Von Schirachs Sterbehilfe-StückAm Ende wollen auch die Zuschauer nicht mehr leben
- Bestsellerautor Ferdinand von Schirach hatte mit seinem Stück „Terror“ einen beispiellosen Bühnenerfolg.
- Den will er nun mit „Gott“ wiederholen: Es geht um das Recht auf das eigene Sterben.
- Unseren Rezensenten hat die Uraufführung am Düsseldorfer Schauspielhaus alles andere als überzeugt.
Düsseldorf – Am Ende wird abgestimmt: „Halten Sie es für richtig“, will die Vorsitzende des Ethikrates vom Düsseldorfer Premierenpublikum wissen, „dass Herr Gärtner Pentobarbital bekommt, um sich töten zu können? Und, allgemeiner: „Halten Sie es für richtig, einem gesunden Menschen ein tödliches Medikament zu geben? Herr Gärtner ist 78. Würden Sie das Medikament einer 30-jährigen Frau geben?“
Wer diese Fragen für sich mit „Ja“ beantwortet, soll die grüne Karte heben, die am Eingang verteilt wurde. Wer nicht, die rote. Wer das jedoch für eine allzu spielerische Art hält, über das Leben, beziehungsweise den Todeswunsch eines Menschen zu urteilen – nicht anders, als hätte man den Daumen hoch oder runter gehalten –, dem bleibt nur, sich zu enthalten.
Der Strafverteidiger Ferdinand von Schirach reüssierte vor elf Jahren mit dem Kurzgeschichtenband „Verbrechen“ als Autor, dessen Erzählungen auf Fällen aus seiner Kanzlei beruhen. Nicht nur das Debüt, auch die folgenden Erzählungen und Romane wurden zu Bestsellern, mit daran anschließenden Verfilmungen.
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Als von Schirach sich 2015 mit „Terror“ zum ersten Mal an ein Theaterstück wagte, wurde dieses ebenso zu einem herausragenden Erfolg: Mehr als eine halbe Million Menschen haben die fiktive Schwurgerichtsverhandlung gesehen, in der es um Schuld oder Unschuld eines Jagdfliegers ging, der eigenmächtig einen entführte Passagiermaschine abgeschossen hatte, die Kurs auf ein ausverkauftes Fußballstadion nahm. Weltweit haben 106 Bühnen das Drama in ihren Spielplan aufgenommen.
Ein neues von-Schirach-Stück ist folglich ein Medienereignis und die Uraufführung von „Gott“ findet am Donnerstagabend gleich doppelt statt: Am Berliner Ensemble inszeniert Hausherr Oliver Reese selbst, am Düsseldorfer Schauspielhaus übernimmt Robert Gerloff.
Das Recht auf Tod
Erneut lässt von Schirach seine Zuschauer eine Frage zwischen Selbstbestimmung und Gesellschaftswohl entscheiden: Herr Gärtner will, wie gesagt, sterben. Er ist weder krank, noch im klinischen Sinne depressiv. Darf sein Hausarzt ihm das tödliche Mittel zukommen lassen, dass ihm einen schmerzfreien Tod garantiert? Ja, er darf, hat das Bundesverfassungsgericht vergangenen Februar entschieden: „Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.“ Aber soll er auch?
Ferdinand von Schirach hat hierzu eine Sitzung des Deutschen Ethikrates erfunden, die zudem den Vorteil hat, dass sie sich coronagerecht inszenieren lässt. Die Anwälte und Sachverständigen sitzen oder stehen im korrekten Abstand, geben ihre Statements ab, oder bohren mit Fragen nach. Echte Menschen gibt es hier nicht zu sehen, nur fleischgewordene Social Bots, die sich wechselseitig Wikipedia-Artikel und Statistiken vortragen. Das Ensemble stakst steif über die Bühne, überbetont, wo kein Sprachrhythmus zu finden ist, müht sich vergebens, dem papiernen Traktat Leben einzuhauchen.
Dröges Drama
Das muss man erstmal hinbekommen, aus einer so existenziellen Frage ein derart dröges Drama zu fabrizieren, an dessen Ende der Zuschauer jeden Lebenswillen verloren hat. Vielleicht liegt der Grundfehler darin, dass dem Publikum im Gegensatz zu „Terror“ hier von Anfang an klar ist, welcher Seite des Arguments die Sympathie des Autors gehört. Kurz, er hat Gott gespielt und Cathleen Baumann als Anwältin des Sterbewilligen alle Matlock-mäßigen Spitzfindigkeiten in den Mund gelegt. Die schafft es aber nur, ihre Bühnenpartner umso lebloser wirken zu lassen. Besonders gnadenlos nimmt sie Thomas Wittmann als katholischen Bischof auseinander, bis der sich nur noch auf ein „Ich glaube, weil es der Vernunft zuwiderläuft“ berufen kann. Ausgerechnet Wittmann aber ringt dem trockenen Text eine glanzvolle Performance ab.
Der Rezensent findet sich am Ende in der Minderheit wieder: Er hat die rote Karte gehoben. Als Kompliment an Thomas Wittmann und auch weil diese textliche Totgeburt eine ebensolche verdient hat.
Alle Vorstellungen von „Gott“ im Düsseldorfer Schauspielhaus sind bis Ende Oktober ausverkauft.