Waters steht für fragwürdige Ansichten zum Existenzrecht Israels oder zur Kriegsschuld Russlands. Trotzdem kamen 11.000 Fans in die Lanxess-Arena.
Umstrittenes Konzert in KölnWie Roger Waters sein Publikum in Geiselhaft nimmt
Vor der Lanxess-Arena stehen fünf Palästinenser im Regen. Sie haben ein Plakat ausgerollt, auf dem sie Roger Waters für seine Unterstützung ihres Volkes danken. Nur wenige Meter entfernt hat sich die Gegenseite postiert, es sind auch nicht viel mehr, die hier „Kein Frieden mit Antisemitismus“ fordern. Die Besucherschlangen vorm Eingang Südwest sind mit Absperrgittern von den Aktivisten getrennt. Es könnte auch eine Mauer sein, denn von den demonstrierenden Grüppchen trennt die Masse der Wartenden ihr offenkundiges Desinteresse.
Sie sind die Unpolitischen. Sie sind gekommen, um die Musik ihrer Jugend, Kindheit oder, in nicht wenigen Fällen, ihrer Eltern zu hören. Das muss man verstehen, selbst Pink-Floyd-Coverbands füllen die Arena. Und heute Abend gibt es das Original zu erleben, zumindest den Mann, der dreist von sich behauptet, die einzige wirklich kreative Kraft der Band gewesen zu sein. Das will man sich nicht canceln lassen, wegen Waters mehr oder weniger fragwürdiger Ansichten zum Existenzrecht Israels, oder zur Kriegsschuld Russlands. Musikgenuss ist Privatsache (jedenfalls so lange es nicht um die eigenen Privilegien geht), Besserwisser und Moralapostel stören da nur: „We don‘t need no education.“
Köln: 11.000 Zuschauer in Lanxess-Arena – Roger Waters bedankt sich bei Aktivisten
Es haben sich laut Veranstalterangaben doch tatsächlich 11.000 Unpolitische um die kreuzförmige Bühne in der Mitte der Arena versammelt. Als Waters aufgezeichnete Stimme kurz vor Konzertbeginn verkündet, ein Gericht in Frankfurt habe entschieden, dass er kein Antisemit sei, jubeln sie. Auch wenn kein Gericht jemals so etwas entschieden hat. Und als Waters daraufhin alle Menschen, die nur Pink Floyd mögen, nicht jedoch seine Ansichten, auffordert, sich an die Bar zu verpissen, jubeln sie wieder, die Unpolitischen – und lassen sich bereitwillig in politische Geiselhaft nehmen (man hört freilich auch ein, zwei Buhrufe).
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Wenig später behauptet der Sänger, Liebe und Frieden nach Köln zu bringen, bedankt sich bei den palästinensischen Aktivisten, heißt dann auch diejenigen willkommen, die draußen gegen ihn demonstriert hatten. Dann fantasiert er von einer inneren Bar, einer Art neutralen Zone, an der alle Menschen mit allen Ansichten willkommen seien.
Roger Waters: Alle Andersdenkenden sollen sich an die Bar „verpissen“
Dabei hatte er gerade noch allen Andersdenkenden empfohlen, sich eben dorthin zu „verpissen“. Allein, wer will sich schon mit jemanden an eine Bar setzen, der ihm das Existenzrecht abspricht? Im Laufe seiner ausschweifenden Ansprache muss Waters kurz aufstoßen. Das kümmert den 79-Jährigen ebenso wenig, wie seine inneren Widersprüche.
Seine neunköpfige Band ist übrigens exzellent, nur genießen kann man diese Show kaum. Die ebenfalls kreuzförmigen LED-Wände, die tief und bedeutungsschwer über den Musizierenden hängen, schreien einen förmlich an: „The Government? Seriously?“ Dann werden alle amerikanischen Präsidenten von Reagan bis Biden als Kriegsverbrecher verleumdet. Und schließlich werden die Zuschauer, die gerade knapp 300 Euro für eine Eintrittskarte bezahlt haben, zu den Klängen von „Sheep“ aufgefordert, dem Kapitalismus zu widerstehen.
Roger Waters als Fascho-Führer im schwarzen Ledermantel
Nach der Pause tritt Roger Waters zu „In the Flesh“als faschistischer Führer im schwarzen Ledermantel auf, schießt mit einer Maschinengewehrattrappe ins Publikum, klar, das kennt man aus „The Wall“ und es illustriert nur die drogeninduzierte Großmannssucht des abdriftenden Rockstars. Doch im Kontext der Vorwürfe gegen Waters als Sprachrohr der als antisemitisch geltenden BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) und seines oft und gerne wiederholten Vergleiches zwischen Israel und Nazi-Deutschland ist das schwer zu schlucken.
Und dann fliegt ja auch endlich das Schwein des Anstoßes, eine Ballondrohne, die zwar nicht mehr den Davidstern trägt, aber dafür das Firmenlogo eines israelischen Rüstungskonzerns. Was will man machen? Der Mann ist Monomane. Jetzt hat er die Fascho-Uniform abgelegt und trägt ein Palästinensertuch, während auf den LED-Wänden wieder feiste Kapitalistenschweine paradieren und Waters die Apathie der Menschen um ihn herum mit zu viel Reality-TV-Konsum erklärt. Er ist wie der eine Geschichtslehrer, den man hofft, nicht im Leistungskurs zu bekommen. Oder wie der Onkel, neben dem zu sitzen man auf jeder Familienfeier zu vermeiden versucht.
Roger Waters: Debatte um Konzertverbote in ganz Deutschland
Manche sagen, es sei gut, dass die deutschen Konzerte von Roger Waters trotz der Verbotsforderungen stattfinden. Man will doch einem Künstler, der, wie erwähnt, auf einer kreuzförmigen Bühne auftritt, nicht noch mehr Gelegenheit geben, sich als Märtyrer zu stilisieren. Und als seine Band „Us and Them“ anstimmt, mit seinem gewaltig anschwellenden Refrain, könnte man beinahe für einen Moment schwach werden, sich dem vermeintlich unpolitischen Privatvergnügen der Musik hinzugeben und die Diskussionen auf später zu verschieben.
Doch schon gerät Waters wieder ins Faseln, es geht irgendwie um die Doomsday Clock, genau: Das Ende ist nah. Jetzt muss er noch einmal rülpsen, noch einmal von seinem Kindheitstrauma vom im Krieg gefallenen Vater erzählen, dem wir bereits „The Wall“ und 20 andere Pink-Floyd-Songs zu verdanken haben. Zum Schluss begleitet ein 80er-Jahre-Saxophonsolo einen 80er-Jahre-Song über den nuklearen Holocaust, denn das ist der einzige Holocaust, für den sich Roger Waters interessiert. Nein, es ist und bleibt unerträglich.