Anna Boghiguian erhält den Wolfgang-Hahn-Preis und inszeniert im Kölner Museum Ludwig das zeitlose Grauen des Kriegs.
Wolfgang-Hahn-Preis für Anna BoghiguianWas sich an Gräuel alles ausmalen lässt
Blickt man in die ferne Vergangenheit der Antike, scheint das menschliche Leben vor allem eine lange Abfolge von Kriegen gewesen zu sein. Die Heldentaten, die damals besungen wurden, waren die von Kriegern, nicht die von Bauern, Müttern oder Ehemännern, die freiwillig den Müll rausbringen. Dass die Geschichte von Siegern geschrieben wird, heißt offenbar auch, dass der Friede nichts ist, wovon es sich für Könige und Herrscher zu erzählen lohnt.
Auf den Bildern Anna Boghiguians ist der Krieg ein Archetypus
Wer weiß, wie man in 2000 Jahren auf unsere Gegenwart schauen wird? Wird man sich an das Glück des Friedens erinnern oder an eine lange, nur durch Wechsel der Landstriche unterbrochene Herrschaft des Kriegs? Auf den Bildern und Bühnenbildern Anna Boghiguians, die an diesem Freitag in Köln den Wolfgang-Hahn-Preis erhielt, ist der Krieg ein Archetypus der menschlichen Geschichte. Wenn sie, wie jetzt im Museum Ludwig, vom römisch-syrischen Krieg der Jahre 192 bis 188 v. Chr. erzählt, meint man darin den Widerschein unserer Gegenwart zu sehen.
Dabei vermeidet die 1946 in Kairo geborene Künstlerin jede „Engführung“ zwischen damals und heute, wie Ludwig-Direktor Yilmaz Dziewior betont. Boghiguians Arbeiten seien „sehr politische Positionen“, aber sie zielten weniger auf konkrete Konflikte als auf das Allgemein-Menschliche, den „Trieb zu erobern“ etwa. Ihr Stil erscheint ebenfalls zeitlos, jedenfalls nach den Maßstäben der modernen Kunst: Der wilde Strich des Expressionismus, an den ihre skizzenhaften Bilder erinnern, ist das Esperanto der von der klassischen Schönheit befreiten Malerei.
Der Wolfgang-Hahn-Preis wird jährlich von der Gesellschaft für moderne Kunst gestiftet
Der Wolfgang-Hahn-Preis wird jährlich von der Gesellschaft für moderne Kunst gestiftet, um eine Lücke in der Sammlung des Kölner Museums Ludwig zu schließen. Das Preisgeld von 100.000 Euro wird in einen Ankauf und eine Ausstellung investiert, und wenn das Museum Glück hat, bringt der oder die Geehrte, wie Boghiguian, noch einige Geschenke mit. So darf sich Dziewior nicht nur über eine bühnenhafte Installation aus Skulpturen, Papierfiguren und Bildern freuen, sondern auch über eine Reihe Zeichnungen. Lediglich die spontan vor Ort entstandene Wandmalerei bleibt nicht dauerhaft in Köln; nach Ende der Ausstellung wird sie weiß getüncht.
Anna Boghiguian war zehn Tage in Köln, um ihre Version der antiken Schlacht bei Magnesia einzurichten. Ihre Quelle ist ein Gedicht des griechischen Schriftstellers Konstantin Kavafis (1863-1933), in dem der mazedonische König Philipp V. den Sieg über einen Feind mit einem Bankett feiert und sich gleichzeitig an eine eigene Niederlage auf dem Schlachtfeld erinnert. „Stellt viele Rosen auf den Tisch! Was bedeutet schon/ Die Niederlage Antiochos bei Magnesia. Man sagt,/ Seine prächtige Armee sei völlig zerstört./ Eine Übertreibung vielleicht. Nicht alles kann wahr sein./ Hoffentlich.“
So feierlich der Ton von Kavafis‘ Gedicht auch ist, er besingt doch, wie die Gastjurorin Carolyn Christov-Bakargiev betonte, eine dekadente Gesellschaft, die sich selbst durch eine Folge von Kriegen zu Fall bringt. Bei Boghiguians bühnenbildhafter Version ist einem ohnehin nicht feierlich zumute. Man sieht zwar keine Kriegsgräuel wie bei Goya, aber genug berittene Pferde, sterbende Soldaten und Kriegselefanten, um sich diese auszumalen. Während in Hintergrund die Schlacht tobt, feiert Philipp V. bereits den Sieg, der eigentlich der Triumph seiner römischen Verbündeten ist.
Als dürre goldene Figur sitzt er an einem schlichten Tisch. Sein Arm scheint sich selbstständig gemacht zu haben und hält genießerisch ein Weinglas in die Höhe. Als weitere Hauptfiguren treten auf: Konstantin Kavafis mit zwei Soldaten, die ihn wie Comic-Gedankenblasen in die Mitte nehmen, und der unterlegene Antiochus III., der sich mit einem Würfelspiel über die Niederlage hinwegzutrösten versucht. Auf dem Boden liegen rote Rosen verstreut.
Verglichen mit ihrem zeichnerischen Werk hat diese Szenerie etwas kindertheaterhaftes. Die Aufstellerfiguren wirken ein wenig naiv und beinahe realistisch – die Botschaft dahinter versüßt einem das trotzdem nicht. Vor dem Rundgang hatte Boghiguian, die 2015 den Goldenen Löwen der Biennale von Venedig erhielt, verraten, dass sie für Köln eigentlich ein anderes Gedicht von Kavafis bebildern wollte. Es handele von einem bankrotten Königspaar, das sich mit falschem Glanz schmückt und mit einer Gesellschaft feiert, die unbedingt an den falschen Schein glauben möchte. Aber sie habe es einfach nicht wiederfinden können, so Boghiguian.
Auch bei diesem verlorenen Gedicht hätte man an die politische Gegenwart denken können. Aber der Krieg erzählt wohl mehr über unsere Zeit, als jedes andere Thema, das sich ausmalen lässt.
„Wolfgang-Hahn-Preis 2024: Anna Boghiguian“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, 9. November 2024-30. März 2025