Das Theater der Keller führt Max Frischs „Der Mensch erscheint im Holozän“ in Köln auf. Das Stück ist eine Parabel über das eigene Verschwinden.
Theater der KellerDieses Stück von Max Frisch hat etwas Prophetisches
Der alte Mann und der Berg. Tagelang hat es in das Tal im Tessin eingeregnet, bis das Gebirge ins Rutschen kommt und den greisen Geiser in seiner abgelegenen Hütte festsetzt. 1979 erschien die Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän“ von Max Frisch, als poetische Parabel über das eigene Verschwinden im körperlichen Verfall und im Vergessen.
Einen unsicheren Ich-Erzähler hat uns der Schweizer Schriftsteller in diesem Spätwerk präsentiert, das hierzulande nicht nur wegen seiner Kürze von gerade einmal 143 Seiten kaum wahrgenommen wurde. Heute in Zeiten eines sich dramatisch zuspitzenden Klimawandels und einer gleichzeitigen Überalterung der Gesellschaft bekommt der Text in der stimmigen Inszenierung von Ronny Miersch am Theater der Keller geradezu prophetische Dimensionen, die weit über einen autobiografisch gefärbten Ausblick ins Alter hinausgeht.
Das Stück kommt im Theater der Keller mit wenig Bühnenausstattung aus
Das einzige Bühnenelement: ein Stuhl, auf dem der mit seinem schwindenden Gedächtnis kämpfende Geiser thront wie ein misanthropischer Monarch, dem die Natur spöttisch und unerbittlich den Spiegel vorhält. Für die selbsternannte„ Krönung der Schöpfung“ geht es mit dem Verlust der Erinnerungen ins Exil. Mit kräftiger Sprachgewalt kämpft Thomas Balou Martin als Geiser gegen den Regen und das Gewitter an.
Fast schon manisch brüllt er unterschiedliche Klassifizierungen von Donner in ein Mikro, während der Nebel unheilschwanger und bedeutungsschwer über die Bühne wabert. Diesen der Senilität anheimfallenden Sisyphos kann man sich nur schwerlich als glücklichen Menschen vorstellen. Wie gut, dass die Regie diesem ausweglosen Kampf gegen den eigenen Untergang mit den fünf jungen Schauspielschülerinnen einen gelungenen Gegenpol an die Seite gestellt hat. Aus dem melancholischen Monolog wird so ein fantasievolles Wechselspiel mit einer großen emotionalen Farbpalette.
Der Mensch erscheint im Holozän
Mal treten die Schauspielerinnen Josephine Becker, Maia Büchel, Julia Flad, Hannah Kuzniarek und Antonia Sonntag wie düstere Geistergestalten aus Geiser erodierenden Hirn auf, dann wieder entfalten sie als komische Verkörperungen von Geisers unkontrollierbarer Fantasie schalkhaften Witz. Das trällernde Mäusetrio aus „Ein Schweinchen namens Babe“ lässt grüßen, wenn die beschwingten Geister ironisch „Happy“ anstimmen, während Geiser einen letzten Ausbruchversuch wagt.
Sein Bemühen ins nächste Tal zu wandern, endet in einem Fiasko und ist hier im Stück der Schluss- wie Höhepunkt der Inszenierung. Schlagartig wie das Wetter im Gebirge ändert sich die Stimmung. Geisers forscher Optimismus beim Aufbruch mündet in purer Verzweiflung. Mit letzter Kraft gelingt ihm der Rückzug in die Hütte, wo ein Schlaganfall die nächste Etappe seines Endes einläutet.
Erzählt wird diese finale Niederlage vom Chor, der den traurigen Wanderer eng umschließt, wie eine (er)drückende Last. Es ist ein ebenso dramatischer wie lakonischer Schlusspunkt. Erkennt doch Geiser in seinen lichten Momenten, dass seine persönliche Katastrophe, die hier als Menetekel für künftige Menschen, als Chronik eines angekündigten Untergangs erzählt wird, für die Natur ohne Bedeutung bleibt. Traumschön, aufwühlend und tieftraurig gerät dieser Theaterabend, der zurecht mit großem Applaus vom Premierenpublikum bedacht wird.
Zur Veranstaltung
Der Mensch erscheint im Holozän. Nächste Termine: Theater der Keller, 27.4., 9.,10. + 22.5., jeweils 20 Uhr.