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Uraufführung in KölnWynton Marsalisʼ „Konzert für Orchester“ ist ein wilder, aber ermüdender Ritt

Lesezeit 2 Minuten
Wynton Marsalis schaut in die Kamera.

Wynton Marsalis hat für den WDR ein Orchesterkonzert komponiert.

Das WDR-Sinfonieorchester spielte Rachmaninow und eine Auftragsarbeit von Wynton Marsalis. Unsere Kritik

Gleich die ersten Akkorde des Soloklaviers streben nach oben, während schwere Bassanschläge hinabziehen. Dann kreisen die Streicher mit dem Hauptthema bohrend um denselben Ton, ohne sich davon freispielen zu können. Die Musik ist voll klagender Seufzer und trüber Moll-Tonarten. Nur flüchtig ringt sie sich zu helleren Dur-Sphären empor. Sergej Rachmaninows 1901 uraufgeführtes zweites Klavierkonzert ist das spätromanische Psychogramm einer düsteren Melancholie.

Nach den ersten Takten wurde schon klar, wie das Patchwork verschiedener Stilistiken verlaufen würde

Den fast ununterbrochen wogenden Solopart spielte der gerade einmal 20-jährige Yunchan Lim. Nach Debüts mit Weltklasseorchestern in New York, Los Angeles, Chicago, München und London gastierte der Südkoreaner nun erstmals in der Kölner Philharmonie. Er verfügt über eine exzellente Technik, brilliert bei schnellen Läufen, kraftvollen Akkorden sowie mit weichem Kantabile und zartestem Flügelschlag. Die überbordende Virtuosität des dritten Satzes verdrängt schließlich den Weltschmerz der ersten Sätze. Das WDR-Sinfonieorchester unter Leitung von Chefdirigent Cristian Măcelaru begleitete den exzellenten Pianisten feinfühlig mit schönen Soli, dunklem Schmelz und weichen Akkordteppichen.

Während Rachmaninows Konzert viel gespieltes Standardrepertoire ist, erwartete man die Uraufführung von Wynton Marsalisʼ „Konzert für Orchester“ im zweiten Programmteil mit großem Interesse. Nach den ersten Takten wurde jedoch klar, wie das Patchwork verschiedener Stilistiken weiter verlaufen würde. Auf schnatternde Folklore folgte rhythmisch versetzte Motorik à la Strawinsky, ein Rezitativ der Kontrabässe wie in Beethovens Neunter, ferner Fetzen von „Hänschen klein“ und am Ende des ersten Satzes ein Hauch von Gospel. Ein wildes Agitato der Streicher wird plötzlich von der jazzig auftrumpfenden Soloposaune überfahren und zum Schweigen gebracht. Auf die vorherige Schwermut Rachmaninows prallt nun aufgekratzte Heiterkeit.

Der 1961 in New Orleans geborene Jazztrompeter schrieb das Stück im Auftrag des WDR-Sinfonieorchesters. Ähnlich Leonard Bernsteins grellen Stilmixen erfreut sich Marsalis an überdrehtem Eklektizismus, an Spiel, Spaß, Tempo, Kontrast, an Samba, Walzer, Bolero, Marsch, Rumba und Jazz-Anklängen. Alle Instrumente dürfen der Reihe nach mit Soli hervortreten. Die vorlaute Klarinette darf aufschneiden und die Tuba launige Schlusspunkte setzen. Doch die wirbelnde Musik nimmt sich selbst nicht ernst, gibt nichts zu fühlen und denken. Kein Einfall wird weitergeführt und verarbeitet, sondern nur ein Fetzen an den anderen gereiht. Wie in junger Terrier will diese Musik nur spielen und auf Teufel komm raus lustig sein. Sie wirkt geschwätzig und trotz aller grellen Farbkleckse und gefallsüchtigen Pirouetten ermüdend wie ein Dreiviertelstunden lang zerredeter Witz.