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Werke aus der Psychiatrie„Woran misst man den Erfolg von Kunst? Am Preis? Wohl eher nicht“

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A child looks out from the window of a train displaying an advert to a Salvador Dali exhibition, at Gara de Nord, the main railway station in Bucharest, Romania,

Savador Dalí galt als begeisterter Anhänger der Sammlung Prinzhorn.

Vor hundert Jahren entstand die Sammlung Prinzhorn, noch heute wird die Kunst psychisch Kranker ausgestellt. Was hat es damit auf sich?

Herr Röske, Sie sind Leiter der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg. Bewahrt werden dort heute 40.000 Exponate vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis heute. Ihr Vorgänger Hans Prinzhorn, der die Bilder vor hundert Jahren hauptsächlich sammelte, hat dazu auch ein bis heute bekanntes Werk herausgegeben. Es heißt „Bildnerei der Geisteskranken“. Das klingt aus heutiger Sicht sehr abwertend.

Thomas Röske: Sicher. Heute sprechen wir eher von Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung. Aber Prinzhorns Titel war zu seiner Zeit keineswegs abwertend gemeint. Er hat einen Bereich der Kunst sichtbar gemacht, der in der Wahrnehmung des Kunstbetriebs vorher gar nicht existierte. Gerade Künstler wie Max Ernst, Oskar Schlemmer, Salvador Dalí oder später Georg Baselitz und Arnulf Rainer reagierten euphorisch darauf. Die Surrealisten sahen in der „Bildnerei“ eines ihrer „heiligen“ Bücher. Paul Klee hat als Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf seinen Studenten Bilder aus Prinzhorns Sammlung gezeigt und dazu gesagt: „Sehen Sie, das ist ein guter Klee. Und das ist auch ein guter Klee.“

Thomas Röske, Leiter der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg

Thomas Röske ist Leiter der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg.

Was ist das Besondere an den Stücken?

Erstmal stammen die Bilder fast ausschließlich von Menschen ohne künstlerische Ausbildung. Außerdem beziehen sich die Werke nicht etwa auf andere zeitgenössische Kunstwerke, sondern eher auf Sedimente der Hochkunst in der Alltagskultur. Das führt auch dazu, dass wir bestimmte Gestaltungsweisen in unserer Sammlung viel früher finden als im Kunstbetrieb. Wir haben da zum Beispiel eine sehr eigenwillige, sehr frühe Collage von 1890. Oder ein mit autobiografischem Text besticktes Jäckchen von 1895. Die Werke sind zum Teil sehr innovativ. Auch wenn sie zur damaligen Zeit höchstens als Sonderbarkeit galten.

Wenn es für etwas keine Schublade gibt, existiert es quasi gar nicht
Thomas Röske

Die Kunst vieler Psychiatrieerfahrener und Behinderter wird auch als „Outsider-Art“ bezeichnet. Viele empfinden das als abwertend. Warum muss man Kunst dieser Menschen überhaupt extra benennen?

Der Kunstbetrieb arbeitet mit Kategorien. Und wenn es für etwas keine Schublade gibt, dann existiert es quasi gar nicht. Keine Galerie kümmert sich darum. Ich empfinde den Begriff auch nicht als abwertend, verstehe ihn nicht als Marker für Ausgrenzung. Für mich ist der Begriff positiv konnotiert. Ich würde die Andersartigkeit hervorheben. Überhaupt kann man die Fragestellung von unterschiedlichen Seiten betrachten. Kennen Sie Linda Nochlins Aufsatz von 1971: „Why have there been no great women artists?

Leider nicht. Erzählen Sie, wie ist die Antwort?

Der Kunstbegriff sah lange Zeit Frauen einfach gar nicht vor. Nun kann man versuchen, als Frau in die Männerdomäne einzugreifen. Und scheitern. Aber warum stellen wir nicht einfach die ganze Begrifflichkeit in Frage? Vielleicht muss man den Kunstbegriff und vor allem den Kunstbetrieb kritisch hinterfragen und verändern. Ist es beispielsweise förderlich für die Kunst, dass sich in dieser Branche nur Menschen durchsetzen, die sehr selbstbewusst sind? Warum sollten wir auf Stimmen verzichten, die viel zu sagen hätten über ihre besonderen Erfahrungen, dafür aber vielleicht eine Assistenz brauchen?

Besser ist anzuerkennen, dass es Besonderheiten gibt und diese den Kunstbetrieb bereichern
Thomas Röske

Sie plädieren also dafür, nicht nur über die Kunst, sondern auch über die biografischen Hintergründe zu sprechen.

Genau. Das wird oft abgelehnt mit dem Argument, es schmälere die Wertschätzung, wenn man sagt: Das Werk ist interessant auch deshalb, weil es von einem Menschen mit Psychiatrieerfahrung erschaffen wurde. Aber das Verschweigen der biografischen Besonderheiten ist die Komplizenschaft der Verdrängung des Problems. Und führt am Ende nur dazu, dass sich die Minderheit den Gesetzen der Mehrheit anpassen muss. Besser ist doch anzuerkennen, dass es Besonderheiten gibt und diese einen pluralen Kunstbetrieb bereichern.


Thomas Röske ist Kunsthistoriker und leitet seit 2002 die Sammlung Prinzhorn am Universitätsklinikum Heidelberg. Röske forscht und lehrt vor allem über kunstgeschichtliche Themen seit dem 18. Jahrhundert. Schwerpunkte sind unter anderem Psychiatrie und Kunst, sowie Outsider Art.


Dann ist nur noch die Frage, wie Minderheiten besser am Kunstbetrieb partizipieren können?

Gute erste Schritte gehen offene Ateliers, in welchen Assistenten arbeiten, die den Künstlern bei der Vermarktung helfen. Dort wird auch überlegt, wie Menschen, die von Sozialhilfe leben, vom Verkauf ihrer Werke profitieren können. Geht das über ein Sparbuch, über Naturalien, über das Verteilen von Einkünften über einen langen Zeitraum?

Gibt es Vorbilder aus anderen Ländern, in welchen beeinträchtigte Künstlerinnen und Künstler schon erfolgreicher sind?

Frankreich und Belgien sind da ganz gut aufgestellt. Auch die Schweiz, was nicht zuletzt daran liegt, dass dort Volkskunst ganz anders geschätzt wird. Die USA kann man noch nennen, dort hat zum Beispiel auch naive Kunst einen anderen Stellenwert und wird gut verkauft. Aber vielleicht ist das auch wieder eine ganz falsche Kategorisierung.

Warum?

Woran misst man den Erfolg von Kunst? Am Preis? Wohl eher nicht. Und wenn doch: Kann Geld glücklich machen? Und: Muss ein Künstler überhaupt berühmt werden? Ich bin ein Fan davon, das alles mal in Frage zu stellen.