Bildschirme, einen Energy-Drink auf dem Schreibtisch, bunt leuchtende LEDs an Kopfhörer und Tastatur. Und natürlich asiatisch bestellt bei Lieferando. Ein Gamer also.

Und innerhalb der Gaming-Szene bewegen sich auch die Täter, genauer gesagt in einer Counter-Strike-Gruppe mit dem Namen „Munich Sheriffs“. Schlimmer noch: In diesem Team zocken Polizisten miteinander, die Mörder der Polizistin stammen also aus den eigenen Reihen.

Tatort in München: Leitmayr und Batic suchen sich Hilfe

Die verkohlte Leiche im Auto stellt sich indes als Hetsch selbst heraus. Leitmayr und Batic befragen Verena erneut und können ihr die Beschreibung eines Manns entlocken, den Hetsch zu Besuch hatte. Offenbar machte Hetsch mit einer Cheating-Software ein großes Vermögen, und seine begehrten Bitcoins, dessen Passwort er auf seinem Handy speicherte, werden zum Mordmotiv. Mit Verenas Beschreibung und einem Ausbildungsfoto des Opfers können sie zwar die Identität zumindest eines von Hetschs Polizeifreunden ausfindig machen – ein Mann namens Fabian Geltinger - finden ihn aber ebenfalls nur tot vor.

Um an die Klarnamen der anderen zockenden Polizisten heranzukommen, treten die Ermittler an einen E-Sportler namens Oskar Weber (Yuri Völsch) heran, der zwar die Bekanntschaft zu Hetsch leugnet, aber online bereits mit mehreren der „Munich Sheriffs“ Kontakt hatte. Er spielt online mit den unbekannten Gamern. Dann bietet er ihnen Probetrainings bei den Profis an und entlockt ihnen so ihre Klarnamen und Adressen. Nur ein User bleibt mysteriös und loggt sich nach Oskars Direktnachricht einfach aus.

Kalli erwischt es im neuesten Münchner Tatort böse

Dessen Identität können die Ermittler aber über die Befragung der anderen herausfinden. Es handelt sich um einen Polizisten mit dem Namen Torben Seufert (Jan Bülow). Als Kalli zu ihm fährt, um ihn ins Präsidium zu begleiten, greift er Kalli an und verletzt ihn schwer. Batic kann noch die Verfolgung in ein Parkhaus und durch ein Brautmodengeschäft aufnehmen, aber der Täter entwischt.

In der Zwischenzeit bekommen wir einiges von Oscar Webers Leben mit. Im Elternhaus kracht es gewaltig. Sein Vater (Oliver Wnuk) unterstützt ihn als Manager in seiner Karriere, die Mutter (Marie Burchard) macht sich Sorgen, dass er spielsüchtig ist und die Schule vernachlässigt. Da Oskar minderjährig ist, braucht er für die Teilnahme an seinem großen Turnier die Unterschrift beider Eltern – der Vater hatte die Unterschrift der Mutter aber gefälscht, weil sie nicht einverstanden war.

Als sie davon erfährt, lässt sie Oskar für das Finale sperren. Doch dieser lässt es nicht dabei bewenden. Er sucht seine Mutter in der Schule auf, in der sie arbeitet, schnauzt sie mitten im Unterricht vor ihrer Schulklasse zusammen und geht sie sogar an. Am Ende spielt er das Turnier. Und der flüchtige Seufert läuft ebenfalls in die Gaming-Arena, verfolgt von Leitmayr und Batic.

Auflösung

Am Ende gibt es zwei kriminelle Vorgänge, die durch Zufall aneinanderhängen. Einerseits ist auf Hetschs Handy das Passwort für seine Bitcoins, die die Polizisten Geltinger und Seufert ihm abluchsen wollten. Andererseits suchte Hetsch Oskar auf, um ihn mit einer Cheatsoftware auf seinem Handy zum Turniersieg zu verhelfen. Im Gegenzug würde Oskar das Preisgeld mit ihm teilen.

Oskar sah, wie Geltinger und Seufert von Hetschs Wohnung wegfuhren. Da hatten sie ihn schon getötet und im Kofferraum verscharrt. Der Junge konfrontiert danach Geltinger, um das Handy mit der Cheatsoftware zurückzubekommen. Geltinger empfing ihn aber mit gezogener Waffe und rief Seufert an, um sich über das Vorgehen mit diesem unerwarteten Zeugen abzusprechen. Aus Angst – oder um in seinem unbändigen Siegeswillen an die Cheatsoftware zu kommen – griff Oskar in einem günstigen Moment nach Geltingers Waffe, wurde niedergerungen und erschoss den Polizisten im Gerangel.

Tatort: Leitmayr muss Batic am Ende zurückhalten

Das Handy hatte Oskar also in Besitz. Und während er sein Finale spielt, holt Seufert es sich zurück. Als er von Leitmayr und Batic verfolgt wird, nimmt er eine Geisel und zieht sich auf das Dach der Arena zurück, wo ihm keine Fluchtmöglichkeiten bleiben. Am Ende erschießt sich Seufert selbst, während Oskar mit seinem Team das Turnier gewinnt. Batic und Leitmayr bringen das Handy zum Schiedsrichter, der die Cheatsoftware erkennt.

Am Ende gesteht Oskar. Die Cheatsoftware hat er dabei gar nicht nutzen können, wie er am Ende Kalli erzählt, da sie an seinen Computer geknüpft war und dieser vor dem Turnier ausgetauscht werden musste. Er wird von Polizisten unter Anwesenheit seiner beiden Eltern abgeführt.

Fazit

Im Grunde ist der neueste Münchner Tatort eine Geschichte von Obsession und Überforderung. Da ist ein junger Mann, der für den Erfolg alles tun würde, wie schon im Prolog anklingt. Er verschafft sich unfaire Vorteile, um zu gewinnen, und geht für seinen Cheat über Leichen.

Doch da ist auch ein junger Mann, der seine schreienden Eltern nicht erträgt, der auf die Frage, was er mit dem Preisgeld tun würde, antwortet: ausziehen. Der von größeren Geschehnissen überrumpelt wird. Der in seiner virtuellen Realität täglich mit Waffen zu tun hat, und dann doch recht tölpelhaft reagiert, als er eine echte in der Hand hat. Sogar ziemlich glaubhaft seine Angst schildert, aber nicht glaubhaft vermitteln kann, dass er nur aus dieser Angst heraus keinen Krankenwagen für Geltinger rief. Yuri Völsch spielt diese zerrissene Figur überragend.

„Game Over“ zeigt ein interessantes Charakterporträt

Auch Oskars Eltern sind überfordert. Da ist der Vater, der seinen Sohn unterstützt, aber aus Oskars Träumen heraus lebt, und die Mutter, die um die mentale Gesundheit ihres Sohnes und seine Zukunft besorgt ist, aber kein Verständnis für seine Leidenschaft hat. Da prallen digital Natives auf analog Oldies gnadenlos aufeinander. Die Argumente gegen Spielsucht sind schwach geworden, seitdem man mit genügend Aufopferungsbereitschaft und einem Wink des Algorithmus eine ganze Karriere um das Zocken gestalten kann, sei es nun als Profi oder als Streamer auf Twitch, YouTube und so weiter. Diese Konflikte werden im neuesten Münchner Tatort eindrucksvoll beschrieben, auch wenn man dabei nicht um das eine oder andere Klischee herumkommt.

Diese Klischees geraten auch zum Spiel, weil in der Folge laufend der Status von E-Sport als „echter Sport“ von den Oldies angezweifelt wird („Das ist doch kein Sport, die sitzen die ganze Zeit nur rum!“). Gleichzeitig greift die Folge auf Tropen des Sportfilms zurück, etwa dem Sportler, der mit Tricksereien zum Sieg kommt, diese aber gar nicht gebraucht hätte.

Der Tod verliert seine Banalität

Zugunsten von Oskar bleibt aber das andere Verbrechen, nämlich der Mord zweier Polizisten an eine Kollegin und den Cheater-König Hetsch, seltsam blass. Idealerweise hätte man das auch thematisch besser abbinden können, stattdessen hat man eine bruchstückhafte Geschichte der wahren Täter, die eben nur aufs Geld aus sind und sonst recht wenig vorzuweisen haben. Der ursprüngliche Fall um die ermordete Polizistin wird immer wieder auch durch Batics persönliche Betroffenheit reingeholt, das Ende gehört aber ganz und gar Oskar.

Und seine Geschichte ist auch die interessantere. Sie gelingt auch durch die Überblendung von virtueller und analoger Welt. Und letztlich ist innerhalb eines Turniers die Banalität des Todes auch im Videospiel aufgehoben. Dort entscheidet der digitale Tod durchaus über das Leben im analogen, über eine gewaltige Preisgeldsumme, über Anerkennung und Ruhm. Letztlich opfert Oskar diesem einen Moment auch seine Zukunft, sowohl im Analogen als auch im Digitalen. Der Tod ist dann auch in Videospielen nicht mehr banal.