Thomas Gottschalk verabschiedet sich nach 36 Jahren von seiner ZDF-Show „Wetten, dass.. ?“. Es war allerhöchste Zeit.
Letzte „Wetten, dass.. ?“-ShowShirin David klärt Thomas Gottschalk über Feminismus auf
Falls Sie die letzte „Wetten, dass.. ?“-Show von Thomas Gottschalk am Samstag (26. November) verpasst haben, oder verpassen wollten: Der beste Moment kam erst fast zum Schluss. Die Kandidatin Julia Reichert aus München hatte gewettet, 216 „Wetten, dass.. ?“-Wetten anhand ihres Strichcodes zu erkennen. Der ergab sich aus den durchschnittlichen Farbwerten der Ausstrahlung. Reichert hatte schon vor 18 Jahren an der Sendung teilgenommen und auch in ihrer damaligen Kinderwette ging es um Mustererkennung.
Jetzt also die Metaebene. Das passte. Denn so guckt man ja auch „Wetten, Dass.. ?“, als Barcode-Muster der Kindheit. Könnte man ihn über die innere Supermarktkasse ziehen, würde vielleicht wieder aufblinken, was Deutschland – angeblich – verloren hat: den Zusammenhalt. In der Familie, in der Gesellschaft. Von unserem Sofa hatte die jüngere Tochter bereits nach 20 Minuten den Flieger ins Kinderzimmer genommen, mit den Worten: „Ich halte das nicht aus.“
Als Thomas Gottschalk über ein glibberiges Zäpfchen erzählt
So entging ihr der kuriose Moment, in dem Gottschalk mit seiner Kandidatin in Ledersesseln vor einem stilisierten Röhrenfernseher saß und frei heraus erzählte, dass er sich an keine der vom Strichcode abgelesenen Wetten erinnern könne, dafür aber – es ging um eine Mallorca-Ausgabe aus dem Jahr 2010 – an die Schmerzen, unter denen er damals, nach einem Bandscheibenvorfall am Tag der Sendung, moderiert habe.
Und jetzt wurde es kurios. Nachdem er die Show zuvor im kardinalsroten Anzug wie einen lästigen Gottesdienst abgefeiert hatte, schien sich Gottschalk nun zum ersten Mal an diesem Abend wohl in seiner Haut zu fühlen. Kam ins Plaudern. Erzählte (im Englischen nennt man das „oversharing“), wie sich das Zäpfchen, das ihm der Arzt verschrieben hatte, im ungekühlten Wohnwagen, den ihm das „knauserige ZDF“ zur Verfügung gestellt hatte, zur glibberigen Masse aufgelöst hatte, wie er daraus eine „Rakete“ geformt und es ins Eisfach gelegt hatte und … da hatte man wirklich genug gehört.
Es war trotzdem schön. Fast wie in alten Zeiten. Endlich war nicht nur das Zäpfchen, sondern auch das Eis geschmolzen. Julia Reichert wurde dann prompt Wettkönigin, verdient.
Die knapp drei Stunden davor – es wird noch nicht einmal überzogen – kann man nur als Studie in Entfremdung bezeichnen. Vom Lagerfeuer, als das die Show zuvor in hunderten von Artikeln gelobt worden war, blieb nur kalte Asche. Das berühmte Sofa wirkte wie die Kulisse eines Samuel-Beckett-Stückes. Lauter vereinzelte Menschen, deren Werbesprüche ungehört verhallten. „Gestalten, die auf der ewig enttäuschten Illusion des Wartens beharren oder in tragikomischer Hilflosigkeit die Gewissheit ihres Verfalls überspielen“, um Kindlers Neues Literaturlexikon zu zitieren.
Allesamt waren sie energisch und frohen Mutes aus dem sanft erleuchteten Gang ins grelle Scheinwerferlicht der Offenburger Mehrzweckhalle getreten, waren von Gottschalk herzlich umarmt und aufs bewusste Sofa gesetzt worden, wo sie unter seinem forcierten Desinteresse dann langsam verkümmerten. Nur auf Take That wartete nach einer schrägen Gesangseinlage – manchmal wünscht man sich das gute, alte Playback zurück – und launiger Zuckerwatten-Verteilung ans Publikum der rettende Flieger.
Thomas Gottschalk stellt Cher Bastian Schweinsteiger als „so ein Fußball-Typ“ vor
Die Übriggebliebenen mussten sich der Gottschalk’schen Gesprächsfolter unterziehen. Bastian Schweinsteiger wurde als „Bastian Schweigsteiger“ angekündigt, später noch gegenüber Cher als „a soccer guy“ abgefertigt, aber immerhin zu seinem Beruf befragt. Bei der Frau des Ex-Fußballers, der ehemaligen Tennis-Weltranglistenersten Ana Ivanović, erkundigte sich Gottschalk nur kurz, ob ihr Mann auch im Haushalt helfe. Da hatte sie noch Glück. Gegenüber der Schauspielerin Stefanie Stappenbeck, seit den 1990ern gut im Geschäft, kokettierte der Moderator wiederholt damit, dass er sich für heute Abend ihren Namen gemerkt habe. Und fragte sie dann nach einer Nacktszene.
Cher führte er an der Hand zum Sofa – selbstredend mit der onkeligen Bemerkung, man müsse heutzutage ja Angst haben, eine Frau anzufassen – und ließ sie dort, trotz der lustlosen Ansage, man solle jetzt noch ein wenig plaudern, einsilbig zurück. Helene Fischer, die er zwei Sendungen zuvor mit ungewollten Fragen nach ihrer Schwangerschaft gequält hatte, ermunterte Gottschalk: „Du kannst auch gleich wieder erzählen, dass du schwanger bist!“ Nein, das wird nichts mehr, mit Thommy und den Frauen.
Nur die Hamburger Rapperin Shirin David ließ den alten Herrn nicht so einfach davonkommen, belehrte ihn über Opernkomponisten und Nahbarkeit und rang ihm ein Bekenntnis zum Feminismus ab. Herrschaften! Gäbe es eine Couchkönigin, die Krone gebührte David.
Selbst die Wetten wirkten an diesem Abend müde. Krähende Hähne, Schweizer Drahtseilbahnen, vergebliches Gefummel an Handy-Akkus mit zwei Gabelstaplern. Letztere wurden von zwei jungen Frauen bedient, denen Gottschalk mit Null-Empathie begegnete. Als die Wette misslang, sprang er vor Freude beinahe in die Luft, weil Helene Fischer nun als Wetteinsatz drei kindische Sätze in ihrer Weihnachtsshow unterbringen musste. Fragte dann die enttäuschten Gabelstapelfahrerinnen „Wer hatte Schuld?“ und gab ihnen noch mit: „Ihr habt natürlich lange geprobt, das könnt ihr in Zukunft lassen.“ Das stöhnte sogar das Offenburger Publikum vernehmlich auf. 154 „Wetten, dass.. ?“-Sendungen mit Thomas Gottschalk. Es war genug.
Das konnte man auch an dessen kurzer Abschiedsrede festmachen. Zwei Gründe, sagte Gottschalk, hätten ihn zum Aufhören bewogen: Zum einen sei es problematisch, wenn man ihm irgendwann die Gäste erklären müsse. Dass man auch mit 73 Jahren noch neue Menschen, neue Musik, neue Filme kennenlernen darf, kommt ihm offenbar nicht in den Sinn. Seine Welt ist abgeschlossen. Und zum anderen? Habe er im Fernsehen immer geredet, wie er auch zu Hause rede. Das könne er nun schon länger nicht mehr. Was die ältere Tochter, sie hatte tapfer durchgehalten, zu der Frage bewegte: „Oh Gott, wie redet der denn zu Hause?“
Die angemessenen Abschiedsworte übernahm dann „Wetten, dass..?“-Erfinder Frank Elstner, der das viel besser kann. Gottschalk wurde in der Schaufel eines Riesenbaggers, auf dem ihm auch sein „Supernasen“-Kollege Mike Krüger grüßte, aus der Halle abtransportiert. Ein gelungenes Bild. Die Halde des Ruhms wartet schon.