Zum Ende von „Wetten, dass ..?“ gibt sich Thomas Gottschalk beleidigt. Aber dazu hat er kein Recht. Ein Kommentar.
„Wetten, dass ..?“Wie aus Gottschalks bübischem Charme Empathielosigkeit wurde
Schaut man auf die Quote, lässt sich nur ein Schluss ziehen: „Wetten, dass ..?“ muss weitergehen. 12,13 Millionen Zuschauer, ein Marktanteil von 45,3 Prozent, das kann höchstens noch die deutsche Nationalmannschaft im WM-Spiel toppen.
Aber was hatte man am Samstagabend gesehen? Eine quälende Fremdscham-Parade, ein drei Stunden langes Pleiten, Pech und Pannen-Video. Unscharfe Bilder, verhallter Ton und ein Moderator, der voller Stolz auf die eigene Wurstigkeit am Ende der Show beleidigt klagt, dass er im Fernsehen nicht mehr so reden dürfe, wie er zu Hause redet.
Thomas Gottschalk: Die nassforsche Stimme aus dem Radio
Wie hat man diese Sendung jemals gut finden können? Wieso hat man Gottschalk einst bübischen Charme und Chuzpe unterstellt, wo man heute nur Empathielosigkeit und Überforderung sieht?
Ich bin in den 70er und 80er Jahren in Bayern aufgewachsen. Damals war Gottschalk die junge, nassforsche Stimme aus dem Radio. Der Klassenkasper, der in TV-Sendungen wie „Szene“ und „Pop Stop“ vielleicht nicht die beste, aber immerhin überhaupt mal zeitgenössische Popmusik präsentierte. Jahrelang blieben nachmittags die Hausaufgaben liegen, weil ich lieber Gottschalk und Günther Jauch in der BR-Radioshow lauschte.
Abschied von „Wetten, dass ..?“: Was einst galant erschien, wirkt längst übergriffig
In der Betulichkeitswüste des deutschen Funk- und Fernsehschaffens tauchte Thomas Gottschalk wie eine blondgelockte Oase am Horizont auf. Locker, flockig, dringend nötig.
Doch seitdem sind viele Jahrzehnte vergangen. Der Tonfall, den Gottschalk eingeführt hatte, war längst Usus geworden. Und die Welt drehte sich weiter. Die einst monolithische Medienwelt zersplitterte in abertausenden Plattformen. Jeder Prominente war sein eigener Sender geworden, ein Fernsehauftritt war nun nichts Besonderes mehr. Und in jedem Handy loderte ein Privatlagerfeuer.
Die Sitten änderten sich – Gottschalk blieb Gottschalk
Auch die Sitten änderten sich. Was einst galant erschien, wirkte längst übergriffig. Der flapsige Witz entpuppte sich als Herrenzote. Nur „Wetten, dass ..?“ blieb „Wetten, dass ..?“, Gottschalk blieb Gottschalk und die gesellschaftlichen Hausaufgaben blieben liegen. Man fand sich gut so wie man war, ein Fels in der Brandung der Wokeness. Dabei geht es nur um Gleichberechtigung und Höflichkeit.
Das haben Moderator und Show mit vielen Deutschen gemeinsam, dieses sture Verharren in den imaginären 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Insofern erfüllt die Sendung noch immer ihre ursprüngliche Aufgabe: Menschen ein Forum zu geben, die sonst eher nicht in den Medien vorkommen.
Aber das kann keine Entschuldigung dafür sein, nicht mit der Zeit zu gehen, nicht aus alten Fehlern zu lernen, und bloß nichts Neues zuzulassen. Ohne äußere Krafteinwirkung verharren Körper in ihrem ursprünglichen Zustand. Versteinern. Läuft doch, sagte sich Gottschalk, sagte sich das ZDF. Jahrzehntelang. Bis es einfach nicht mehr ging.