Ist die Mitte des Lebens wirklich geprägt von Krisen oder ist sie gar unsere Blütezeit? Darüber sprachen Volker Kitz und Barbara Bleisch bei der lit.Cologne.
Volker Kitz und Barbara Bleisch über die LebensmitteWarum die Midlife-Crisis ein Klischee ist

Barbara Bleisch und Volker Kitz sprechen im Comedia-Theater über die Ambivalenzen der Mitte des Lebens.
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„Im Leben meines Vaters, so stelle ich mir vor, gibt es alle paar Minuten einen Urknall“, schreibt Volker Kitz in dem Buch, aus dem er an diesem Abend der Lit.Cologne liest: „Er kann nicht weiter zurückschauen als diese paar Minuten, und der Raum dahinter ist leer.“ Kitz hat eine eindringlich berührende, dennoch kitschfreie Sprache gefunden, um in Worte zu fassen, was schwer zu ertragen ist: Die Demenz des eigenen Vaters und wie die Krankheit sich in die Beziehung der beiden drängt, den Alltag immer mehr bestimmt.
Ganz anders ist dagegen das neue Buch der Schweizer Philosophin Barbara Bleisch, die darin für die Mitte des Lebens eine „Philosophie der besten Jahre“ entwirft. Auch sie ist an diesem Abend zu Gast im Kölner Comedia-Theater, um gemeinsam mit Moderatorin Susanne Weingarten über diese besondere Lebensphase zu sprechen. Es ist eine Gegenüberstellung zweier grundverschiedener Perspektiven: die philosophisch-verallgemeinernde Abhandlung einer Lebensphase und die sehr persönliche Erzählung einer Vater-Sohn-Beziehung. Das einzig verbindende Element ist die Lebensphase und damit verbundene Fragestellungen, um die sich beide Bücher drehen. Und genau darin liegt der Gewinn des Abends: im Nebeneinander dieser Perspektiven mit all ihren Ambivalenzen.
Bei Aristoteles galt die Mitte des Lebens als Blütezeit
Während die Mitte des Lebens bei Aristoteles noch als Blütezeit galt, denken wir heute sofort an die viel beschworene Midlife-Crisis. Die hält Bleisch jedoch für viel zu kurz gegriffen, denn wie in jeder Lebensphase gebe es auch zu dieser Zeit Vorzüge: etwa ein gewisses Maß an Lebenserfahrung, sich schon viel besser zu kennen und sich so mehr selbst vertrauen zu können, oder einsehen zu können, dass vieles aus der Distanz weniger dramatisch erscheint. Gerade in der Mitte des Lebens könne man diese Fähigkeiten trainieren und gewinnbringend für sich nutzen. Der breite Glücksbegriff der Philosophie schließe außerdem durchaus auch die düsteren Momente ein, so Bleisch. Ein Leben in Fülle und seiner gesamten Tiefe beinhalte auch Trauer, Verletzlichkeit, Frustration und Verzweiflung. Vieles davon sei zum Beispiel die Kehrseite der Liebe. Wenn wir lieben, wenn wir uns kümmern, dann ist das natürlich anstrengend und geprägt von der Angst, verlassen zu werden.
Das Schreiben ist sein Versuch, zurechtzukommen
Auch in Volker Kitz' Essay spürt man beides: Liebe und Schmerz. Auf der Bühne erzählt er, wie er seinen Vater irgendwann vom Land zu sich nach Berlin in ein Pflegeheim holt, um ihn zumindest jeden zweiten Tag sehen zu können. Besonders umgetrieben habe ihn die Suche nach dem Anfang der Krankheit. Rückblickend sei das wohl ein verzweifelter Versuch gewesen, Kontrolle zurückzugewinnen. Gleichzeitig schwingt bei der Frage auch die Angst um sich selbst mit: „Fällt mir ein Name nicht ein, was zunehmend vorkommt, fragt mich die Stimme: Hat es angefangen?“, schreibt er im Buch. Das Schreiben ist sein Versuch, zurechtzukommen, auf keinen Fall aber der Krankheit seines Vaters nachträglich einen Sinn zu verleihen und die Zeit zu romantisieren, wie Volker Kitz betont, denn: „Wir hätten auf diese Demenz voll und ganz verzichten können.“ Ihm ginge es vielmehr darum, wie man mit etwas umgeht, das man sich eben nicht ausgesucht hat.
Die Frage, wie man mit alternden, oft pflegebedürftigen Eltern umgeht, betrifft sehr viele. Nicht nur die beiden Autoren auf der Bühne, auch das Publikum, wie Kitz nach einem prüfenden Blick in die Reihen feststellt, entstammt weitgehend der Generation X. Die ist mit fast siebzehn Millionen aktuell die größte in Deutschland. Und immerhin 1,8 Millionen Menschen mit Demenz leben hier, über 1.200 kommen jeden Tag dazu. Auch deshalb fand das Buch von Volker Kitz wohl so viel Anklang. Ihn erreiche sehr viel Post von Personen, die ihm schreiben, es komme ihnen vor, als würden sie ihre eigene Geschichte lesen.
Auch das gehört zur Mitte des Lebens: nicht mehr die vielen, aufregenden und schönen ersten Male, sondern die schmerzhaften – etwa das erste Mal ein Elternteil oder einen Freund zu verlieren. In der Lebensmitte, so sagt Barbara Bleisch am Ende dieser Veranstaltung, werden die Neuanfänge nicht mehr vom Leben an uns herangetragen, wir müssen sie uns selbst schaffen.
„Mitte des Lebens. Eine Philosophie der besten Jahre“, Barbara Bleisch, Hanser Verlag, 272 Seiten, 25 Euro.
„Alte Eltern: Über das Kümmern und die Zeit, die uns bleibt“, Volker Kitz, Kiepenheuer & Witsch Verlag, 240 Seiten, 23 Euro.