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Volker Kutschers letzter Rath-RomanDie Welt steht am Abgrund

Lesezeit 4 Minuten
Volker Kutscher sitzt in einem Café vor einer bunten Wand. Er trägt einen schwarzen Pullover.

Schriftsteller Volker Kutscher hat seine Rath-Reihe mit dem zehnten Band abgeschlossen

Mit „Rath“ schließt der Kölner Autor seine erfolgreiche Krimi-Reihe ab, die Vorlage für die TV-Serie „Babylon Berlin“ war.

Für Volker Kutscher stand von Beginn an fest, dass er seine Krimi-Reihe über Gereon Rath, die so viel mehr ist als das, mit den Ereignisse der Novemberpogrome im Jahr 1938 enden lassen würde. „Ich kann erst aufhören, wenn wirklich der letzte Schritt gegangen ist, der endgültige Zivilisationsbruch. Und das ist die Pogromnacht“, sagte der Kölner dieser Zeitung einmal. Zugleich war ihm klar, dass es eine Fortsetzung über dieses Ereignis hinaus für ihn nicht geben kann: „Ich will erzählen, wie es zu Krieg und Shoah kommen konnte, ich will nicht die Katastrophen selbst erzählen.“

Somit steht fest, dass „Rath“, der zehnte Bahn der Reihe, der letzte sein wird. Das ist für seine vielen Fans sicherlich eine traurige Nachricht. Fast ein Jahrzehnt haben sie das Leben von Gereon Rath und Charlotte Ritter, später Rath, verfolgt, haben miterlebt, wie sich die fragile Demokratie der Weimarer Republik in eine Diktatur verwandelte. Doch wie es den beiden während der kommenden Monate und im Zweiten Weltkrieg ergehen wird, bleibt ihrer Imagination vorbehalten. Die gute Nachricht ist, dass Kutscher mit „Rath“ einen würdigen Abschluss dessen gefunden hat, was mit „Der nasse Fisch“ – im vergangenen Jahr das „Buch für die Stadt“ – begann.

Düstere Zeiten für Kutschers Hauptfiguren

Obwohl die Serienadaption „Babylon Berlin“ den Eindruck erweckte, es gehe vor allem um das Lebensgefühl der Goldenen Zwanziger, ging es Kutscher von Beginn darum, den Niedergang der ersten deutschen Demokratie und das Erstarken der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nachzuzeichnen. Wie dünn der Firnis der Zivilisation ist, ist eine Erkenntnis, die uns auch in der Gegenwart Angst macht. In „Rath“ ist die Phase, in der die Nazis ihre Pläne zumindest noch im Ansatz verschleierten, längst vorbei. Die Diktatur ist gefestigt, und dass Hitler Krieg will, muss jedem klar sein, der die Augen nicht vor der Realität verschließt.

Für Charly, deren Mann Gereon offiziell für tot erklärt wurde, sind es düstere Zeiten. Auch in diesem abschließenden Roman zeigt sich, dass sie Kutschers Lieblingsfigur ist, man kann ihn verstehen. Sie ist standfest, verfolgt ihre Ziele, ohne ihren moralischen Kompass je aus den Augen zu verlieren. Welche Gefahr die Nazis für Deutschland darstellen, hat sie schon gesehen, als viele andere sie nur für ein paar harmlose Spinner hielten. Nun bemüht sie sich, ihren Ziehsohn Fritz davor zu bewahren, für den Mord an zwei HJ-Mitgliedern verantwortlich gemacht zu werden, den er nicht begangen hat. Keine leichte Aufgabe, denn der Polizei hatte sie schon zu Beginn der NS-Herrschaft den Rücken gekehrt, weil sie nicht zur Handlangerin einer Diktatur werden wollte.

Mahnung für die Gegenwart

Charly ist zweifellos die große Sympathieträgerin der Buchreihe. Spannender für das Verständnis, was dazu führt, dass eine Demokratie kippt, sind aber die vielen Figuren in Kutschers Kosmos, deren Haltung und Verhalten ambivalent ist – allen voran Geron Rath. Er ist ein schwieriger Charakter, einer, der lange Zeit nicht sehen wollte, was seiner Frau schon klar war, der auf seinen Vorteil bedacht ist und dafür im Zweifel auch über Leichen geht. Gleichzeitig ringt er mit sich, zeigt, dass die Welt selten schwarz-weiß ist und wir in ihr auch nicht.

Nach seiner Flucht in die USA ist der offiziell im Einsatz fürs Vaterland getötete Ermittler mit seinem Bruder Severin nach Deutschland zurückgekehrt, weil sein Vater in Köln im Sterben liegt. Nach Berlin will er nicht zurückkehren, aus Angst davor, entdeckt zu werden. Und so versteckt er sich bei einem alten Freund seines Vaters, einem gewissen Konrad Adenauer. Die Beschreibung der Begegnungen mit dem früheren Kölner Oberbürgermeister haben Volker Kutscher offensichtlich großen Spaß gemacht. Charly, für die die Erkenntnis, dass er doch nicht gestorben ist, ein Schock war, trifft Rath alle paar Wochen in Hannover, aber die Ehe steckt aus vielerlei Gründen in einer schweren Krise.

In „Rath“ bringt Volker Kutscher souverän zu Ende, womit er sich rund 20 Jahren beschäftigt hat. Seine Fans werden aushalten müssen, dass viele Fragen offen bleiben. Wie es für Charly, Gereon und zahlreiche andere Weggefährten nach der Pogromnacht weitergeht, ist ungewiss. Wie schon in den früheren Bänden der Reihe hilft dem ehemaligen Zeitungsredakteur seine akribische Recherche dabei, nicht nur geschichtliche Ereignisse detailliert abzubilden, sondern zu zeigen, was es konkret bedeutet, wenn eine Demokratie zerbricht und Hass und Ausgrenzung letztlich zu Vertreibung und Mord führen. Neben großer Unterhaltung ist dieser Roman eine Mahnung an uns alle, nicht zu vergessen, was auch in unserer Demokratie zurzeit auf dem Spiel steht.


Volker Kutscher, Jahrgang 1962, studierte Germanistik, Philosophie und Geschichtswissenschaft, arbeitete zunächst als Tageszeitungsredakteur und veröffentlichte mehrere Regionalkrimis, bevor er sich dem Romanschreiben widmete. Die Rath-Romane wurden mehrfach ausgezeichnet und dienten als Vorlage für die erfolgreiche Serie „Babylon Berlin“. Kutscher lebt in Köln.

Volker Kutscher: „Rath“, Piper, 624 Seiten, 26 Euro, E-Book: 19,99 Euro.