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The The im Carlswerk VictoriaMatt Johnsons dunkle Prophezeiungen

Lesezeit 3 Minuten
Matt Johnson von der Band The The bei einem Konzert im Huxleys Neue Welt in Berlin, 17. September 2024. The The Konzert Berlin *** Matt Johnson from the band The The at a concert at Huxleys Neue Welt in Berlin, September 17, 2024 The The concert Berlin

Trägt vorzugsweise schwarz: Matt Johnson von der Band The The

In den 80ern und frühen 90ern waren sie die Kultband der Musiknerds. Jetzt meldeten sich The The nach Jahrzehnten in Köln zurück.

Schwarz ist die Bühne im Carlswerk Victoria und schwarz tragen auch Matt Johnson und seine vier Mitmusiker. Vor 42 Jahren hat Johnson sein erstes Album veröffentlicht, „Burning Blue Soul“, damals noch nicht unter dem Projektnamen The The. Die Band mit dem Nichtnamen, die eigentlich keine war, nannte zu verschiedenen Zeiten Ex-Smith-Gitarrist Johnny Marr, Neneh Cherry, Bowie-Bassistin Gail Ann Dorsey, Jools Holland und Sinéad O'Connor als Teilzeit-Mitglieder.

Selten traf man den eher verschlossenen Johnson ganz vorne in den Charts an, das hätte er wohl auch nicht gewollt, aber wer sich in den 1980ern und zu Anfang der 90er Jahre für Musik interessierte, der besaß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch eine The-The-Platte, „Infected“ oder „Mind Bomb“.

Mit „Ensoulment“ hat Matt Johnson das erste The-The-Album seit 24 Jahren herausgebracht

Jetzt hat Johnson mit „Ensoulment“ das erste neue Album seit 24 Jahren unter dem bekannten Doppelartikel-Namen herausgebracht, seine Sorge, auf Tour vor leeren Sälen spielen zu müssen, kann man da schon verstehen – aber sie erweist sich als unbegründet. Sie sind alle wiedergekommen, die Fans von einst, und jubeln als die ersten, insistierenden Beckenschläge erklingen und die bluesig verhallte Geistergitarre von Barry Cadogan aufheult. „Some Days I Drink My Coffee by the Grave of William Blake“ – was für ein Titel! – geht dann schon glatt als musikalisch entschlackte Variation von „The House of the Rising Sun“ durch. Textlich geht Johnson dagegen in die Vollen: Das England, wie er es kannte, existiere nicht mehr, klagt er sprechsingend mit Johnny-Cash-Bariton: „Dieses gierige, unangenehme Land hüllt sich in eine Flagge/ Es gibt vor, frei zu sein - eine Diktatur in Drag.“

So geht es eine Dreiviertelstunde lang weiter, da braucht man schon etwas Geduld. Johnson hat das Konzert zweigeteilt, spielt zuerst das neue Album komplett durch, bevor er sich nach einer Pause – endlich – den alten Hits widmet. Sogar, wenn er in „Down by the Frozen River“ an seine Kindheit zurückdenkt, an die im Nachhinein glückliche Entscheidung ohne höheren Schulabschluss in die Welt hinauszuziehen, überhöht er das rein Biografische zur Weltanschauungsfrage. Die anderen seien „übergebildet bis zur Dummheit“, „viele verloren sowohl ihren Geist als auch ihre Freiheit“, „ich entkam mit einem leeren Kopf – aber einem offenen Geist“. Zum Glück ist Johnson nicht irgendwann ideologisch falsch abgebogen, wie der andere berühmte Schulhasser der britischen Populärmusik, Roger Waters. Aber Spaß macht das keinen.

Das treibende Schlagzeug von „Infected“ wirkt dann wie eine Erlösung. Zwar gerierte sich Matt Johnson bereits in den 80ern gelegentlich als Untergangsprophet, beschwor „Armageddon Days (Are Here Again)“ künftige Religionskriege herauf, oder prangerte in „Heartland“ die sozialen Verwüstungen des Thatcherismus und den übermächtigen Einfluss der USA an. Aber er tat das mit lockerem Hüftschwung und ungestümen Vorwärtsdrall.

Und manches ist sogar schlicht schön, oder zumindest bittersüß: die Beziehungsabschlussballade „August & September“ etwa, oder, vielleicht der wahre Höhepunkt des Abends, die erste Zugabe „Uncertain Smile“. Geschrieben in der Privathölle unerwiderter Liebe – „wenigstens hat sie mir dieses Lied gebracht“, kommentiert Matt Johnson – strahlt der Song eine psychedelische Unruhe aus, die das ideale Gegengewicht zu seiner träumerischen Regenbogen-Melodie bildet. Man darf eben nicht nur schwarz sehen.