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Uraufführung im Schauspiel Köln„Balkan Drift“ kommt leider nicht von der Stelle

Lesezeit 4 Minuten
Balkan Drift
von Ivana Sokola
Regie: Jana Vetten
 
Regie: Jana Vetten
Bühne: Maximilian Lindner
Kostüme: Eugenia Leis
Musik: Jacob Suske
Licht: Michael Frank
Dramaturgie: Ida Feldmann
 
Foto: Thomas Aurin

Kristin Steffen (l.) und Lou Friedmann als Schwestern in Ivana Sokolas „Balkan Drift“ im Schauspiel Köln.

Jana Vetten inszeniert im Depot 2 das neue Stück von Ivana Sokola. Es geht um Identität und Migration. Unsere Kritik.

Minka und Magda, zwei Schwestern, baumeln mit ihren Beinen auf einer Bank im Wartehäuschen einer Bushaltestelle, an einer staubigen Landstraße, irgendwo im ehemaligen Jugoslawien. Das zumindest quäkt die Stimme von Katharina Schmalenberg durch ein Megafon am Boden des Depots 2. Aber wir sehen Minka und Magda an der Küste lümmelnd, Müll spült gegen Wellenbrecher, Beton-Tetrapoden begrenzen links und rechts das Bühnenbild (Maximilian Lindner), die Urlaubssaison ist vorbei, das Leben steht still.

Autorin Ivana Sokola schickt zwei Schwestern auf Identitätssuche

Die Sehnsucht liegt im reichen Norden. Minka war schon da, hat studiert, aber konnte keine Wurzeln schlagen, Magda hat den ungeliebten Geburtsort nie verlassen. Da erscheint am Horizont ein Mann, eine schwere Kiste nach sich ziehend. Es ist ihr Cousin und in der Kiste liegt sein toter Vater, gestorben im Norden, wo er sich eine Existenz aufgebaut hatte, mit dem letzten Wunsch in der Heimaterde begraben zu werden.

Aus dieser Beckett-artigen Grundkonstellation entwickelt die junge Autorin Ivana Sokola, geboren 1995 in Hamburg, eine phantasmagorische Identitätssuche, „Balkan Drift“ hat sie ihr Stück genannt, eine Auftragsarbeit für das Schauspiel Köln. Minka, die Widerspenstige der Schwestern, verweigert dem Onkel das Begräbnis: „Ich will seine Geschichte nicht. Ich will seine Heimkehr nicht. Ich will diese Verklärung nicht. Wir haben seine Leiche nicht vermisst.“ Schon ziehen die Schwestern mit des toten Mannes Kiste fort, gen Norden.

Eine fantastische Reise, auf der sie unter anderem ein sprechendes Pferd treffen (man denkt dabei an den sprechenden Esel aus Emine Sevgi Özdamars modernen Klassiker „Karagöz in Alamania“), einen Sondengänger aus der Zukunft und schließlich den zombifizierten Gastarbeiter selbst. Ein Seelentrip von der Peripherie in ein vorgebliches Zentrum, das seine eigene Mitte längst verloren hat. Wo einst eine Shopping-Mall mit funkelnden Waren erblühte, ranken sich nun Pflanzen über Türen, Bänke und Massagesessel. Die sind immer schon da, wo sie hingehören, bodenständiger und beständiger als die Glück suchenden Menschen.

Leider bewegt sich auch das Stück selbst nicht von der Stelle. Die Last, die es zurückhält, ist nicht der Sarg des Onkels, sondern der Schreibtisch der Autorin: Alle Figuren sprechen in denselben lakonischen Ellipsen, wälzen dasselbe Problem des entwurzelten Lebens, der auseinandergerissenen Biografie, der uneingelösten Versprechungen. „Balkan Drift“ ist vollgepfropft mit überraschenden Einsichten, zu selten gestellten Fragen und lustigen One-Linern. Aber der Text bleibt ein Selbstgespräch und auch Jana Vetten, der Regisseurin der Uraufführung, gelingt es nicht, das essayistische Material zum Drama zu formen.

Balkan Drift
von Ivana Sokola
Regie: Jana Vetten
 
Regie: Jana Vetten
Bühne: Maximilian Lindner
Kostüme: Eugenia Leis
Musik: Jacob Suske
Licht: Michael Frank
Dramaturgie: Ida Feldmann
 
Foto: Thomas Aurin

In der Mitte: Nicolas Streit als sprechendes Zauberpferd.

Am Ensemble liegt es nicht, Lou Friedmann fordert als charismatische Querulantin Minka die absolute Aufmerksamkeit des Publikums, Kristin Steffen hält sich dagegen lange Zeit zurück, ihr Schmerz drängt gegen Ende des Abends dann umso machtvoller an die Oberfläche. Und Nicolas Streit, der die übrigen Rollen übernimmt, hat seinen großen Auftritt als schnippisch-flamboyantes Zauberpferd in Drag. Herrlich, wie er sich zu Martin Böttchers „Winnetou“-Melodie räkelt (was auch schon deshalb passt, weil die Karl-May-Verfilmungen in Ex-Jugoslawien gedreht wurden). „My Little Pony“-Freunde würden ihn als Einhorn „Rarity“ identifizieren, eitel, aber großzügig: „Diese gewisse Heimatlosigkeit. Diese Zukunftslosigkeit. Dieser niedliche Pessimismus. Was regt sich da in meiner Brust? Ist das Mitleid?“

Leider gönnt ihm Jana Vetten keinen großen Abgang, stattdessen pfropft sie das fehlende dramatische Moment sie mit noch mehr Musik voll. Letztlich bremst sich „Balkan Drift“ selbst aus, die Bühnenreise findet nur in den Erzählpassagen aus dem Megafon statt, bleiben reine Behauptung. Am Ende finden sich die Schwestern auf den Wellenbrechern wieder, es war nur ein Traum und Minka fasst zusammen, was sie gelernt haben, nämlich schwesterliche Solidarität: „Was, wenn wir alles erfassen, was Europa uns bietet? Alle Stillleben. Alle Staatsorchester. Alle Fußballstadien. In unseren grausigen Strudel nehmen und nie wieder loslassen. Und am Ende bleiben wir übrig.“

Da möchte man emphatisch zustimmen, die Reise bis zu dieser Erkenntnis aber hätte weiß Gott interessanter ausfallen können.