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Uraufführung am Schauspiel KölnMenschenjagd auf Manager in „Johann Holtrop“

Lesezeit 4 Minuten
Die Schauspielerin Melanie Kretschmann lehnt sich in der Rolle des Johann Holtrop auf der Bühne des Depot 1 des Schauspiels Köln an ein Gitter aus Fäden.

Melanie Kretschmann in „Johann Holtrop“

Stefan Bachmann dramatisiert Rainald Goetz' Wirtschaftsroman „Johann Holtrop“ auf der Bühne des Kölner Depots.

Als vor elf Jahren, als drittes Werk nach einer Zeit des Schweigens, Rainald Goetz’ Roman „Johann Holtrop“ erschien, wurde der von einem Großteil der Kritik als gescheiterter Versuch bewertet. Im Depot 1 des Schauspiels Köln unternimmt Stefan Bachmann, seit jeher Umsetzungsspezialist für die Stoffe des Büchner-Preisträgers, nun den Versuch einer dramatischen Ehrenrettung.

Romane, als Einfühlungsmaschinen im Präteritum, seien eben nicht die Stärke des monomanischen Gegenwartsfanatikers Goetz, monierten damals die Rezensenten. Dass „Johann Holtrop“ zunächst als Schlüsselwerk des deutschen Wirtschaftslebens in den Nuller Jahren funktionierte, fokussiert in der Ikarusfigur des tief gestürzten Bertelsmann- und Arcandor-Managers Thomas Middelhoff, das goutierte man sehr wohl. Schließlich ließ sich eine Unzahl süffiger Anspielungen aus dem Text ziehen: Wo auch immer Unternehmensführer oder Feuilletongrößen hochnotpeinliche Dummheiten äußerten, Goetz radelte unweigerlich im korrekten Augenblick vorbei, den Notizblock im Anschlag.

Aber, so lautete der Hauptvorwurf, war nicht die hypererregte Verachtung, die Goetz’ Erzähler den Managerstanzen entgegenbrachte, die man kaum als echte Figuren wahrnehmen konnte, beinahe deckungsgleich mit der Verachtung, mit der sich der zeitweilige Überflieger Holtrop von seinen Opfern abhob? „Gut, dass ich weiß, dass alle so kaputt sind, denn dann kann ich davon profitieren“, denkt der Unternehmensführer. Aber könnte man so nicht ebenso gut die Denke des Autors beschreiben?

Melanie Kretschmann steht als Rainald-Goetz-Doppelgänger auf der Bühne

Dem alten Vorwurf begegnet Stefan Bachmann mit Vorwärtsverteidigung. Melanie Kretschmann erscheint in der Titelrolle als Goetz-Doppelgänger, eine weißblonde Bestie. Der Autor doubelt als CEO, ganz so, wie er sich in den 1980er Jahren als RAF-Terrorist doppelbelichtete: Er fühlt sich nicht ein, er füllt eine gesellschaftliche Rolle aus.

Kretschmann winkelt die Arme an, ihre dynamischen Tanzbewegungen stammen direkt aus David Bowies „Let’s Dance“-Ausverkaufsphase und die Live-Musik des von Sven Kaiser geführten Quartetts synkopiert dazu hektisches Voranpreschen. Kretschmann Holtrop blafft Tschakka-Plattitüden à la „Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, aber rund laufen sollte es schon“, ja sie führt wie ein Schwert vor sich her.

Sämtliche Rollen hat Stefan Bachmann weiblich besetzt

Erstes Opfer ist der nach 20 Jahren im gehobenen Management verbrauchte Kollege Thewe, „eine ausgebrannte Null“ mit „Vergangenheitskrätze“. Kaum freigestellt findet er sich nackt in der Wildnis wieder, seine Leiche wird „vom Tierfraß stark verstümmelt, in einer Waldung zwischen Bad Hönow und Gut Heiligensee von Spaziergängern aufgefunden“. Ines Marie Westernströer berichtet im entsprechend zugerichteten Bodysuit vom eigenen Ableben, ihre Schreie bleiben ungehört, es ist ein Moment von Beckett’scher Verworfenheit.

Wie schon in seiner Inszenierung von Goetz’ Post-9/11-Stück „Reich des Todes“ hat Bachmann erneut sämtliche Rollen weiblich besetzt. Die Männerfantasie der Chefetagenwelt gewinnt umso deutlichere Konturen und das Ensemble stürzt sich mit Lust die Goetz’schen Satzkatarakte hinunter. Alle weiteren Ähnlichkeiten sind beabsichtigt: Auch „Johann Holtrop“ ist eine Köln-Düsseldorfer Koproduktion, auch hier wird Prosa durch dauerhafte Musikbegleitung rhythmisiert, freilich weniger rauschhaft wie in „Reich des Todes“, dafür karikierender: Die Sprechoper wird zur Operette.

Dementsprechend hat Olaf Altmann die Gittermatrix-Bühne des ersten Stücks für die Roman-Bearbeitung zu einer Anordnung von Käfigen aus vertikal gespannten Fäden verschlankt. Die Zellen, die sich hinter diesen tausend biegbaren Stäben verbergen, sind zwar keine Abu-Ghraib-Folterkammern, sondern Konferenzräume, Unternehmervillen oder die Paris Bar, eine Welt dahinter scheint es für die rastlosen Gerasterten dennoch keine zu geben.

Holtrops Großkotz-Motto „Wir haben kein Geld? Dann besorgen wir uns eben eines“ führt unweigerlich zu Fehlkalkulationen und Engpässen. Sein Fantasiegebäude bricht ein, ein Hubschrauber bringt ihn aufs mallorquinische Anwesen des Patriarchenpaares Kate und Berthold Assperg, den Bertelsmann-Eigentümern Liz und Reinhard Mohn nachempfunden.

Anja Laïs läuft als herrschsüchtige Kate Assperg zu wahrhaft diabolischer Form auf, Goetz hat der Figur seinen bösesten Satz geschenkt: „„Da kommt er also!“, schrie sie viel zu hoch mit der vorgealterten Stimme des vierjährigen Mädchens, das in ihrem sadistischen Greisenkörper gefangen war.“ Holtrop, nun selbst freigestellt, findet keine Richtung mehr für sein Voranpreschen, trudelt in einer Abwärtsspirale zuerst in die Psychiatrie, dann in ein nicht weniger wahnhaftes Comebacks als vermeintlicher Retter eines Firmen-Konglomerats mit „Riesengeräten und Mikroideen“.

Anlageberater Josef Esch als Figur aus dem kölschen Volkstheater

Kretschmanns Holtrop wird nun einzig noch von ihrem blauen Maßanzug zusammengehalten, Cenat Rüya Voß’ kölscher Anlageberater Mack (gemeint ist der gerichtsnotorische Josef Esch) spaziert direkt aus dem Volkstheater auf die Bühne und auch der große Macher ist nur noch eine Kasperfigur, aus Holz, Gier und Eitelkeit geschnitzt.

Dass sich Holtrop vor eine schwarze Lok stürzt, wie einst Anna Karenina, bleibt Goetz’ letztes ironisches Zugeständnis an das Genre es Romans. Tragik, Entwicklung, die Bildung einer Persönlichkeit mit Innenleben und äußeren Bindungen, als diese Dinge, deren Abwesenheit man Rainald Goetz vor elf Jahren vorgeworfen hat, sie wären in der Welt des Kapitals unangebracht. „Die Menschenjagd war zu Ende“, spricht der Chor über der Leiche des Managers. Die Höhe seines „Reich des Todes“-Triumphs erreicht Stefan Bachmann hier zwar nicht ganz, aber die Ehrenrettung für einen der wichtigsten Romane der vergangenen 20 Jahre, sie ist gelungen.