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Ulrike Folkerts über den „Tatort“„Die Alten müssen offensichtlich das Feld räumen“

Lesezeit 8 Minuten
Ulrike Folkerts (rechts) als Lena Odenthal, neben ihr steht Lisa Bitter, die Johanna Stern spielt.

Ulrike Folkerts (rechts) als Lena Odenthal, neben ihr steht Lisa Bitter, die Johanna Stern spielt.

Zum 80. Mal ist Ulrike Folkerst als „Tatort“-Kommissarin Lena Odenthal zu sehen. Ans Aufhören denkt sie noch lange nicht.

Frau Folkerts, ihr 80. „Tatort“ Fall steht an. Bis heute ist Lena Odenthal die dienstälteste Kommissarin der Krimireihe. Wie lange wollen Sie den Titel noch verteidigen?

Wenn es nach mir geht, spiele ich Lena Odenthal noch eine ganze Weile. Ich habe keine Ambitionen, das zu beenden. Solange die Einschaltquote stimmt und der SWR mit mir arbeiten möchte, werde ich das fortsetzen. Lena Odenthal ist ja so alt wie ich, dann habe ich sowieso noch vier Jahre bis zum Rentenalter. So lange sollte ich auf jeden Fall noch Kommissarin Lena Odenthal sein dürfen.

Vielleicht dürfen Sie ja auch noch länger, beim „Tatort“ gibt’s ja kein striktes Rentenalter.

Stimmt, aber manche werden jetzt in Rente geschickt oder in die Luft gesprengt. Es wird gerade ein bisschen Tabula rasa gemacht beim „Tatort“, dass Teams ausgetauscht werden. Da ist auf jeden Fall was im Gange und die Öffentlich-Rechtlichen wollen jünger und diverser werden. Das macht sich jetzt auch beim „Tatort“ bemerkbar. Offensichtlich müssen die Alten das Feld räumen.

Gab es bei Ihnen nie den Wunsch, sich von Lena Odenthal zu lösen? Sie haben schon häufiger gesagt, dass Sie das Gefühl hatten, den Stempel „Tatort” auf der Stirn zu haben.

Doch, den Moment gab es nach zehn, zwölf Jahren, als die Drehbücher beliebig wurden. Ich hatte das Gefühl, für meine Figur geht es nicht voran und die Fälle sind langweilig. Da habe ich überlegt, hinzuschmeißen und mich von dem Stempel zu befreien. Aber ich habe zu sehr an Lena Odenthal gehangen und lieber das Gespräch gesucht mit den Verantwortlichen. Das hat sich dann positiv entwickelt und ich bin wahnsinnig glücklich mit dem Job.

Es wird gerade ein bisschen Tabula rasa gemacht beim „Tatort“, dass Teams ausgetauscht werden
Ulrike Folkerts

Wie sind Sie dann mit dem Stempel weiter umgegangen?

Ich wollte trotzdem andere Sachen machen. Entweder habe ich Theater gespielt oder fürs ZDF so lustige Sachen gemacht wie „Rosamunde Pilcher” oder „Katie Fforde”. Dann habe ich jetzt angefangen, Casterinnen und Caster zu fragen, warum sie mich nie casten. Es hieß, ich hätte keine Zeit, würde nur Hauptrollen spielen und sei zu teuer. Das ist alles nicht richtig. Ich habe Zeit neben meinen zwei „Tatorten” im Jahr und muss nicht immer die Hauptrolle spielen. Und über Geld kann man immer reden, solange nicht mit Dumpingpreisen gehandelt wird.

Gleichzeitig sind Sie mit Lena Odenthal 35 Jahre älter geworden. Wie war das?

Anfangs habe ich niemals geglaubt, dass ich das so lange machen würde. Es gab einfach wahnsinnig viele Entwicklungen für mich als Mensch und als Schauspielerin und das Fernsehen hat sich auch verändert. Wir drehen in viel kürzerer Zeit unter größerem Druck. Für mich ist es total schön, mit der Figur älter werden zu dürfen und nicht ausgemistet zu werden, sondern als Lena Odenthal durch diesen Job zu gehen.

Damals waren Sie als weibliche, toughe Kommissarin eine Vorreiterin. Was wünschen Sie sich heute noch für Ihre Figur?

Ich wünsche mir, dass es immer mal kleine Seitenstränge gibt, durch die man etwas über Lena Odenthal über ihre Funktion als Kommissarin hinaus erfährt. Man soll sehen, dass so eine Kommissarin ein eigenes Leben und Emotionen hat. Lena Odenthal ist natürlich speziell, weil sie keine Beziehung hat, und jetzt haben sie ihr auch noch die Katze weggenommen. Sie braucht Aufgaben, an denen sie sich aufreiben kann und vielleicht auch mal Fehler machen darf.

Sie wollen also nicht einfach nur fragen: „Wo waren Sie gestern um 17 Uhr?“ ...

Genau, ich wünsche mir, dass man die Ermittlerin auch in anderen Situationen erlebt, lachend, tanzend, als Mensch mit Höhen und Tiefen und natürlich als brillante Kommissarin.

Ich habe einige Türen geöffnet für starke Frauenfiguren
Ulrike Folkerts

Wie viel haben Sie als Lena Odenthal denn für Frauenfiguren im deutschen TV erreicht?

Anscheinend mehr, als ich selbst erahnt hätte. Vor mir waren nur Karin Anselm und Nicole Heesters „Tatort”-Kommissarinnen. Mit mir hat der SWR einen neuen Versuch gestartet und ich war als einzige Frau in dieser Männerdomäne auffällig, weil die Figur von Anfang an so angelegt war, dass sie streitbar ist und sich auch mit Männern anlegt. Ich habe einige Türen geöffnet für starke Frauenfiguren.

Wenn Sie irgendwann doch aussteigen: Wollen Sie lieber harmlos in Rente gehen wie Dagmar Manzel zuletzt oder in die Luft gejagt werden wie Margarita Broich und Wolfram Koch?

In die Luft gejagt werden will ich auf keinen Fall. Das fand ich wahnsinnig brutal und auch zu simpel am Ende, sie einfach sterben zu lassen. Ich würde mir wünschen, dass Lena Odenthal noch was vorhat in ihrem Leben. Vielleicht verliebt sie sich doch mal oder wird heimlich Privatdetektivin. Ich denke, ich werde mir dann einen Autor oder eine Autorin suchen, mit der ich den Ausstiegs-„Tatort“ gemeinsam erfinde. Aber geben Sie mir noch ein bisschen Zeit (lacht).

Das mache ich. Aber Sie wollen sie auf jeden Fall am Leben halten, höre ich heraus.

Lena Odenthal soll auf jeden Fall am Leben bleiben. Frauen in meinem Alter gehen durch die Menopause, was nicht immer einfach ist, aber meistens sind die ziemlich gut drauf und wissen genau, was sie sich für ihr Leben noch wünschen. Warum sollte man das nicht auch mit einer Kommissarin erzählen dürfen, dass da noch was geht?

Was wünschen Sie sich noch fürs Leben?

Ich will auf jeden Fall Lena Odenthal weiterspielen und wünsche mir außerdem einen schönen, anderen Film im Jahr. Ich bin durchaus offen dafür, die nächsten 20 Jahre zu arbeiten. Nicole Heesters ist da ein fantastisches Vorbild. Das wünsche ich mir auch, dass ich möglichst lange schöne Rollen spielen kann. Wir haben ja auch diese Diskussion, dass die Rollenangebote bei Frauen sukzessive abnehmen, je älter sie werden. Das muss sich ändern, und ich hoffe, dass ich davon profitieren werde.

Ja, ältere Schauspielerinnen beklagen immer wieder, dass sie nur noch langweilige Omarollen bekommen. Dabei gibt es natürlich auch spannende Omarollen.

Ja, das wäre interessant, wenn man die moderner erzählen würde. Dann würde ich mich auch zu Omarollen breitschlagen lassen. Aber ich habe auch schon Drehbücher angeboten bekommen, in denen der einzige emotionale Ausbruch der Oma gewesen wäre, dass ihr der Gänsebraten für das Weihnachtsessen verbrannt ist und sie heulend auf dem Sofa sitzt. So was kann ich nicht spielen (lacht).

Kommen wir noch mal zurück auf die Festlegung auf Rollen. Abgesehen vom „Tatort”-Stempel sprachen Sie auch mal vom Lesben-Stempel. Wie haben Sie in Ihrer Karriere bemerkt, dass das auch eine Rolle etwa bei Besetzungen spielte?

Das wird ja hinter verschlossenen Türen verhandelt. Die ersten zehn Jahre als Schauspielerin habe ich nicht über meine Homosexualität geredet. Das war nicht einfach, weil ich immer ein Geheimnis hatte, und es hat mich auch ein bisschen einsam gemacht. Als es dann raus war, war meine erste Sorge, dass der SWR mir den Rücken zukehrt. Das ist zum Glück nicht passiert.

„Was hat sich seitdem getan?“

Vor drei Jahren gab es die Aktion „ActOut” in der „Süddeutschen Zeitung“, bei der sich 150 queere Schauspielerinnen und Schauspieler geoutet haben und gesagt haben: Uns gibt es, wir werden nicht genug repräsentiert im Fernsehen. Es ist wichtig, dass Diversität auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen stattfindet. Die Diversität wirkt im Moment noch ein bisschen draufgestülpt, weil jetzt fast in jedem Film ein lesbisches Paar oder ein schwuler Mann vorkommt. Ich hoffe, dass Diversität irgendwann weniger künstlich und dafür selbstverständlicher wird.

Hatte die Aktion „ActOut” denn Auswirkungen auf die Branche?

Ich habe das Gefühl, dass mehr Gespräche geführt wurden und auch Senderverantwortliche das Gespräch gesucht haben. Aber solange Verantwortliche und Macher nicht divers sind, wird es immer ein bisschen erfunden wirken. Da gibt es die abstrusesten Geschichten, wie man versucht, Diversität einzubauen. Aber es ist gut, dass überhaupt Gespräche stattfinden und Versuche gemacht werden. Da geht’s ja nicht nur um queere Menschen, sondern auch darum, dass ein in Deutschland Geborener mit türkischem Namen im Film nicht nur hinter dem Gemüsestand steht, sondern auch einen Rechtsanwalt oder Polizisten spielen kann. Da haben die Öffentlich-Rechtlichen ein bisschen was versäumt.

Haben Sie selbst sich in der Branche wegen Ihrer Sexualität je eingeschränkt gefühlt?

Für mich hat es sich nie so angefühlt, als würde ich deswegen schlecht behandelt. Ich weiß aber, dass es Regisseure gab, die mich besetzen wollten und das nicht durchbekommen haben, weil ich homosexuell bin. Und es gibt Geschichten von Agentinnen, die ihren Schauspielerinnen und Schauspielern raten, sich nicht zu outen. Das ist ein Eingriff in die Privatsphäre und für den Beruf doch egal. Wir sind Schauspielerinnen. Ich muss nicht Mörderin sein, um eine Mörderin zu spielen. Ich muss nicht hetero sein, um eine Heterofrau zu spielen. Trotzdem ist ein bisschen Druck da, beweisen zu müssen, dass man das kann.

Das ist schon widersprüchlich, schlüpft man doch als Schauspielerin sowieso immer in Rollen.

Ja, alle tun immer so tolerant, aber ist die Filmbranche am Ende tolerant? Auch das Frauenbild ist nach wie vor zu überprüfen. Es gibt mittlerweile Frauen im Film, die nicht gertenschlank und faltenfrei sind. Aber es ist ein langwieriger Prozess, dieses alte Frauenbild im Fernsehen zu brechen und interessantere Frauen sowie mehr den Querschnitt der Bevölkerung zu zeigen. Wir sind ja nicht alle aus dem Beauty-Salon entstiegen, und ich werde mich auch nie einer Schönheitsoperation unterziehen. Ich sehe jetzt schon, wie viele Frauen sich die Stirn oder die Lippen spritzen lassen. Das ist schade, weil die Emotionen im Gesicht weniger sichtbar sind.