Mariann Edgar Budde appellierte im Gottesdienst direkt an die Barmherzigkeit des US-Präsidenten. Der schäumte vor Wut.
TodesdrohungenWie eine Bischöfin Trump entlarvte
In ihrer blumenverzierten Kalksteinkanzel thront Mariann Edgar Budde zwei Meter über dem Präsidenten der USA. Es ist dieselbe Kanzel, von der Martin Luther King Jr. seine letzte Sonntagspredigt gehalten hat, vier Tage vor seiner Ermordung. Nach ihrer Predigt wird auch die Bischöfin Todesdrohungen bekommen. Dabei beendet sie diese, ihrer erhobenen Position zum Trotz, mit einer Demutsgeste.
„Im Namen unseres Gottes“, wendet sich Budde direkt an Donald Trump, „bitte ich Sie, haben Sie Erbarmen mit den Menschen in unserem Land, die jetzt Angst haben.“ Sie spricht von schwulen, lesbischen und transgeschlechtlichen Kindern, die in Familien aller politischen Überzeugungen vorkommen. Von nicht registrierten Einwanderern, die Steuern zahlen und gute Nachbarn sind. Sie bittet um Gnade für Kinder, die fürchten, dass ihnen die Eltern weggenommen werden.
Donald Trump muss Mariann Budde eine Viertelstunde lang zuhören
Es ist der Inaugurationsgottesdienst in der Washington National Cathedral, es ist die einmalige Gelegenheit, eine Viertelstunde lang ununterbrochen zum Präsidenten von christlicher Ethik zu sprechen. Der gibt sich völlig ungerührt. Sein Stellvertreter, JD Vance, schüttelt entrüstet den Kopf. Neben ihnen sitzen ihre Frauen, selbst Immigrantinnen oder Töchter von Immigranten.
Am Tag zuvor hatten fünf Geistliche während der Vereidigungszeremonie dem Präsidenten ihren Segen ausgesprochen und Gott dafür gedankt, dass er Donald Trump durch seine mächtige Hand aufgerichtet habe, als seine Feinde ihn am Ende wähnten. Es fiel kein kritisches Wort, kein Kardinal erinnerte Trump – der in seiner Antrittsrede behauptet hatte, von Gott gerettet worden zu sein, um Amerika wieder groß zu machen – an die Grundpfeiler des christlichen Glaubens. Zu denen die Barmherzigkeit gehört.
JD Vance schüttelt empört den Kopf
Vor ihrer Predigt, erzählt die Bischöfin in einem Interview am Dienstagabend, habe sie sich gefragt: Wird denn niemand etwas zu der Wende sagen, die das Land gerade nimmt? Mariann Budde will nicht schweigen. Doch statt von oben herab zu sprechen, appelliert sie an das Mitgefühl des mächtigsten Mannes der Welt.
Wie dieser Appell bei ihm ankommt, sieht man am nächsten Morgen: Trump schimpft sie eine „linksradikale Hardlinerin“, „böse im Ton und nicht überzeugend oder klug“. Seine Anhänger sprechen ihr als Frau jegliche spirituelle Autorität ab, fordern ihre Deportation oder wünschen ihr, „dass ich meinem ewigen Schicksal eher früher als später begegne“, wie es die unerschrockene Episkopalin formuliert.
Kann man das denn Mut nennen, im Schutz des Amtes Selbstverständlichkeiten auszusprechen? Man muss es: Denn in Trumps Amerika ist Mitmenschlichkeit ein Skandal und wer sich auf die Werte des Neuen Testaments beruft, macht sich unter den Maga-Christen verdächtig. Das ahnten wir schon, klar.
Aber Mariann Edgar Budde hat den Beweis geführt, hat gezeigt, wer da in der ersten Reihe der Kathedrale von Washington sitzt. Gott ist ihr Zeuge und die ganze Welt hat es gesehen.