In sozialen Netzwerken werden schwere Vorwürfe gegen Till Lindemann erhoben. Der Rammstein-Frontmann hat das Machtgefälle zwischen großem Idol und jungen weiblichen Fans wohl verstörend ausgenutzt.
„Row 0“ und Aftershow-PartyDas Fan-Castingsystem für Rammstein-Sänger Till Lindemann
Rammstein – das heißt Anecken. Die wohl erfolgreichste deutsche Band der Gegenwart provoziert: Brachiales Auftreten bei Konzerten, ein sexualisiertes Spiel mit Gewalt auf der Bühne, unterfüttert von brutalen Gitarren und einem Rhythmus, der einem Militärmarsch gleicht. Rammstein will ein Affront sein.
Die Band füllt Stadien, so auch auf der aktuellen Tour. Die Tickets sind begehrt und die größten Fans stehen nicht in Reihe eins, sie dürfen in die „Row 0“, die Reihe null. Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ bestätigen: Rund um die Band existiert eine Art Casting-System für meist junge, weibliche Rammstein-Fans, für Groupies. Und wer für „Row 0“ ausgewählt wurde, kann Einladung zu Partys mit der Band und Frontmann Till Lindemann nach den Konzerten erhalten – und zumindest in einigen Fällen soll es dort zu Machtmissbrauch gekommen sein.
Shelby L. erhebt Vorwürfe nach Rammstein-Konzert in Vilnius – Berichte belasten Till Lindemann
Zunächst hatte die Irin Shelby L. in der vergangenen Woche Vorwürfe nach einem Rammstein-Konzert im litauischen Vilnius veröffentlicht. Sie postete ein Foto von sich, auf dem ein großer blauer Fleck auf Hüfthöhe zu sehen ist. Ihr Vorwurf lautet, dass ihr etwas in ihren Drink gemischt wurde. Sie suggeriert, dass der blaue Fleck im Rahmen des Rammstein-Konzerts – möglicherweise durch Gewalt – entstanden sei.
Sie habe nur zwei Drinks bei einer Party im Umfeld des Rammstein-Konzerts getrunken. Rammstein-Sänger Till Lindemann habe auch Tequila-Shots verteilt. „Ich weiß nicht, wann das passiert ist oder wie”, schrieb sie mit Bezug zu dem Hämatom auf dem Foto. Sie erzählt, dass Till Lindemann versucht haben soll, sie zum Sex zu überreden, sie aber abgelehnt habe. Er habe das Nein akzeptiert, aber aggressiv reagiert. Zu sexuellen Übergriffen kam es laut Shelby L. nicht.
Rammstein äußerte sich zu den Vorwürfen via Twitter so: „Zu den im Netz kursierenden Vorwürfen zu Vilnius können wir ausschliessen (sic!), dass sich was behauptet wird, in unserem Umfeld zugetragen hat. Uns sind keine behördlichen Ermittlungen dazu bekannt.“
Die „Süddeutsche Zeitung“ und „tagesschau.de“ veröffentlichten am Freitag Statements von weiteren Frauen, mit teilweise weiterreichenden Vorwürfen gegen Rammstein-Sänger Lindemann. Ihre Angaben zum Ablauf der Vorfälle ähneln den Schilderungen von Shelby L. und seien durch eidesstattliche Versicherung untermauert.
Neue Berichte belasten Rammstein-Sänger Till Lindemann schwer
Was fast alle Fälle verbindet, ist eine Art Casting-System für die Groupies, also besonders leidenschaftliche Fans. Dass es das System gibt, geben sowohl Kritikerinnen als auch Rammstein-Fürsprecherinnen an, zeigen Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Fans, die optisch ins Bild passen, erhalten die Chance, ihren Idolen ganz nah zu sein. Sie stehen bei Konzerten direkt vor der Bühne, noch vor dem Drängelgitter, wo die restlichen Fans stehen. Es ist ein handverlesener Fan-Kreis.
Eine zentrale Person ist offenbar die Lindemann-Vertraute Alena M. Sie teilte über die Jahre zahlreiche Fotos mit Lindemann bei Instagram, schreibt in ihrem Profil, dass sie derzeit mit Rammstein auf Tour sei und nennt sich selbst „Casting Director“ – Casting-Direktorin.
Alena M. ist unter den Fans, speziell unter den Groupies bekannt. Der Tenor ist: Wer als Fan nah an Rammstein herankommen will, der muss sich an Alena M. wenden. Die „Casting-Direktorin“ fordert junge Frauen den Informationen zufolge auf, Fotos von sich zu schicken, um zu überprüfen, ob sie ins Profil passen – sexy Outfits, Gothic-Chic und gute Party-Laune scheinen als Pluspunkte zu gelten.
Sollte ein Fan ins Bild passen, wird sie in eine Whatsapp-Gruppe für das jeweilige Konzert eingeladen. Von dort aus wird der weitere Kontakt beim Konzert und mögliche Partys mit der Band koordiniert. Auch Shelby L. teilte einen Chat-Verlauf mit der „Casting-Direktorin“, der zeigen soll, wie der Kontakt für das Konzert in Vilnius am 22. Mai entstand. Die Echtheit des Chats lässt sich nicht unabhängig überprüfen.
Sie erklärte auch, dass sie sich am Tag nach dem Konzert an die Polizei in Vilnius gewandt habe, um sich auf Drogen oder mögliche Stoffe, die in ihren Drink gemixt wurden, testen zu lassen. Diese Tests waren nach ihren ersten Aussagen der Irin negativ. Nach Angaben der litauischen Strafverfolgungsbehörden wurde die Frau medizinisch versorgt, als sie sich an die Polizei wandte, aber sie gab keine Erklärung ab und hatte „keine Beschwerden“, berichtet der litauische Sender „LRT“. Shelby L. beteuerte in den vergangenen Tagen mehrfach, dass sie sich eine genauere Untersuchung durch die Polizei gewünscht habe: „I begged them“ – „Ich habe sie angefleht“, sagte sie zuletzt in einem Video.
Auf Anfrage des Kölner Stadt-Anzeiger reagierte die Polizei in Vilnius bislang nur knapp: „Solange das Verfahren zur Überarbeitung der Informationen noch nicht abgeschlossen ist, werden keine weiteren Einzelheiten bekannt gegeben”, hieß es in einer E-Mail-Antwort der Polizei auf Englisch. Seitdem gibt es keine neuen Informationen von der Polizei in Vilnius.
Groupie-Tum ist kein neues Phänomen, quasi schon immer galt es als Teil der Kultur Sex, Drugs und Rock’n’Roll. Vieles passiert wohl im gegenseiteigen Einverständnis. Das Machtgefälle auf Aftershow-Partys ist riesig: Junge Frauen bekommen die Chance, ihre großen Idole zu treffen. Für einige vielleicht eine einmalige Gelegenheit im Leben. Doch die Grenze zu Handlungen gegen den eigenen Willen der Fans, scheint leicht überschritten zu werden. Bei Rammstein befeuert durch ein Casting-System.
Fragen zu den Vorwürfen ließen Rammstein, Till Lindemanns Management und die „Casting-Direktorin“ bislang unbeantwortet.