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Vorlesung an der UniVor 600 Jahren wurden die jüdische Gemeinde aus Köln vertrieben

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Die Synagoge an der Roonstraße ist heute das Zentrum der Synagogen-Gemeinde Köln.

Die Synagoge an der Roonstraße ist heute das Zentrum der Synagogen-Gemeinde Köln.

Vor 600 Jahren wurden die jüdische Gemeinde aus Köln vertrieben - eine Ringvorlesung an den Universitäten Köln und Münster erinnert daran

Die Mitteilung ist nur knapp, aber doch von großer Tragweite. Im Protokoll zu seiner Sitzung am 23. August 1423 hält der Kölner Rat einen folgenschweren Beschluss fest: Die Aufenthaltsgenehmigung für die Juden und Jüdinnen in der Stadt wird nicht verlängert. Bis Ende September 1424 bekamen sie Zeit, ihren Besitz zu veräußern und die Stadt zu verlassen. Gründe wurden keine angegeben.

14 Monate später endete das jüdische Leben in Köln für bald 400 Jahre. Dem Thema wollen die Universitäten Köln und Münster näher nachgehen. Gemeinsam mit dem Jüdischen Museum MiQua in Köln starten sie am Dienstag eine Ringvorlesung. Verschiedene Wissenschaftler erklären die Hintergründe und ordnen die Geschehnisse in einen europäischen Zusammenhang ein. Die letzte Vorlesung im Januar befasst sich damit, wie Motive des mittelalterlichen Anti-Judaismus bis heute andauern.

In Köln lebt die älteste jüdische Gemeinschaft Deutschlands

In Köln lebt nicht nur die älteste jüdische Gemeinschaft Deutschlands, sondern auch die nördlich der Alpen. Erstmals erwähnte der römische Kaiser Konstantin in einem Edikt aus dem Jahr 321 eine jüdische Gemeinde in Köln. Das 1.700-Jahr-Jubiläum wurde vor zwei Jahren deutschlandweit mit zahlreichen Veranstaltungen gefeiert. Was die Vertreibung der jüdischen Gemeinde anging, war die Stadt Köln kein Einzelfall. Im Gegenteil, im Laufe des 15. Jahrhunderts traf es fast alle jüdischen Gemeinden in den Städten und Territorien des Reiches. Nur in Frankfurt am Main, Friedberg in der Wetterau und in Worms blieben die Gemeinden verschont - bis zum Nationalsozialismus.

Carla Meyer-Schlenkrich, Professorin für Landesgeschichte an der Universität Münster und Mitveranstalterin der Ringvorlesung, macht darauf aufmerksam, dass die Ausweisungen von oben erfolgten - also von den jeweiligen Herrschern oder Städten. Sie ordneten auch Repressionen an. In Köln traf die Ausweisung 30 steuerzahlende Familien. Der Rat der Stadt erlaubte immerhin den Betroffenen, ihr Hab und Gut mitzunehmen, statt sie zu enteignen und auf diese Weise Profit zu machen. Die Kölner Synagoge wurde nach der Vertreibung sofort umgebaut zur Ratskapelle Sankt Maria in Jerusalem.

Der oberste Schutzherr der Juden war der deutsche König und Kaiser. Die Stadt Köln ließ sich reichlich Zeit, die Vertreibung der jüdischen Gemeinde gegenüber König Sigismund zu rechtfertigen. Sie antwortete erst 1431 mit einem Brief, der laut Meyer-Schlenkrich zwar demütig im Ton war, aber sich dennoch zwischen den Zeilen reichlich dreist liest. Das Schreiben enthielt sämtliche antijüdischen Vorurteile, die zu dieser Zeit kursierten. Wie der König das Schreiben aufgenommen hat, ist nicht bekannt.

Heute zählt die jüdische Gemeinde in Köln wieder knapp 4000 Mitglieder

Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts hätten die Vorurteile deutlich an Schärfe zugenommen, so Meyer-Schlenkrich. „Das vorher Unsagbare wurde auf einmal sagbar.“ Diese Entwicklung stehe in Zusammenhang mit der Großen Pest 1348/49, für die die Jüdinnen und Juden verantwortlich gemacht worden seien und die zu schrecklichen Pogromen geführt hätten. In Köln fand das Pestpogrom in der Nacht vom 23. auf den 24. August 1349 statt. Meyer-Schlenkrich weist darauf hin, dass sich die Ereignisse der Brandnacht durch Schutt belegen lasse. Ein solcher „Pogromschutt“ ist nach Meinung der Historikerin außergewöhnlich.

Es waren aber nicht nur die Vorurteile, die zur Ausweisung führten. Die jüdische Gemeinschaft geriet zum einen in die innerstädtischen Konfliktlinien - und seit dem 13. Jahrhundert auch immer wieder in die ständigen Auseinandersetzungen zwischen Stadt und Erzbischof. Letzterer war der Schutzherr vor Ort. Mit der Vertreibung demonstrierte die Stadt ihr Selbstbewusstsein gegenüber dem Erzbischof und dem Kaiser, auf Kosten der jüdischen Gemeinschaft.

1798, erst nach dem Ende der reichsstädtischen Zeit, durften sich die ersten jüdischen Familien wieder in Köln niederlassen. Drei Jahre später wurde eine Kultusgemeinde gegründet, die die Nazis zerstörten. Heute zählt die jüdische Gemeinde in Köln wieder knapp 4.000 Mitglieder.


Die Universitäten Köln und Münster starten eine Vorlesungsreihe zur Vertreibung der jüdischen Gemeinschaft aus Köln vor 600 Jahren. Die Unis arbeiten bei der Veranstaltungsreihe mit dem Jüdischen Museum MiQua in Köln zusammen. Die Ringvorlesung startet am 10. Oktober, 18 Uhr, im Stiftersaal des Wallraf-Richartz-Museums mit dem Vortrag „Ressentiment trifft politisches Kalkül. Die Entscheidung des Kölner Rates zur Ausweisung der jüdischen Gemeinde 1423/24“ von Prof. Carla Meyer-Schlenkrich. Die Ringvorlesung findet danach dienstags von 18 bis 19.30 Uhr abwechselnd in Köln und Münster statt.