Vor ein paar Jahren wurde Trajal Harrell zum „Tänzer des Jahres“ gekürt. In der Alten Feuerwache hat er aus der unverhofften Ehre ein Stück gemacht.
Urbäng-Festival in KölnExperten halten ihn für den besten Tänzer, er wäre lieber Underdog
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Trajal Harrell in seinem Solo 'Dancer of the Year'
Copyright: Orpheas Emirzas
2018 war er auf einmal der Beste. Europäische Kritiker des Fachmagazins „Tanz“ hatten Trajal Harrell zum „Tänzer des Jahres“ gekürt. Nicht einen springenden muskelgestählten Ballerino. Sondern ihn. Einen queeren schwarzen Mann aus dem amerikanischen Süden, der einmal sagte, sein erster Auftritt sollte eigentlich ein „fuck you“-Stück sein, eine Provokation für die damaligen Tanzbühnen, mit ihrer Begeisterung für Athletik und ihrer avantgardistischen Exklusivität. Knapp 20 Jahre später gibt es also diesen Titel für ihn und Harrell beschließt: Für diesen „Tänzer des Jahres“ muss ein Solo kreiert werden. Wer ist dieser Star eigentlich? Warum wurde er gewählt? Und wie kann es in der Kunst einen Champion geben?
So hat er sich für seine 70-minütige „Selbst-Hommage“ einen kleinen roten Teppich ausgerollt. Beim Gastspiel im Rahmen des Kölner Festivals Urbäng in der Alten Feuerwache kommt er in Jogginghose auf die Bühne, das Gesicht verborgen hinter der Gummimaske eines weißen alten Mannes - ein Whitefacing gewissermaßen. Und dann tanzt sich Harrell in einem Reigen durch die historisch bedeutsamen Momente, in denen eine Subkultur die Tanzgeschichte eroberte.
Trajal Harrell hüpft als elfenzartes Wesen über den Teppich
Mit Isadora-Duncan-Hopsern verwandelt er sich in ein elfenzartes Wesen, das selbstvergessen-selig über den Teppich federt, bis es offenbar einen für uns unsichtbaren Dämon erblickt, den es anfleht, ihm keine Gewalt anzutun. Von Harrell performt wirkt das, als wollte er spöttisch fragen: So sah also die große Revolution des Tanzes aus: Auf asexuelle Ballerinen folgten die keuschen Mädchen der mythologischen Misogynie?
Eine Szene erinnert an die Groteske des Butoh, den Harrell sich später in seiner Karriere aneignete. In einer anderen grimassiert er mit geschlossenen Augen wie einst Bill ‚Bojangles‘ Robinson, der als schwarzer Showstar im US-Vaudeville sein überwiegend weißes Publikum begeisterte. Und wie bei Bojangles prägt auch bei Harrell der Tanz auf Zehenspitzen den Stil. Nur war es bei ihm das hüftwiegende Voguing, mit dem er sich in die Tanzgeschichte einschrieb. Denn Harrell war es, der die queere Mannequin-Ästhetik aus der New Yorker Ballroom-Szene mit seinen frühen Performances in den zeitgenössischen Tanz einspeiste, die heute ganz selbstverständlich auch zum Bewegungs-Repertoire städtischer Ballettkompanien gehört.
Nur kurz streift Trajal Harrell diese autobiografische Episode. Umso ausgiebiger wirft der „Dancer of the Year“ dafür in der letzten Szene seines faszinierenden Solos Kusshände ins Publikum. Er hört gar nicht mehr damit auf. Wie eine maßlose Diva. Selbstberauscht, publikumsvernarrt? Wohl kaum. Wohl doch nur das ironische Rollenspiel eines charismatischen „Champions“, der sich selbst immer als ein „Underdog“ sehen wird.