Der kanadische Superstar The Weeknd trat im Rahmen seiner „After Hours till Dawn“-Tour in der Düsseldorfer Merkur-Spiel-Arena auf.
The Weeknd in der Merkur-Spiel-ArenaWarum in Düsseldorf das Wochenende schon am Dienstagabend begann
Kölner Lokalpatrioten müssen jetzt ganz tapfer sein, aber selten zuvor klang Düsseldorf so schön, wie von Abel Makkonen Tesfaye mit hoch fliegendem Falsett intoniert. Wenn er in Sachen Pop reist, nimmt der Kanadier mit eritreischen Wurzeln bekanntlich die Star-Persona The Weeknd an. Die wolle er demnächst, verkündete er jüngst in einem Interview, beerdigen.
Er verkörpert den innerlich ausgehöhlten Dauerpartygast und reumütigen Drogen-Lüstling nun auch schon seit zwölf Jahren, seit er mit seinem selbst veröffentlichten Mixtape „House of Balloons“ das R’n’B-Genre problematisierte und in der Folge zu neuen Höhen führte, von denen aus die Abgründe umso tiefer aufklafften.
Doch die sind für den Moment vergessen, wir befinden uns mitten in der charmanten Umwerbungsphase. Wenn er will, kann The Weeknd - ganz in jungfräuliches Weiß gekleidet - so verführerisch klingen, wie der Michael Jackson der Off-the-Wall-Ära.
Er steht unter einem gigantischen, aufblasbaren Mond auf der kleinen Bühne am Ende des Laufstegs, der beinahe den gesamten Innenraum der Merkur-Spiel-Arena durchmisst, und probiert aus, wie sehr sich die drei Silben der nordrhein-westfälischen Hauptstadt melismatisch ausschmücken lassen: „I would die for you, I would lie for you, I would kill for you, Düsseldorf. Dühühüsseheheldououorf!“
Dann nimmt er das Tempo raus, die Euphorie verhallt, die Stimmung wird zunehmend narkotisch, die Gefühle, im Gegensatz zum durchdringenden Gesang, vernebelt. War die Liebe ein Irrtum? Hat er nur gelogen, als er sagte, sie bedeute ihm nichts? Oder hat sie seine Zeit verschwendet?
Beim nächsten Stück („The Morning“) graut der Morgen, das Hoch ist verflogen, man isst Frühstücksflocken in Wodka-Likör getränkt, dann bricht sie auf und der Zurückgelassene fragt sich, ob es nicht die ganze Zeit nur ums Geld ging: „All that money, the money is the motive“, ein zynischer Refrain, den das Düsseldorfer Publikum, es sind um die 50.000, umso enthusiastischer mitsingt.
Es ist Pop, der nur noch hohle Freuden verspricht, der ebenso berauschend wie toxisch ist, der die Enttäuschung einkalkuliert hat. Vielleicht verzichtet der 33-Jährige deswegen fast völlig auf vorgetäuschte Nähe. Die erste Hälfte seines Sets bestreitet er unter einer silbernen Maske, möglicherweise eine Hommage an den vor kurzem verstorbenen Rap-Heroen MF Doom, ganz sicher eine überdeutliche Metapher.
Als er sie endlich abnimmt, sieht er darunter verschwitzt und etwas erschöpft aus, aber immerhin lächelt er jetzt, hält die Maske hoch, betrachtet sie, spiegelt sich in ihr und versucht das, was er darin sieht, zu lieben. „Faith“ heißt der Song, den er dazu singt. In ihm fällt der Protagonist allerdings erstmal vom Glauben ab, die zögerliche Selbstakzeptanz ereilt ihn erst nach einer Nacht, die er nur mithilfe von Koks, Hasch und Hustensaft überstanden hat.
Klageweiber für The Weeknds Katerstimmung
Weiß verhüllte Tänzerinnen, fast 30 an der Zahl, begleiten die Show. Man denkt an Nonnentrachten, an Burkas, an „The Handmaid’s Tale“. Der Sänger interagiert erstaunlicherweise kein einziges Mal mit ihnen. Jetzt krümmen sie ihre Körper und schütteln die Hände in der Luft wie Klageweiber, ein kommentierender Chor zu den vielfältigen Versuchungen ihres Herrn.
Das gesamte Setting hat etwas Apokalyptisches. Die Hauptbühne besteht aus den Fassaden berühmter Gebäude. Man erkennt das Chrysler Building, Torontos CN Tower, eventuell St. Paul’s Cathedral. Egal. Es dauert nicht lange, bis die Bauten in Flammen aufgehen, die Stadt zur dystopischen Landschaft wird, in deren Ruinen drei Musiker spielen.
The Weeknd aber hält sich die meiste Zeit auf dem Laufsteg auf, in dessen Mitte eine Roboterdame wie eine überdimensionale Kühlerfigur aufragt, designt übrigens vom berühmten japanischen Illustrator Hajime Sorayama, der seinen Fetisch für chromglänzende Frauen seit vielen Jahrzehnten mit der Öffentlichkeit teilt. Die öffnet manchmal das Visier, leuchtet gefährlich in die Zuschauermenge, die mit LED-Armbändern ausgerüstet ist, die in korrespondierenden Farben blinken.
Als der Sänger schließlich „Less Than Zero“ vom letztjährigem Album „Dawn FM“ anstimmt, scheint die reine Pop-Freude die dunklen Gedanken zu vertreiben. Zitierte der Titel nur nicht Bret Easton Ellis‘ Klassiker über drogenbetäubte reiche Jugendliche – und wäre die Null hier nicht der Sänger selbst in den Augen einer desillusionierten Ex-Freundin. Aber das ist die hohe Kunst des Abel Tesfaye: Ernüchterung und Ambivalenz in strahlenden Pop zu verwandeln. In seiner HBO-Serie „The Idol“ ist das alles ein wenig unappetitlich und, viel schlimmer, langweilig ausgefallen. Aber seine Live-Show ist ein Triumph.
Am Strahlendsten natürlich beim Überhit „Blinding Lights“. Hunderte von Scheinwerfern werfen Säulen an die Decke der Arena, unweigerlich denkt man an Albert Speers Lichtdom. Aber der Moment ist viel zu stark für kritische Reflexionen. Die aufstrebenden Keyboard-Akkorde klingen wie ungetrübtes Glück. Aber die Scheinwerfersäulen, denkt man auf dem Weg nach Hause, waren wohl auch Gitterstäbe und hinter ihnen keine Welt, nur Ruinen.