Udo Kier ist Weltstar und lebendes Kunstwerk. Zu seinem 80. Geburtstag ehrt ihn der Kölnische Kunstverein mit einer großen Ausstellung.
Udo Kier wird 80„Ich bin der international bekannteste Kölner“
Willkommen zurück in Köln, Herr Kier! Wie lange werden Sie bleiben?
Noch bis zur nächsten Woche, am Montag trage ich mich ein in das Goldene Buch der Stadt ein. Dafür musste ich erst 80 Jahre alt werden, das hätte ruhig früher passieren kann, zusammen mit meinem Freund Benedikt Taschen bin ich der international bekannteste Kölner. Ich bin in Köln unter den dramatischsten Umständen geboren.
Die haben Sie sehr eindringlich in Lars von Triers Film „Epidemic“ erzählt. Ihre Mutter ist mit ihnen nach einem Bombenangriff im Kriegsjahr 1944 verschüttet worden.
Sie hat mir die Geschichte erzählt, als ich 14 oder 15 Jahre alt war. Die Krankenschwester hatte auf der Geburtstation alle Babys eingesammelt, um sie zu waschen, nur meine Mutter hat darum gebeten, mich noch ein bisschen länger halten zu können. Dann gab es Alarm und die Wand fiel um, die Krankenschwester schmiss sich über die Kinder, um sie zu schützen. Aber sie sind alle gestorben. Nur meine Mutter hatte Glück, weil ihr Bett in einer Ecke stand. Mit der einen Hand hielt sie mich fest, mit der anderen grub sie in stundenlanger Arbeit ein Loch durch die Trümmer. Manchmal habe ich eine Vision, sehe Trümmer und eine Hand, die daraus winkt.
In dieser Trümmerlandschaft wuchsen Sie in Köln-Mülheim auf.
Ja, in der Düsseldorfer Straße, gleich am Rhein. Ich war mit meiner Mutter allein, einen Vater gab es nicht. Im Grunde genommen bin ich vegetarisch erzogen worden. Es reichte nur für Suppe, von montags bis samstags gab es Bohnensuppe, Erbsensuppe, Linsensuppe und jeden Sonntag ein Stück Fleisch und einen Pudding mit Himbeersoße und einen grünen Salat. Und ich bekam 50 Pfennig und durfte ins Kino. Ich bin immer gelaufen, kam aber immer zu spät und musste stehen.
Was haben Sie am liebsten gesehen?
Filme mit Errol Flynn, Piraten, Fernweh.
Sie haben sich trotzdem anfangs für eine bürgerliche Existenz entschieden.
Ich habe eine Lehre angefangen, um meine Mutter glücklich zu machen, in Köln-Kalk, Werkzeuggroßhandlung, drei Jahre Lehre für 50 Mark im Monat. Dazu hatte ich irgendwann keine Lust mehr und fing bei Ford in Köln-Niehl am Fließband an, wo ich jeden Morgen mit einem Schiff mit türkischen und griechischen Gastarbeitern über den Rhein fuhr. Mit dem Geld bin ich nach London gereist, um Englisch zu lernen in der Oxfordstraße. Ich wollte nicht Schauspieler werden, mein Traum war, als Auslandsvertreter für die Bayer AG zu arbeiten. Aber dann wurde ich entdeckt.
Ihr erster Film war „Road to St. Tropez“ von 1966?
Ja, wenn ich beim Dreh in Südfrankreich aus dem Wasser kam, habe ich immer nach der Kamera gesucht, habe mich gefragt, warum die denn so weit weg von mir ist. Ich hatte keine Ahnung, dass es lange Linsen gibt. Im fertigen Film füllte mein Gesicht in Cinemascope die ganze Leinwand. Und die Kritiker schrieben: „the new face of cinema“, ich bekam sofort ein Angebot von William Morris, der größten Agentur der Welt. Dann habe ich in München in „Schamlos“ einen Gangster gespielt, und anschließend in Österreich meinen ersten Farbfilm gedreht, „Hexen bis aufs Blut gequält“, den kann man heute noch gut gucken.
Mit einem fantastischen Soundtrack von Michael Holm.
Ja. Für meine Mutter habe ich von meiner Gage ein Haus in Rondorf gemietet, da ging sie dann mit ihrer Handtasche voll mit meinen Zeitungsausschnitten zum Metzger oder zum Bäcker. Das dauerte ewig lange, bis sie wieder zurückkam.
Bald darauf haben Sie die Hauptrollen in Andy Warhols „Frankenstein“ und „Dracula“ gespielt und wurden auch international bekannt.
Ein Amerikaner, der neben mir im Flugzeug saß, fragte mich, was ich beruflich mache. Ich sagte Schauspieler und zeigte ihn mein Foto, er schrieb sich meine Telefonnummer in seinen Pass. Das war Paul Morrissey, der für Andy Warhol arbeitete. Zwei Monate später kam der Anruf: „Hallo, hier ist Paul, der Mann vom Flugzeug, ich mache für Carlo Ponti, den Mann von Sophia Loren, ‚Frankenstein‘ in 3D in Cinecittà in Rom und habe noch eine kleine Rolle für dich.“ Da habe ich mich bedankt und gefragt: „Was spiele ich denn?“. Da hat er gesagt: „Frankenstein.“
Viele Jahre später hatten Sie eine ähnliche Begegnung mit Gus Van Sant in Berlin. Die resultierte in ihrer Rolle in „My Own Private Idaho“ und ihren Umzug nach Los Angeles.
Ich hatte für die Publicity zum Film bei einer Freundin in Los Angeles gewohnt, stand schon mit gepacktem Koffer in der Tür, als sie mich fragte, warum bleibst du denn nicht hier? Nach mehreren Gläsern Wein, habe ich gesagt, keine schlechte Idee. Jetzt lebe ich seit 30 Jahren in den USA.
Davor hatten Sie noch einmal lange in Köln gewohnt, in einer Künstlerkolonie in einem ehemaligen Kraftwerk in Köln-Ostheim mit Michael Buthe und Marcel Odenbach.
Ich kam 1973 nach Köln zurück und stieg mehr und mehr in die Kunstszene ein, Sigmar Polke, C.O. Paeffgen, Rosemarie Trockel. Mit Michael Buthe war ich sehr befreundet. Wir haben uns immer beim Horst getroffen, der hatte eine Kneipe in der Lütticher Straße. In der Gladbacher Straße gab es einen Italiener, da gingen wir alle essen, weil es billig war und guten Wein gab.
Sie haben mir einmal erzählt, Sie hätten mehr Freunde in der Kunstszene als beim Film.
Die Kunstszene hat mich fasziniert. Ich habe David Hockney in Paris kennengelernt, als ich diesen erotischen Film gedreht habe, „Die Geschichte der O“, der hat mich gemalt. Oder Robert Longo, mit dem ich später bei „Johnny Mnemonic“ mit Keanu Reeves zusammengearbeitet habe. Ich war immer ein bisschen neidisch auf die Künstler. Papier findest du überall, wenn du keine Farben hast, nimmst du den Kaffee, den du gerade trinkst, schüttest den über Zeitungen, machst mit der Hand irgendetwas, reißt noch ein paar Ecken raus und schon hast du ein Kunstwerk. Als Schauspieler ist das nicht so einfach. Buthe kam morgens schlecht gelaunt zum Frühstück, kritisierte alles und jeden, wurde dann plötzlich ganz ruhig und ging in sein Studio, hat sich eine Leinwand genommen und innerhalb von einer Stunde waren drei Bilder fertig. Super! Ich kenne auch Banksy ...
… beschreiben Sie mal!
Ich kann nicht über ihn reden, wie er aussieht, oder wie alt er ist. Aber Banksy erinnert mich sehr an Andy Warhol. Als Andy seine Campbell Soups gemalt hat, haben zuerst alle gelacht. Heute sind die Bilder Millionen wert. Die Kunst wäre nicht so wichtig, wenn es keine Kunstsammler und -förderer geben würde. Es gibt Leute, die kaufen Kunst und stecken sie dann in den Safe. Ich lebe mit meinen Bildern.
Lassen Sie uns über Ihre Ausstellung im Kölnischen Kunstverein sprechen. Die trägt den Titel „Udo is love“.
Der Titel hat eine besondere Bedeutung. Ich war mit Sigmar Polke, seiner Freundin und seinem Schäferhund in Rom und an einem Punkt gab es eine Meinungsverschiedenheit. Am nächsten Tag kamen Techniker in meine Wohnung, die brachten eine Neonschrift in Rot, Grün und Blau: „Udo is Love“. Das Werk ist leider später auf dem Transport kaputtgegangen.
Die vielleicht größte Rolle Ihres Lebens haben Sie erst vor ein paar Jahren gespielt, in Todd Stephens' Film „Swan Song“, als alternder, schwuler Friseur, der zu einer letzten großen Reise aufbricht.
Für diesen Film habe ich die meisten Preise bekommen. Das Drehbuch fand ich sofort gut, aber ich wollte erst den Regisseur kennenlernen, weil der Stoff schon sehr privat ist. Es gab zum Beispiel eine Szene, wo ich auf einem Friedhof den Grabstein von meinem verstorbenen Freund umarme. Da habe ich gesagt, ich möchte das nicht proben, bereitet ihr nur alles vor und gebt mir ein Handzeichen, wenn ich kommen soll. Es war sehr traurig, aber ehrlich und nicht gespielt. Viele Schauspieler können das nicht. Lars von Trier sagt immer: „Don't Act.“ Aber das ist einfacher gesagt, als es ist.
Was spielen Sie im Moment?
Ein Mexikaner will mit mir einen Film nach einer Kurzgeschichte von Paul Bowles drehen. In Amerika läuft gerade die Serie „Hunters“ mit Al Pacino, wo ich den 90-jährigen Adolf Hitler spiele, der sich in Argentinien versteckt. Und Rick Alverson, mit dem ich „The Mountain“ gedreht habe, will einen Spielfilm über mich drehen.
In zwei Wochen werden Sie 80 Jahre alt. Sie arbeiten noch wahnsinnig viel. Wie wählen Sie Ihre Rollen aus?
Ich habe eine Ranch mit vielen Bäumen, die ich selbst gepflanzt habe. Ich habe eine Bahn und Berge auf meinem Grundstück, ich könnte da meinen eigenen Western drehen. Ich habe ein lebensgroßes Plastikpferd, das heißt Max von Sydow. Also, ich genieße das Leben, aber ich brauche auch meine Ruhe. Wegen der vielen Angebote lese ich erstmal nur meine Rolle in einem Drehbuch. Gefällt mir das, lese ich das ganze Buch. Wenn der Film auch ohne meine Rolle funktioniert, brauche ich ja nicht dabei zu sein. Sollte morgen Martin Scorsese oder Woody Allen anrufen, frage ich natürlich nicht nach. Gerade habe ich eine kurze Rolle gespielt in einem Film mit Juliette Lewis. Ich bin ein Stuhldesigner und sie möchte ein Stuhl sein und wird auch zu diesem Stuhl. Ist doch interessant! Wäre es nicht Juliette Lewis gewesen, hätte ich das aber nicht gemacht.
Sie haben immer wieder mit denselben Regisseuren gearbeitet, Rainer Werner Fassbinder, Christoph Schlingensief, Guy Maddin, Lars von Trier.
Ich arbeite gerne mit Leuten, die tolle Ideen habe, wie Lars von Trier: Ich bin der einzige Schauspieler auf der Welt, der auf der Leinwand geboren wurde, in seiner Serie „The Kingdom“. Da ist richtig zu sehen, wie der Kopf zwischen den Beinen herauskommt. Lars sagte zu mir, wir können das nur einmal drehen, weil das Modell, das sie für die Szene gebaut haben, so teuer sei. Ich lag im Bauch von dieser nackten Frau auf einem Holzstück mit vier Rädern und wartete auf das Wort „Action“. Als ich versuchte rauszukommen, ging es erst nicht. Ich musste noch einmal zurückrollen und wurde endlich mit Kraft schreiend geboren.
Selbst dieses Baby ist dämonisch. Sie haben von Anfang an zwielichtige Charaktere gespielt.
Ich war Dracula, Frankenstein, Jack the Ripper und Doktor Jekyll, aber böse sein ist ja auch sehr viel spannender als gut. Ich hatte das Glück, dass ich sehr fotogen aussah, schon als junger Mann. Würde ich brutal aussehen, wäre das langweilig. Da ich aber nett bin und „Entschuldigung“ sage, wenn ich jemanden umbringe, sagen alle: Das war jetzt aber fies! Ich möchte einen Familienvater spielen, der bei der Bank arbeitet. Meine Frau ist in der Küche. Meine Kinder waschen gerade das Auto. Und um Mitternacht verwandele ich mich in den Vampir, der die Nutten im Dorf umbringt. Ist das fies? Ich finde es schön. Man muss beide Seiten zeigen.