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So war der „Tatort“ aus WiesbadenDas Karma trifft die Alten

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ARD/HR Tatort: Murot und das Gesetz des Karma.

Der Fall

Am selben Abend nimmt Trickbetrügerin Eva (Anna Unterberger) zwei Männer ins Visier, auch wenn es für beide gravierend unterschiedliche Folgen hat. Der Erste ist IT-Experte Martin Landrot (Dirk Martens), der im Hotel Continental ein Laptop mit kompromittierenden Daten verkaufen will. Den Laptop hat sich Eva schon geschnappt, bevor er sich mit Xavier (Thomas Schmauser) trifft, einem Handlanger von Delphi Invest. Als es auffliegt, platzt der Deal und Xavier tötet den IT‘ler.

Der zweite Mann, der von Eva aufs Korn genommen wird, ist Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur). Der ist auch im Hotel und hält einen Vortrag, in dem er ironischerweise predigt: „Nach wie vor gibt es nur eine Möglichkeit, sich effektiv vor Bösen Überraschungen zu schützen: Durch Vorsicht und Achtsamkeit.“ Unvorsichtig und unachtsam trifft er dann in der Hotelbar die Trickbetrügerin, die eine unwiderstehliche Falle ausgelegt hat.

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Felix Murot (Ulrich Tukur) ahnt nicht, dass er es mit einer Trickbetrügerin zu tun hat (Anna Unterberger).

Sie spielt Scrabble auf ihrem Handy und verzweifelt mit zwei Q’s und einem Y auf der Hand, also bietet Murot seine Hilfe an. Dann kippt sie unbemerkt K.O.-Tropfen in seinen Wein und nimmt ihn in seinem Zimmer aus. Später fährt sie mit dem gleichen Fahrstuhl wie der Mörder Xavier nach unten. Auch diese beiden werden sich wiedersehen.

Die Auflösung

Murot ist eine ganze Weile durch den Wind. Als er von Magda Wächter zu einem indischen Arzt gekarrt wird, hat er ein Gespräch über Karma und kommt ins Grübeln. Etwas an dieser Begegnung mit der Trickbetrügerin lässt ihn nicht los. Eva wiederum entdeckt, dass es sich bei Murot nicht nur um einen LKA-Beamten handelt, sondern auch um die Jugendliebe ihrer Mutter Marianne, womöglich ist Murot also ihr Vater.

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Trickbetrügerin Eva (Anna Unterberger, r.) schaut sich Murots Führerscheinfoto an.

Mariannes Inszenierung ist spannend. Sie wird größtenteils über Musik erzählt und bleibt seltsam entrückt, sichtbar nur durch Gegenstände, durch vorsichtige Worte, durch Murots Sommererinnerung. Murot ist also vollauf mit sich selbst beschäftigt. Um den Mordfall (und den Fall Murot) muss sich Assistentin Magda Wächter (Barbara Philipp) quasi im Alleingang kümmern. Sie stellt bei den Ermittlungen die Fragen, während Murot sich Fische anguckt. In einer Szene versucht er sogar einen Vogel-Aufkleber an einem Fenster abzuknibbeln.

Den Rhythmus der Folge bestimmt Eva. Sie konfrontiert Murot mit dem Leiden ihrer Mutter, und holt damit einen schmerzvollen Teil seines Lebens zurück in die Gegenwart. Eva erpresst mit dem gestohlenen Laptop den betrügerischen CEO von Delphi-Invest, den Raubtierkapitalisten Schöller (Philipp Hochmair). Die femme fatale ist genau das, was Murot gepredigt hat: vorsichtig und achtsam, und düpiert nacheinander den schmierigen Portier bei Delphi Investment, den CEO und schließlich seinen Handlanger Xavier. Am Ende übergibt sie die Daten den Behörden, die eine Razzia bei Delphi-Invest durchführen können, während Eva mit ihrer Partnerin (die sowohl Hackerin als auch Hühnchenhalterin ist) mit dem Motorrad in den Sonnenuntergang davonbraust.

Auf der anderen Seite verbringen wir viel Zeit mit Delphi-Invest-Handlanger Xavier. Seine armen Ohren werden wiederholt von Chef Schöller gezwickt und verdreht, er muss für ein polnisches Pärchen als Boxsack herhalten, bekommt K.O.-Tropfen ab und tappt beim großen Finale in feinster „Kevin – Allein zu Haus“-Manier in eine (Bären-)Falle. Man bekommt fast Mitleid mit dem Mörder, der von allen Seiten getretene Straßenhund mit seinen Dackelaugen. Selbst sein Chef will ihn „entsorgen“, weil er „nicht mehr alles gibt“ und „alt und fahrig“ geworden ist. Aber seine Szenen sind so überzeichnet, dass einem das Mitleid im Halse stecken bleibt.

Das Fazit zum Tatort

„Schlechtes Karma entsteht durch den Eingriff in das Leben eines anderen“, heißt es in der Folge. Interessanterweise trifft Karma vor allem die Alten, die Jugendliche Eva schwirrt durch ihre Leben wie ein Geist der Vergangenheit. Karma wird anhand ironischer Wendungen gezeigt. Murot wird ausgenommen, nachdem er im Vortrag Achtsamkeit gepredigt hat. Die K.O.-Tropfen sorgen noch einen Tag später, dass er nicht richtig sehen kann, und blind bleibt er, auch nachdem er mit seiner potenziellen Tochter ein Gespräch darüber geführt, ob man mit Kindern eigentlich glücklicher ist. Schon zu Anfang der Folge hat er so seine Probleme mit einem Mädchen. Dieser Murot-Tatort hat für Fans von foreshadowing viel zu bieten.

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Raffke Schöller wird gespielt von Philipp Hochmair.

Auf der anderen Seite ist die Folge voller Klischees. Das geht vom Anrempeln mit Taschentausch, einem auffällig piepsenden GPS-Tracker bis hin zum arroganten Portier, der natürlich auf irgendetwas kauen muss, um noch schmieriger zu wirken. Nicht zu vergessen der mittelalte CEO, der so gierig ist, dass er ein Kunstwerk nur nach seinem finanziellen Wert bemisst und der dann ominös aus dem Fenster starrt, während die LKA Beamten sein Gelände verlassen. Beim Satz: „Die Probleme der Menschheit haben angefangen, als sie aufhörten nur rotes Fleisch zu essen.“ kann man in seinem Bösewicht-Bingo ein Kreuz machen. Falls er sich langsam auf seinem Chefsessel zur Kamera gedreht hätte, wäre das nicht weiter negativ aufgefallen.

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Insgesamt halten die überzeichneten Albernheiten den schönen Dingen ungefähr die Waage. Trotzdem ist der Ausstiegspunkt gelungen: Murots kleines Lächeln, nachdem er seinen Vaterschaftstest angeschaut hat. Freut er sich, dass seine Tochter sein Leben gekreuzt hat? Oder amüsiert er sich, dass man ihn zum Narren gehalten hat?