Helmut Schmidt und Bill Clinton verehrten ihn: 2025 will die Römerstadt Trier Marc Aurel, den „Philosophen auf dem Kaiserthron“ porträtieren.
Was ist ein guter Herrscher?Es ist höchste Zeit, den römischen Kaiser Marc Aurel zu feiern
Auf hohem Ross kommt er daher, nicht triumphierend in Rüstung und mit erhobenem Schwert, sondern in staatsmännisch-ziviler Tunika. So grüßt der römische Imperator Marc Aurel (121 bis 180 n. Chr.) vom Kapitol in Rom – und jahrelang als Miniatur auf dem privaten Schreibtisch des Politikers Helmut Schmidt.
Seit der Antike gilt der „Philosoph auf dem Kaiserthron“ als Idealbild des guten Herrschers, dessen „Selbstbetrachtungen“ eine Art Idealkatalog für gerechtes und kluges Regieren darstellen. Pflichtbewusstsein, Gewissenhaftigkeit, Menschenfreundlichkeit und innere Gelassenheit sind seine Maximen. Schmidt las den Klassiker der stoischen Lebensführung bereits als Jugendlicher, fand als Wehrmachtssoldat darin eine Stütze: „Meine unmittelbare Empfindung war: So will ich auch werden.“ Auch Bill Clinton oder der Preußenkönig Friedrich II. schätzten die Lektüre.
Wer und wie war Marc Aurel? Nach den Publikumserfolgen mit Sonderausstellungen über Konstantin den Großen (2007), Nero (2016) und den Untergang des römischen Reiches (2022) will die Römerstadt Trier ab Juni 2025 Marc Aurel unter dem Titel „Kaiser, Feldherr, Philosoph“ beleuchten und verspricht „großes Kino“.
Ridley Scotts Hollywood-Film „Gladiator“ zeigt den altersmüden Herrscher im Feldlager
Ridley Scotts Hollywood-Film „Gladiator“ zeigt den altersmüden Herrscher im Feldlager, abends bei Öllampenlicht arbeitend. Länger als irgendein römischer Imperator muss er Kriege führen, an allen Fronten des Reichs, gegen Parther, Chatten, Markomannen. Länger als irgendein „Kronprinz“ wurde er auf die Aufgabe vorbereitet. Nach 23 Jahren im Wartestand tritt der Adoptivsohn Kaiser Hadrians das Amt erst mit 39 Jahren an – bis dahin ohne militärische Ausbildung oder Ambition. Doch dann als Feldherr wider Willen führt er die Legionen erfolgreich und regiert das riesige Imperium als Gesetzgeber, Richter und Verwaltungschef zur Zeit seiner größten Ausdehnung und Prosperität. Angefochten von Germanenüberfällen und der Pest, die Millionen Opfer dahinrafft, bohrt er sich durch Aktenberge, wägt Urteile ab, sucht nach der klügsten diplomatischen Lösung, ist bereit, auch denen entgegenzukommen, die sein Imperium hartnäckig berennen.
Um Marc Aurel und seine Epoche als „großes Kino“ inszenieren zu können, ordern Direktor Marcus Reuter und das Team des Rheinischen Landesmuseums Trier derzeit Spitzenexponate aus Europas führenden Museen. Um die Umstände zu zeigen, unter denen Marc Aurel regierte, verweist Reuter auf das Trierer Wahrzeichen und Unesco-Welterbe Porta Nigra. Ein vor Jahren ausgegrabenes antikes Baugrubenholz belegt, dass das Stadttor und die sechs Kilometer lange Römermauer um 170 errichtet wurden. „Solch kostspielige Maßnahmen konnten nur mit Zustimmung Roms angegangen werden“, erklärt Reuter. Marc Aurel, der damals an der Donau-Front kämpft, „reagiert damit auf die wachsende Unsicherheit der Grenzen. Nach einer langen Phase des Friedens und der Stabilität gerät Rom zusehends in die Defensive.“
Auch heute erfreuen sich etwa Ryan Holidays Selbstoptimierungs-Bücher hoher Auflagen
War Marc Aurel ein „guter“ Herrscher? „Darüber wollen wir nicht urteilen“, sagt Reuter, „Aber wir wollen verständlich machen, warum so viele Staatsmänner bei ihm Rat suchten.“ Der junge Marc Aurel ist bildungshungrig, diszipliniert und anspruchslos. Sein Lehrer Fronto schreibt: „Wenn du schon dem Spiel, der Muße, dem Essen und dem Vergnügen den Kampf angesagt hast, dann schlafe doch wenigstens.“
Seine Lehrer machen Marc Aurel mit der stoischen Philosophie des Griechen Epiktet vertraut: eine praktische Lebenslehre, die in Rom durch Seneca hohes Ansehen genoss. Im Kern geht es darum, ständig an sich selbst zu arbeiten und so zu werden, wie man sein sollte: ein humaner Mensch – gegen Machtmissbrauch, am Gemeinwohl orientiert, dem Gewissen folgend. „Blick in dein Inneres! Da ist die Quelle des Guten. Sie wird immer sprudeln, wenn du nur immer nachgräbst“, schreibt Marc Aurel. Aus diesem inneren Kompass spricht für die Stoiker das Göttliche in uns. Gott habe aber auch unser Schicksal unabänderlich vorbestimmt. Es sei unsere Pflicht, Tod und Leid zu akzeptieren, uns dagegen zu bewähren, indem wir unsere Gefühle beherrschen und eine tapfere Gelassenheit einzuüben. Das hört sich schon sehr nach Helmut Schmidt an. Aber auch heute erfreuen sich etwa in den USA Ryan Holidays stoische Selbstoptimierungs-Bücher hoher Auflagen.
Platon forderte, ein Staat sei nur dann gut regiert, wenn er von Philosophen regiert werde. Agierte der Stoiker Marc Aurel so weise, wie er es in seinen späten „Selbstbetrachtungen“ forderte? Marcus Reuter erklärt, dass Aurel brutale Kriege führte, Sklavenfolter und Christenverfolgung billigte. Wie kann das sein? Sein Biograf Alexander Demandt schreibt, die „Selbstbekenntnisse“ seien nie zur Veröffentlichung bestimmt gewesen. Marc Aurel beschreibe auch nicht perfekten Machthaber, sondern es gehe ihm um den besseren Menschen.
Regisseur Ridley Scott lässt den alten Imperator durch seinen Sohn Commodus ermorden. Historisch belegt ist das nicht. Tatsächlich aber steht das Lust- und Lasterleben des Sohnes für Roms geistig-moralischen Niedergang. Der Vater verabscheut blutige Zirkusspiele, Commodus tritt dort großmäulig auf. „Bleib anständig!“, rät ihm der Vater. „Gelingt dir das nicht, wäre es besser, du nimmst dir das Leben.“ Ob der 58-jährige Marc Aurel nicht tatsächlich der Pest erlegen ist, bleibt ungeklärt. Tatsächlich war er seit seiner Jugend kränklich.
Viola Skiba, Direktorin des Trierer Stadtmuseums Simeonsstift, sichtet derzeit für die gleichzeitig stattfindende Trierer Ausstellung „Marc Aurel – Was ist gute Herrschaft“ die Kunsthistorie: „Seit Jahrhunderten greift die Selbstinszenierung der Herrschenden auf die gleichen Muster zurück“, sagt sie und weist auch auf den berittenen Wladimir Putin hin: mit nacktem Oberkörper vom Pferde in die Kameras grüßend. Gemälde, Skulpturen, Karikaturen und Medien aus acht Jahrhunderten sollen im Stadtmuseum neben der Porta Nigra die Ikonografie der Macht rekapitulieren – „eine faszinierende Konstante der Menschheitsgeschichte mit großer Aktualität“, so Skiba.
Ob Lorenzettis Darstellung der guten und der schlechten Herrschaft im Rathaus von Siena oder die barocken weiblichen Abbildungen der vier Kardinaltugenden – ob Staat oder Kirche, Fürsten oder Kardinäle, Präsidenten oder Wahlkämpfer, sie bemühen gerne Tugenden und Charaktereigenschaften, die schon Marc Aurel listete. Gemälde, Skulpturen, Karikaturen, Fotografien und Filmausschnitte sollen dies belegen – in einer Zeit, in der „Tugenden“ eine eher museale Anmutung haben. Putin oder Trump haben diese Kardinaltugenden hinter sich gelassen: Ist der Ruf erst ruiniert, lügt sich’s doppelt ungeniert.
Weitere Informationen unter https://marc-aurel-trier.de