Die Künstlerin Ursula gehört zu den vergessenen Legenden der Kunststadt Köln. Jetzt wird sie in einer großen Ausstellung wiederentdeckt.
Ursula-Ausstellung in KölnDas Museum Ludwig feiert die gute Hexe des Westens
Sie hat Pelzobjekte mit Rasierklingen gespickt und ihre Albträume in glühende Farben getaucht. Sie gab rauschende Feste, wurde bewundert und geliebt. Selbst in der Kunststadt Köln war Ursula, die mit vollem Namen Ursula Schultze-Bluhm hieß, eine Ausnahmeerscheinung, und doch geriet sie nach ihrem Tod im Jahr 1999 zusehends in Vergessenheit. Das allerdings soll sich jetzt mit einer großen Ursula-Werkschau im Museum Ludwig ändern. Sie wird am Samstag, 18. März, eröffnet und verspricht das Kunstereignis der Kölner Ausstellungssaison zu werden.
Ursula spickte flauschige Pelzobjekte mit Rasierklingen
Wolfgang Becker lernte Ursula kennen, als sie gerade die Gipfel ihres Ruhms erklomm. 1977 nahm sie, als 55-Jährige, an der Documenta teil, sieben Jahre zuvor hatte Becker, Gründungsdirektor des Ludwig-Forums für Internationale Kunst, in Aachen eine der ersten Ursula-Ausstellungen in einem städtischen Museum kuratiert. Im Ludwig-Forum, das damals noch Neue Galerie hieß und in einem alten Kurhaus residierte, hatte Ursula unter einem prunkvollen Kronleuchter ein Pelzhaus aufgestellt. Es war umgeben von anderen Pelzobjekten, die verlockend wirkten, die man aber besser nicht streichelte.
„Ursula machte sich einen Spaß daraus, einen gewissen Sadismus in ihre Werke zu legen“, erinnert sich Becker im Gespräch mit dieser Zeitung. Aber das war offenbar keine Bosheit, sondern entsprang einer „überbordenden Fantasie“, so Becker, „die Literatur und Mythologie verband“ und vermutlich dazu diente, die eigenen Ängste und Albträume zu bannen. „Ursula wurde beherrscht von der Pandora-Figur“, sagt Becker, „und ihrer Büchse, aus der alle Laster dieser Welt entstammen.“
In der antiken Sagenwelt nehmen die griechischen Götter mit Pandora süße Rache dafür, dass Prometheus den Menschen das Feuer und damit die Freiheit von den himmlischen Launen brachte. Sie schmücken Pandora mit Schönheit, Liebreiz und musischen Talenten und schicken sie zu den Menschen. Diesen macht Pandora dann das vergiftete Geschenk, nicht ohne den Beschenkten einzuschärfen: Öffnet ja diese geheimnisvolle Büchse nicht.
Es ist schwer zu beurteilen, wie weit sich Ursula in Pandora wiederfand. Becker beschreibt sie als „sehr umgänglich und gesprächig“, sie habe gerne von ihren unheimlichen Visionen, die sie in ihren Werken festzuhalten versuchte, erzählt. Aber liebreizend war sie wohl nicht, jedenfalls nicht in der Manier antiker Sagen. „Ursula hatte eine merkwürdige Stimme“, erinnert sich Becker, „und wurde von allen wie eine Art Hexe betrachtet.“ Aber sie war offenbar die gute Hexe des Westens: „Sie wurde sehr verehrt und alle mochten sie.“
1968 zog Ursula gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Maler Bernard Schultze, nach Köln. Sie lebten in der Riehler Straße, so Becker, und waren ein liebevolles und fröhliches Ehepaar. „Ursula kochte sehr gut und lud gerne Gäste ein“, ihre Ateliers lagen Tür an Tür. „Sie mussten nur etwas lauter sprechen, um sich zu verständigen.“ Auch künstlerisch seien sie sich nahe gewesen, insbesondere die zwischen Tier, Pflanze und Mensch changierenden Migofs-Figuren Bernard Schultzes erinnern an die Visionen Ursulas. Für Becker waren beide unverwechselbare Ausnahmeerscheinungen innerhalb des Informel, einer Kunstrichtung, in der sich nach dem Zweiten Weltkrieg die letzten verbliebenen Formen der Moderne aufzulösen begannen.
„Ihre Kunst ließ sich nicht auf einen Begriff bringen“, sagt Becker heute. Es sei ein Werk, „das Bereiche berührte, die aus der klassischen Kunst herausführten, das exzentrisch erschien, das wir alle zugleich fürchteten und liebten“. Und es ist eine Kunst, die heute, nach Ausstellungen wie „The Milk of Dreams“ auf der Biennale von Venedig, wieder absolut modern erscheint. Die Themen und Motive, denen man dort begegnete, sind auch in Ursulas Arbeiten präsent: jenseitige Wesen und Verwandlungsfiguren, sich auflösende Körper und Gewissheiten. Was den Menschen von heute ausmacht, nahm Ursula damals offenbar ebenso vorweg wie die Wiedergeburt des Surrealismus.
Wolfgang Becker sieht Ursulas Zeit auch aus einem anderen Grund gekommen. „Wir sind in unsicheres Fahrwasser geraten“, sagt er, „unsere Vorstellungen werden davon bestimmt, dass die Welt, in der wir leben, untergehen wird, und die Menschheit in ihrer Existenz bedroht ist.“ Es gebe eine große Unruhe, die wiederum viele düstere Fantasien erzeuge. Beinahe scheint es so, als lebten wir alle in Ursulas privater Mythologie.
„Ursula – Das bin ich. Na und?“, Museum Ludwig, Köln, 18. März bis 23. Juli 2023
Wolfgang Becker, geboren 1936 in Hannover, war Gründungsdirektor des Ludwig-Forums für Internationale Kunst in Aachen und leitete das Haus bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2001.