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Trude Herr zum 95. GeburtstagSie erblühte im Schmutz der Kölner Straßen

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Trude Herr Gesamtschule

Trude Herr

Köln – Den legendären Auftritt in Jürgen von der Lippes WDR-Show „So isses“ findet man noch auf Youtube: Der Theaterprospekt zeigt eine Straße, die sich in der Unendlichkeit verliert. Davor stehen Tommy Engel, ganz in Jeans, und Wolfgang Niedecken mit brauner Lederjacke. Zwischen ihnen, ein Bein auf dem Boden, das andere auf einem Barhocker abgelegt, Trude Herr. „Wenn man Abschied nimmt, geht nach unbestimmt“, sprechsingt sie, „mit dem Wind, wie Blätter weh’n.“

Dann ist Niedecken an der Reihe. Und während er näselnd „Horizont, Salz und Teer“ heraufbeschwört, lässt die Herr ihren Kopf an seinen Schultern ruhen. Wenn sie dann wieder singt, tut sie das wie aus tiefem Schlaf, eine kölsche Schamanin.

Trude Herr rebellierte gegen alles, was an Köln schwer zu verdauen war

Am 4. Mai wäre Trude Herr 95 Jahre alt geworden, tatsächlich ist sie bereits im Alter von 63 Jahren gestorben, keine vier Jahre nach diesem kleinen Fernsehauftritt für die Ewigkeit. Doch wenn eine niemals so ganz geht, dann ist und bleibt es die Herr, die alles verkörperte, was Köln so liebenswert und besonders (wenn auch nicht besonders schön) macht und die gegen alles rebellierte, was an dieser Stadt und auch an Nachkriegsdeutschland schwer zu verdauen war und ist.

Trude Herr, groß geworden als Kind eines kommunistischen Lokomotivführers, den die Nazis ins KZ gesteckt hatten, in der Kiesgruben-Wüstenei der Kalk-Mülheimer-Straße. Trude Herr, das dralle Knallbonbon in den dümmlichen Komödien des Wirtschaftswunders. Eine darstellerische Naturgewalt, die wusste, dass ihr komisches Talent der Weg aus der Armut war. Die sich dennoch auf Demos gegen die NPD oder als Barfrau in der Schwulenkneipe „Barbarina“ an der Hohe Pforte wohler fühlte, als unter jenen Karnevalspräsidentengattinnen, die sie in einer beißenden Nummer parodierte, die zu ihrem endgültigen Abschied aus der Bütt führen sollte. „Ich sage was ich meine, geh’ ich auch daran kaputt“, sang sie später.

Auf der Bühne war sie viel lustiger als wenn sie „Ich will keine Schokolade“ sang

Die unzensierte Bühnen-Herr ist denn auch viel lustiger als die Ulknudel aus dem Farbfilm oder vom „Ich will keine Schokolade“-Schlager. Auch das kann man auf Youtube finden: Wie sie in „Scheidung auf Kölsch“ wild entschlossen eine Sahnetorte in sich hineinschaufelt und auf den Hinweis ihrer besten Freunden, dass ihr Mann sie auch deshalb verlassen haben könnte, weil sie in letzter Zeit so auseinandergegangen sei, pampt: „Der weiß genau, das sind bei mir die Drüsen.“ Mit der „Scheidung“ gastierte sie noch im Millowitsch-Theater, aber sie wollte ihre eigene Frau sein, auch wenn sie keine einfache Zeitgenossin war - oder gerade deswegen.

Also gründete sie 1977 ihr „Theater im Vringsveedel“ – auf der Severinsstraße, dort wo heute das Odeon-Kino ist – wo sie dann konsequent alles selber machte: Stücke schreiben, Kostüme nähen, inszenieren und die Hauptrolle spielen. Das Millowitsch war ihr zu glattgebügelt und harmoniesüchtig, ihr Volkstheater sollte die Kölner so zeigen, wie sie waren. Die kamen in Scharen, doch die Stadt verweigerte jede Bezuschussung. Am Ende waren die Fixkosten zu hoch und Herrs Gesundheit machte auch nicht mehr mit.

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Sie flüchtete auf die Fidschi-Inseln und ins südfranzösische Aix-en-Provence, wo im März 1991 ihr Herz versagte. Aber beerdigt ist sie auf dem Kölner Nordfriedhof, wie sich das für die „Cleopatra von Niehl“ gehört.

Nico, die andere große Diva aus Köln, konnte nicht schnell genug aus der Enge der kaputten Stadt flüchten. Trude Herr dagegen erblühte im Schmutz der Straßen. So glamourös, verrufen und international wie Nico, das wären wir gerne. Dabei sollten wir lieber ein bisschen mehr Trude Herr wagen.