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US-Erfolgsserie „The Bear“Diese Küche zeigt unsere moderne Arbeitshölle

Lesezeit 4 Minuten
Szene aus der US-Serie „The Bear“, deren zweite Staffel jetzt auf Disney+ läuft. Man sieht die Jeremy Allen White (l.) und Ayo Edebiri an einer Straßenkreuzung in Chicago stehen, ihr neues Restaurant betrachtend.

Jeremy Allen White und Ayo Edebiri in der US-Serie „The Bear“

Die US-Serie „The Bear“ war der große Überraschungserfolg 2022. Ob die zweite Staffel der Restaurant-Serie da noch drauflegen kann? Unsere Kritik.

Christopher Storers Fernsehserie „The Bear“ – die zweite Staffel ist jetzt in Deutschland auf Disney+ zu sehen – hat in der chaotischen Küche eines Sandwich-Shops in Chicago die bislang beste Metapher für unsere moderne Arbeitswelt gefunden. Hier drängen sich unterbezahlte Kräfte auf viel zu kleiner Fläche. Nichts funktioniert, nichts ist im Fluss, alle Arbeit ist im Grunde Krisenmanagement. Mal fehlt der Strom, mal das Gas, mal ist kein Fleisch geliefert worden. Immer steht das Geschäft kurz vorm finanziellen Kollaps. Und wenn „The Bear“, was selten geschieht, ein bisschen dicker auftragen will – immerhin ist die Serie als „Comedy“ klassifiziert – explodiert dem Reinigungswilligen die Toilette im Gesicht.

Wer hier ackert, weiß bereits, dass er es nicht geschafft hat. Hier werden Träume frittiert. Mikey Berzatto, den ehemaligen Eigentümer, hat dieses Anrennen gegen eine Sackgasse umgebracht. Drogen, Schulden, Kleinkriminalität. Und keine Aussicht auf Besserung. Seinem jüngeren Bruder Carmy hat er den Laden als vergiftetes Erbe hinterlassen. Warum der, als Gourmet-Koch mit Michelin-Stern, sich das überhaupt antut, ist das große Mysterium der ersten Staffel. Ist es Trauerarbeit oder der Wiederholungszwang eines transgenerationalen Traumas?

Carmy träumt davon, den Sandwich-Shop in ein Edel-Restaurant zu verwandeln und am Ende der ersten Staffel geschieht dann tatsächlich so etwas wie ein kleines Wunder, sieht es aus, als könnten manche Träume wirklich wahr werden.

Die amerikanischen Kritiker liebten „The Bear“, die Zuschauer auch. Die kleine Serie bestand zwar nur aus acht Folgen in Sitcom-Länge, war aber zeitweise die meistgestreamte Show in den USA. Kein konzeptueller Überbau, keine Verbindung zu irgendwelchen bekannten Franchises, kaum bekannte Schauspieler: „The Bear“ war hauptsächlich um Jeremy Allen White, den jungen Darsteller des Carmy, herum gebaut worden, der zuvor zehn Jahre in der TV-Serie „Shameless“ den ebenfalls hochbegabten Sohn einer dysfunktionalen Arbeiterfamilie aus Chicago gespielt hatte.

Mit dem durchschlagenden Erfolg konnte wohl niemand rechnen. Obwohl es im Rückblick leicht zu verstehen ist, dass sich mehr Menschen mit einem zwar richtungslosen, aber dafür umso gefühlvolleren Loser wie Ebon Moss-Bachrachs Richie identifizieren können, als mit irgendwelchen behelmten Mandelorians oder spitzohrigen Elben. Der einzige Spezialeffekt von „The Bear“ ist der tief empfundene Humanismus der Serie.

Die zweite Staffel müsste nun eigentlich zwangsläufig enttäuschen. Was gibt es schon noch zu erzählen, wenn sich der amerikanische Traum von der harten Arbeit, die letztendlich mit Erfolg belohnt wird, bereits erfüllt hat? Aber natürlich reicht das Geld fürs geplante Restaurant hinten und vorne nicht, drohen Bürokratie und unvorhergesehene Bau-Probleme das Unternehmen im Keim zu ersticken, müssen Carmy und seine Sous-Chefin und neue Geschäftspartnerin Sydney (die fantastische Ayo Edebiri) alles bisher Erreichte verpfänden – obwohl die Gastronomie doch sowieso schon mehr Risiken als Chancen birgt. Egal, wo man hinkommt, die Verhältnisse bleiben prekär.

Der einzige Spezialeffekt von „The Bear“ ist der tief empfundene Humanismus der Serie

Die Frage bleibt: Wozu das Ganze? Wozu sich abmühen, wozu bis spät nachts arbeiten und um fünf Uhr wieder aufzustehen? Das soll der große Traum sein? Das war schon alles? Immerhin, manche Mitarbeiter des Sandwich-Shops entdecken ganz neue Ressourcen in sich. Wenn Liza Colón-Zayas, die mürrische Linienköchin aus der ersten Staffel, ob ihrer neuen Aufgaben zum schönsten Lächeln der Fernsehsaison erblüht, möchte man sich daraus glatt ein Meme fürs nächste Mitarbeitermotivation-Seminar basteln.

Auch der Serie merkt man ihren Erfolg an, die Stadtpanoramen von Chicago sind eindrucksvoller abgefilmt und die Gaststars prominenter, unter anderem absolvieren Olivia Coleman und Will Poulter Kurzauftritte. In „Fishes“, der gut einstündigen Schlüsselfolge der zweiten Season, scheinen es die „The Bear“-Macher dann endgültig mit den Star-Auftritten übertrieben zu haben: Jamie Lee Curtis, Bob Odenkirk, Sarah Paulson und Standp-Up-König John Mulaney treten in einer Rückschau als weitere Familienmitglieder der Berzattos auf, man hat sich zum Weihnachtsessen versammelt. Eine hochexplosive Angelegenheit, klar. Den Krach unterm Baum kennt man aus tausend anderen Sitcoms und selbstverständlich auch von zu Hause.

Aber hier wird der Zuschauer derart gnadenlos in ein Stressflecken induzierendes Stimmengewirr gedrängt, dass man in den ersten Minuten vollauf damit beschäftigt ist, Flucht- beziehungsweise Umschaltimpulse zu unterdrücken. Die Gesichter von der A-Liste hat man jedenfalls schnell vergessen, ihr Status wird im Sog des familiären Wahnsinns unterspült, vor allem Jamie Lee Curtis als Carmys alkoholkranke Mutter liefert hier die beste, schonungsloseste Leistung ihrer Karriere ab.

Was bleibt, nachdem man sich langsam in die psychologische Dynamik der Situation eingefühlt hat, ist ein Kammerspiel, das manchmal beinahe Ingmar-Bergman-Höhen erreicht. Und die Erkenntnis, dass Carmys Mutter dieselbe Frage umtreibt, wie ihren Sohn: Warum mache ich das alles? Was erhoffe ich mir? Und wo zum Teufel bleibt der Lohn für meine Mühen?