Mechthild Frisch lässt Kartons mit der Bohrmaschine funkeln. Die löchrige Kunst der Kölnerin ist jetzt in Bergisch Gladbach zu sehen.
Mechthild Frisch in der Villa ZandersDiese Kunst ist aus Pappe, aber nicht von Pappe
Als man sein Obst noch in spitzen Papiertüten nach Hause trug, lebte Mechthild Frisch beinahe wie im Schlaraffenland. Sie schnitt den Tüten die Zipfel ab, klebte sie dicht an dicht in eine Papprolle und fertig war der gierige Höllenschlund mit Zähnen. Jetzt hängt die Arbeit in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach, natürlich genau auf Augenhöhe für Erwachsene, und man fragt sich, warum erst die Kölner Malerin kommen musste, um einen auf die Idee zu dieser Bastelarbeit zu bringen.
Vermutlich war man als Kind doch nicht so fantasiebegabt, wie man immer glaubte; Papprollen waren Fernrohre oder schlappe Prügel und sonst nicht viel. Mechthild Frisch hingegen baute sich, obwohl längst kein Kind mehr, aus solchen alltäglichen Materialien ihr eigenes Reich. Sie raffte Tüten, Kartons und Papprollen zusammen, um daraus Kunst zu machen. Die ist manchmal erstaunlich einfach, wie bei den Kartondeckeln, in die sich Kreise (vermutlich durch Dosenfutterdosen) gedrückt haben. Frisch malte die Abdrücke in verschiedenen Varianten aus, verwandelte sie in Halbkreise, Sicheln oder geometrische Schnittmengen und lässt dies alles, akkurat nebeneinander an die Wand gehängt, wie eine überkandidelte Studie in Mondphasen aussehen.
Mit „Sehstücke“ gratuliert die Villa Zanders Frisch zum 80. Geburtstag
Diese Arbeit gehört zu den jüngeren der Schau, was zeigt, dass man sich auch im fortgeschrittenen Alter ein kindlich-künstlerisches Gemüt bewahren kann. Mechthild Frisch ist dieses Jahr 80 Jahre alt geworden, die Villa Zanders gratuliert mit „Sehstücke“, einer Ausstellung, die etwa ein halbes Leben umfasst und sich auf Frischs Papier- und Kartonwerk konzentriert. Ein Verlust ist das nicht: Die Stücke der Ausstellung sind zwar oft aus Pappe – aber nicht zu unterschätzen.
Auf die frühen Bastelarbeiten folgten bald die Probebohrungen, die zu Frischs Hauptbeschäftigung werden sollten. Sie nahm sich Kartonplatten im Großformat vor, bemalte Vorder- und Rückseite in jeweils einer Farbe und bohrte Tausende kleiner Löcher hinein; danach malte sie auch das Innere der Löcher aus. Das Ergebnis lässt sich in Bergisch Gladbach an beinahe jeder Wand bestaunen: Die Bilder fließen hin und her, weil sich der Blick nirgendwo verhaken kann, sie ändern Farbe und Struktur, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man sie betrachtet, sie changieren auf wunderbare Weise zwischen hartleibig und porös – und sehen einander niemals gleich.
Mechthild Frisch interpretiert die Pappe wie der liebe Gott den Lehm
Kleine Änderungen bewirken auf diesen Lochbildern große Unterschiede. Wenn Frisch die Pappe von hinten nach vorne durchbohrt, ist das Bild eine Kraterlandschaft, im umgekehrten Fall eher eine sanft wogende See. Schräg gebohrte Löcher lassen die Wellen in eine bestimmte Richtung schlagen und glänzende Farben den Karton metallisch wirken; ein Bild simuliert im fließenden Übergang von Gelb zu Schwarz überzeugend eine Sonnenfinsternis. Frisch ist nicht nur Malerin, sondern auch Materialdeuterin – sie interpretiert die Pappe wie der liebe Gott den Lehm.
In diesem Geiste faltete sie die perforierte Pappe zu räumlichen Skulpturen auf. Aus einem Möbelkarton wurde ihr in glänzendem Schwarz bemaltes „Schneewittchenstück“, ein wie von vielen Pistoleros durchlöcherter Sarg, der, je nach Perspektive und Lichteinfall viel von seiner Schwere verliert, beinahe durchscheinend wird. Andere Kästen beginnen zu glitzern, sie knistern im Licht, eine verrückte Mischung aus Pointillismus, Schuhkartonskulptur und Monochromie.
Man stellt sich zu diesen Raummalereien gerne vor, wie Mechthild Frisch die Bohrmaschine rattern lässt. Aber die Künstlerin kann es auch deutlich filigraner. Ein großer Teil der Ausstellung ist ihren Postkarten gewidmet, die sie so lange mit feinen Nadeln oder der Lochzange traktiert, bis sich die Motive aufzulösen und in ihren Glaskästen zu schweben beginnen. Mehr als 30 Mal hat sie die Reproduktion eines berühmten Van-Gogh-Selbstbildnisses gestanzt. Es ist ein Werk der Liebe, eine Huldigung an das Licht. Frisch haucht toten Objekten neues Leben ein.
„Mechthild Frisch. Sehstücke“, Kunstmuseum Villa Zanders, Konrad-Adenauer-Platz 8, Bergisch Gladbach, Di., Fr. 14-18, Mi., Sa. 10-18, Do. 14-20, So. 11-18 Uhr, bis 8. Oktober 2023