Tom Schilling über den „TKKG”-Film„Ein Schauspieler fürchtet Kinder und Tiere”
- Während seiner Jugend in der DDR konnte Schauspieler Tom Schilling keine „TKKG“-Folgen hören.
- Die Arbeit mit Kindern und Tieren hat ihm für den neuen Kinofilm „TKKG” am meisten Spaß gemacht – aus einem bestimmten Grund.
- Ein Gespräch über „Method Acting”, den Unterschied zwischen Musizieren und Schauspielen und Modebewusstsein in Filmen.
Gibt es von Ihrer Seite eine persönliche Bindung zu „TKKG“?
Tom Schilling: Naja, ich besaß mal eine Kassette, die mir aber nicht sonderlich wichtig war, wie ich ehrlich gestehen muss. Ich bin in der DDR aufgewachsen und da gab es „TKKG“ nicht. Und als ich dann Zugriff hatte, da war ich aus dem Alter dafür schon heraus und andere Sachen interessierten mich mehr. Ich habe „TKKG“ also knapp verpasst.
Und nun wieder eingefangen. Spielen Sie in „TKKG“ Ihre erste erwachsene Rolle?
Hm, kommt drauf an, wie man erwachsen definiert. In „Werk ohne Autor“ spiele ich einen bekannten Maler, der am Ende des Films 36 ist und sich auch so benimmt.
In der Tat, aber die meiste Zeit im Film sind Sie doch der Schwiegersohn in der Defensive.
Ja, aber das ist das Spannungsfeld, in dem der Film sich bewegt. Schwiegersohn ist man ja nicht als Kind, sondern als Mensch, der selber Kinder hat.
Am Ende von „TKKG“ schreien Sie den Satz: Nie wieder Kinder! Darf man das metaphorisch auffassen, dass Sie Ihre Lektion mit Kindern und Tieren nun hinter sich gebracht haben?
Nein, ganz im Gegenteil. Es war zwar mein erster Film mit Kindern und einem Hund, aber es war halb so wild. Die Arbeit mit Kindern und Tieren macht mir beim Film tatsächlich am meisten Spaß. Natürlich ist auch was dran, dass der Schauspieler Kinder und Tiere fürchtet, weil sie ihm die Schau stehlen. Denn Kinder und Tiere haben eine Natürlichkeit, die der Schauspieler herstellen muss, was mitunter sehr mühsam sein kann.
Was also sorgte hier fürs Wohlgefühl?
Ich fühlte mich immer wieder gern an meine eigene Kindheit erinnert. Ich war ja selber Kinderdarsteller und bin in diesem Punkt sehr empathisch.
Ihr ursprüngliches künstlerisches Ziel war es, Malerei zu studieren. Haben Sie es bedauert, dass es nicht dazu kam?
Ja, oft. Ich kann gut zeichnen. Ob man deshalb ein großer Maler wird, ist eine andere Frage. Zeichnen ist ja nur die Grundlage. Aber als Jugendlicher habe ich viel gezeichnet und gemalt.
Kartographieren wie Ihre Eltern war aber kein Thema?
Überhaupt nicht, nein. Es kann aber sein, dass ich etwas von der Präzision dieses Berufs auf andere Tätigkeiten übertragen habe.
Gibt es ein Rollenfach, dem Sie sich besonders zugehörig fühlen?
Sagen wir so: Ich fühle mich Filmen zugewandt, die doppelbödig und komplex sind, was dann auch für die Figuren gilt. Ich habe wenig Freude an Vereinfachungen wie dem klassischen Bösewicht oder dem klassischen Helden. Das finde ich es ungleich reizvoller, wenn ein scheinbar einfacher Film wie „Die Goldfische“ seine Momente einer gewissen Ambivalenz und Tiefe hat. Und das gefällt mir, wenn Leute nicht so eindeutig gezeichnet sind und dann auch nicht so einfach zu lesen sind. Man braucht diesen Facettenreichtum, wenn man als Schauspieler Menschen abbilden will.
Kann man sagen, dass es bei Ihren Rollen einen schmalen Grad zwischen Opfer und Täter gibt?
Ja, das umschreibt es ganz gut.
Wie passt sich da „TKKG“ ein?
Im Rahmen eines Kinderfilms ist meine Rolle schon reizvoll, weil sie ja als einzige ein doppeltes Spiel treibt. Ich bin der Wolf im Schafspelz. Das ist zumindest mal nicht eindeutig. Und so wollte ich das für meine erste Rolle in einem Kinderfilm auch haben.
Sie haben als Schauspieler eine faszinierende Unverwechselbarkeit, gerade auch dadurch, wie Sie in den Filmen gekleidet sind.
Hm, das ist vielleicht ein eher unbewusster Prozess, oder eine Einschätzung von Kostümbildnern, die denken, dass Hut, Anzug und Krawatte etwas mit mir zu tun haben oder dass mich das gut kleidet. Die Figur hat ja das an, wovon man glaubt, dass sie das tragen muss. Das ist aber das Resultat einer gemeinsamen Arbeit. Vielleicht ist es ja so, dass ich ein ähnliches Geschmacks- oder Stilempfinden mit den jeweiligen Regisseuren teile.
Die Möglichkeit besteht natürlich.
Es gibt ja auch Filme, wo es gar nichts für einen mitzureden gibt, weil die Geschichte schon vorgibt, was die Figur zu tragen hat. In einem Kriegsfilm wie „Unsere Mütter, unsere Väter“ liegt es auf der Hand, dass ich da nicht in Hut und Anzug durchs Bild spaziere. „Oh Boy“ wiederum ist sehr geprägt vom französischen Film, und das ist ein Stilempfinden, das ich persönlich gern teile.
Sie waren 2006 Stipendiat am Lee-Strasberg-Studio in New York. Wurden Sie dort zum method actor?
Ja, aber das war ich vorher auch schon. Die landläufige Meinung von der Methode fußt auf dem Missverständnis, dass wenn ich einen Junkie spiele, ich deswegen vorher selber Drogen nehme, damit die Darstellung realistischer wird. Tatsächlich versucht Method Acting Leuten, die gar keinen Zugang zur Schauspielerei haben, zu erklären, wie man Gefühle herstellt. Dazu gehört es, dass man sich auf der Bühne für gewisse Szenen Dinge überlegt, die einen persönlichen Bezug haben.
Haben Sie ein Beispiel parat?
Nehmen wir eine Szene, in der es um Verlust geht. Um ein entsprechendes Gefühl zu evozieren, rufe ich mir den Verlust eines geliebten Haustieres vor Augen. Ein Gegenstand wie ein Halsband oder eine Vorstellung von Geruch oder eine Visualisierung sind dann Möglichkeiten, um das Gefühl von Verlust zu erspüren. Andere Facetten gestalten sich entsprechend nuancierter oder komplexer.
Brauchten Sie die Methode denn, wenn Sie das vorher schon drauf hatten?
Ein geborener Schauspieler, und die meisten guten Schauspieler sind es wahrscheinlich von Geburt an, braucht das wohl nicht auf einer Schule zu lernen; oder jedenfalls nur bedingt. Anders verhält es sich mit einer guten Sprache. Die kann man ebenso lernen wie die Analyse eines Stückes, um dann leichter eintauchen zu können. Aber die Fähigkeit, vor Leuten in einer Szene auf der Bühne ein Gefühl zu erspüren und ihm Ausdruck zu verleihen, liegt im Schauspieler drin. Ich versuche alles so persönlich wie möglich aufzuladen, und ich denke, das ist dann Method Acting.
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Welche Rolle würde dem exemplarisch entsprechen?
Alle! Wann immer eine Rolle Betroffenheit, Wut oder Glück ausstrahlt, dann ist das immer meine persönliche Gefühlsregung. Das gilt auch dann, wenn eine Figur sich in einer Situation befindet, die mit meinem Leben rein gar nichts zu tun hat. Meine Rolle in „Oh Boy“ etwa lebt zwar wie ich in Berlin, und wir teilen auch die Bereitschaft zum Selbstzweifel. Aber diese Gelähmtheit im Leben, dieses nicht zu wissen, wohin es gehen soll, das hat rein gar nichts mit mir zu tun.
Sie sind auch auf dem Audiosektor umtriebig.
Ich habe Hörbücher gemacht, unter anderem „In Stahlgewittern“ von Ernst Jünger. Das waren in der Summe zwölf CDs, die in einer Woche eingelesen wurden. Aber lieber und besser bin ich in Hörspielen. Und hier sind wir in einem Bereich, den man sehr gut auf einer Schauspielschule lernen kann – nämlich gut zu lesen.
Ihr neuer Film ist bereits abgedreht.
Genau, „Lara“, von Jan Ole Gerster. Der wird aber keine Komödie sein, wie das mancherorts bezeichnet ist. Er hat zwar seine merkwürdigen und lakonischen Momente, aber er ist doch einiges dunkler als zuvor „Oh Boy“. Es geht um klassische Musik, um Erziehung und verlorene Träume, auch um Perfektion. Sie ahnen es, ich spiele einen Musiker.
Welche Instrumente spielen Sie persönlich?
Klavier und Gitarre; aber vorzugsweise zu Hause. Wenn ich auftrete, kommt nur ein bisschen Gitarre in Frage.
Sie singen also? Das erfordert aber auch eine Menge Mut, oder?
Naja, erst mal schreib ich gerne Lieder und habe mir 2017 den Traum erfüllt, eine Platte aufzunehmen. Und die muss man dann eben aufführen, was Spaß macht – teilweise. Als Sänger entäußert man sich noch mehr als als Schauspieler. Die Musik, die ich schreibe, ist so persönlich, dass es keine Ausflucht zum Verstecken mehr gibt.
Die Band nennt sich The Jazz Kids. Der Name gibt die Richtung vor?
Überhaupt nicht. Das ist eine Irreführung ohnegleichen. Es sind zwar alles arrivierte Jazzmusiker, aber sie spielen keinen Jazz. Und Kindliches hat es auch nichts an sich. Die Texte sind existenzialistisch und musikalisch haben wir auch wenig bis nichts in Dur in petto.
Zur Person
Tom Schilling, 1982 in Ost-Berlin geboren, wurde gleich mit seinen ersten Kinorollen in „Crazy“ und „Verschwende deine Jugend“ als interessantestes Schauspieltalent seiner Generation gefeiert. Variationsreich und dennoch unverwechselbar verkörperte er unter anderem bei Leander Haußmann und Oskar Roehler jugendliche Typen zwischen Unsicherheit und Selbstzweifel. Für seine Rolle in „Oh Boy“ bekam er 2013 den Deutschen Filmpreis. Im Mehrteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ und „Brecht“ setzte er auch im Fernsehen Akzente.
Der "TKKG"-Film läuft zurzeit im Kino.