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Urwald-Forscher Steven Feld„Der Regenwald-Soundtrack ist purer Heavy Metal“

Lesezeit 8 Minuten
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Steven Feld kennt sich in Urwäldern bestens aus. 

  1. Könnte es sein, dass Glocken mit ihrer 1000-jährigen Geschichte in Europa eine ähnliche Rolle spielen wie es für die Menschen im Regenwald seit 40.000 Jahren die Vögel tun oder seit 30 Jahren die Autohupen in Afrika?
  2. Solchen Fragen geht der Klangforscher Steven Feld nach. Er besucht Urvölker und durchstreift Regenwälder, um die Bedeutung von Klängen zu erforschen.
  3. Im Interview erzählt er von seinen Expeditionen und erklärt, warum es im Urwald kein Wort für Lärm gibt.

Steven Feld ist ein Mann der Klänge. Als Wissenschaftler und Musiker mit einem Faible für Jazz befasst er sich mit der Wirkung, die Klang und Geräusch in der Interaktion mit ihrer Umwelt entfalten.

„Vögel, Glocken & Autohupen: Von der Anthropologie des Klangs zur Akustemologie“ hieß sein Vortrag, den er an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Kölner Uni hielt. Feld beschrieb die Geräuschwelten des Regenwalds, der Schafhirten im Norden Griechenlands und der überfüllten Städte Westafrikas – und wie die Menschen mit den Klängen leben. Am Abend zeigte er den Film „Voices of the rainforest“, Ausschnitte davon gibt es auf Youtube.

Der Regenwald-Soundtrack ist „purer Heavy Metal“, wie Feld sagt: Das Zirpen der Grillen, die Stimmen der Vögel, die Rufe der Kröten und das fast weiße Rauschen der Natur erzeugen eine faszinierende, nie aufhörende und brachial laute Klangwelt, die die Menschen von Bosavi seit 40.000 Jahren prägt. Wir haben mit Steven Feld gesprochen.

Mister Feld, Sie haben Umweltgeräusche in verschiedensten Gegenden der Erde gesammelt. Haben Sie verbindendes Element entdeckt?

Wichtig ist festzuhalten, dass ich nicht religiös oder gottesgläubig orientiert bin – ich bin nicht auf der Suche nach Ursachen; mich interessieren Übereinstimmungen und Gleichzeitigkeit. Mich interessiert die Frage: Könnte es sein, dass Glocken mit ihrer 1000-jährigen Geschichte in Europa eine ähnliche Rolle spielen wie es für die Menschen im Regenwald seit 40.000 Jahren die Vögel tun oder seit 30 Jahren die Autohupen in Afrika? Das sind drei sehr unterschiedliche Dimensionen von Zeit und drei unterschiedliche Wege, wie die Menschen sich in ihre Umgebung einpassen. Wieso finden wir in diesen so verschiedenen Fällen diese Art von Verwandtschaft – eine Art Dreieck aus Klängen, Umwelt und spiritueller Welt? Purer Zufall? Ja, kann sein. Aber selbst dann ist die Frage danach wichtig, finde ich.

Sie haben davon gesprochen, dass an manchen Orten das Ohr wichtiger ist als das Auge. Wenn man es nicht hört, sagten Sie über Wahrnehmung im Regenwald, dann ist es auch nicht wahr.

Klang enthüllt die Dinge, die dem Blick verborgen bleiben. Die versteckten Dinge teilen sich mit, indem sie gehört werden. Im Regenwald erschließt das Hören die Welt besser als es das Sehen tut. Aber ohnehin ist es oft so, dass man Dinge hört, bevor man sie sehen kann. Was glauben Sie, wieviel Prozent dessen, was Regenwald ist, sieht man eigentlich? Ich sage: Ein, vielleicht zwei Prozent all der Tiere und Tierarten, die man hören kann, kann man auch sehen.

Der Soundtrack zu Ihrem Film „Voices of the Rainforest“ ist unglaublich – konstant laut und intensiv. Was unterscheidet diesen brutalen Geräuschpegel von dem, was man Lärm nennen könnte?

Der Unterschied könnte sein: Lärm ist störend, ist furchtbar. Er lenkt ab, er ist ein Problem. Die Sprache der Bosavi hat kein Wort für Lärm. Geräusche sind dort etwas, dem man zuhört – die Geräusche können Teil sein der spirituellen Geschichte oder Teil der Geschichte des Überlebens. Wir könnten durch den Regenwald gehen und würden auf dem Boden eine Menge Geräusche hören. Aber wenn jemand sagt: „Spring!“ – dann solltest du springen. Denn da könnte eine Schlange sein, deren Biss dich binnen 15 Minuten tötet. Die Bosavi sind extrem aufmerksam für Geräusche – das ist eine Sache des Überlebens.

Haben Sie diese Fähigkeiten des deutenden Hörens auch entwickeln können?

Musste ich ja. In unserer Welt lernt man, wie man unversehrt die Straße überquert – wir stellen uns ein auf die vertikale Schichtung der Dinge um uns herum. Und manchmal heben wir den Kopf, um weiter entfernte Dinge wahrzunehmen. Im Regenwald ist das komplett nutzlos. Nach oben schauen, um Entfernung abzuschätzen – nein, keine Chance. Die Leute haben mich ausgelacht: Du wirst da nichts sehen, haben sie gesagt. Wenn man mit erfahrenen Jägern unterwegs ist, dann wissen die, wie man extrem leise ist. Und plötzlich sagt jemand: Da ist etwas! Dann gibt es einen Pfiff, dann nehmen sie den Bogen und schießen einen Pfeil. Ich könnte mit dem Fernglas daneben stehen und wüsste nicht, was los ist, bevor das erlegte Tier vor mir auf dem Boden liegt.

Wenn die Bosavi keinen Begriff für Lärm haben, haben sie ein Wort für Stille?

Stille und Lärm sind Wert- oder Maßeinheiten. Stille ist für uns wichtig, weil wir uns danach sehnen. Leute sagen, sie möchten sich ein bissc hen zurückziehen, um etwas Ruhe zu haben. Im Regenwald kann man keine Tür zumachen, und die Geräusche verschwinden. Die Menschen von Bosavi gehen tiefer in den Wald, wenn sie entspannen wollen – weil es dort noch lauter ist, weil es noch mehr Klänge gibt. Es geht also eigentlich nicht um Stille oder Lärm – es geht darum, welche Klangwelt man gelernt hat, als angenehm zu empfinden. Es geht um eine Klangumgebung, die mich wohl und heimisch fühlen lässt.

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Eines Ihrer Themen ist die Kartierung der Welt durch Klang. Bedeutet das: Man sollte nicht versuchen, zu sehen...

Ja, schon. Als Komponist könnte ich den heutigen Tag in einem Song beschreiben. Ich erinnere mich an ein paar Dinge: Heute morgen habe ich einen Kollegen getroffen, wir sind zur Universität gegangen; da war das Gebäude mit einem Büro, dieses Büro hat eine Nummer; und dann war dort die Bibliothek, es gab eine Treppe, und da saßen Leute und haben gegessen; auf dem Weg habe ich Blumen gesehen und ich weiß noch, welche Farbe sie hatten... All das könnte ich in einen Song packen. Dieser Song würde diesen Tag für mich in der Erinnerung festhalten...

Wie eine Mind-Map, eine Gedanken-Landkarte?

Ja, etwa. Das ist ja ungefähr, was ein Song wäre: Eine Möglichkeit, die Dinge und Erfahrungen zu sammeln und für immer aufzubewahren.

Haben Sie diesen besonderen Umgang von Menschen mit Klängen der Umgebung auch woanders gefunden?

Menschen haben Beziehungen zu allem, was sie umgibt; zu Menschen und Tieren, zu Geistern und zu Technologie. Die Leute haben Beziehungen zu ihren Autos, zu ihrer Straßenbahn, zum Laufen, zu allen Formen von Mobilität; manchmal benutzen wir alle davon, manchmal fahren wir nur Fahrrad. Wir lernen, uns auf diese Dinge zu verlassen und daraus entsteht eine Art Beziehung: Ich mag ein blaues Fahrrad, oder lieber ein schwarzes; oder ich mag keine Autos – das wären solche Reaktionen auf unsere Umwelt. Die Menschen von Bosavi haben zu ihrer Umwelt starke Beziehungen entwickelt.

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Besuch bei den Bosavi

Sie haben in Ihrem Vortrag über die Schäfer in Griechenland gesprochen. Was haben Sie beobachtet?

Wir haben Schäfer mit ihren Herden getroffen, stolze Leute sind das. Sie laden dich zu einem Spiel ein: Sie drehen sich mit dem Rücken zur Herde, vielleicht 30 oder 40 Schafe; wenn sich eines von der Herde wegbewegt, dann sagt Schäfer: Ah, das war das Tier mit dem braunem Fleck über dem linken Bein. Sie geben den Tieren Name; die Glocke um den Hals ist die Stimme des Tieres – unverwechselbar für den Hirten. Ein Freund von mir hat darüber geschrieben, über die Verständigung der Schafe mit den Hirten; definiert durch den Klang dieser Glocken. Tatsächlich ist die Fähigkeit der Hirten, die Schafe zu unterscheiden immens – es sind große Herden.

Sie sagten in Ihrem Vortrag: Man sieht die Schafe nicht notwendigerweise; aber man hört immer, wo sie sind...

Ich habe die Landschaft durchwandert; und ich hörte all diese Glocken der Schafe, konnte sie aber die meiste Zeit nicht sehen. Das kam mir dann vor wie mit den Stimmen der Vögel im Regenwald – sie kommen, sie gehen, manchmal hörst du sie, manchmal nicht. Im Regenwald weiß ich von den Vögeln: Sie künden durch ihre Stimmen von der Tageszeit; von der Jahreszeit; sie geben Auskunft über das Wetter und die Wanderungen der anderen Tiere; sie erzählen, wer gerade auf Jagd ist und wer gejagt wird; sie berichten aus den Etagen hoch oben in den Bäumen; sie erzählen, wo gefressen und wo gebrütet wird ... Und ich dachte mir, dass das so ähnlich sein könnte mit den Schafen. Sie markieren mit dem Klang ihrer Glocken oft die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Land. Man kann die Frage stellen, ob sie historisch nicht sogar zu diesen Grenzen geführt haben. Und wenn die Tiere den Unterschied begründen zwischen Privat und Öffentlich – dann repräsentieren sie eine Art Historie des Landbesitzes. Das fand ich aufregend: Kann Klang etwas erzählen über die Wohlstandsentwicklung?

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Der Regenwald-Soundtrack ist „purer Heavy Metal“

Über die Rolle der Kirchenglocken sagten Sie: Die Glocken definieren Gemeinden – solange ich die Glocke höre, weiß ich, zu welcher Gemeinde ich gehöre.

Jede Glocke ist wie ein Radiosender – innerhalb der Reichweite gibt es unterschiedlichste Gemeinschaften; das kann religiös sein, wenn die Glocke zur Messe ruft; das kann eine Arbeitsgruppe sein; es kann eine Wandergruppe sein, die an der Glocke erkennt: Jetzt sind wir in Köln; jetzt sind wir woanders. So entstand mein Interesse, dass Glocken ein Ordnungssystem für Raum und Zeit sein könnten.

Haben Sie als Musiker etwas Neues erfahren, etwas gelernt von all diesen Klangwelten?

Ich habe gelernt, dass viele Theorien, die die Avantgarde-Komponisten glauben erfunden zu haben, bereits seit 40000 Jahren existieren – im Regenwald, entstanden durch das Zusammenleben der unterschiedlichsten Arten. Was würde Stockhausen zu dem Regenwald-Soundtrack sagen – dass Klang so viel Höhe haben kann, so viel Tiefe und so viel Zufälliges? Wir versuchen das aufwändig zu kreieren anstatt dort hinzugehen, wo es die Klänge gibt und die Frage zu stellen: Wie haben Menschen sich entwickelt unter dem Einfluss all dieser Klänge?

Das Gespräch führteKarlheinz Wagner