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Zehnte Poetica in KölnAuf einen Joint mit Jesus

Lesezeit 4 Minuten
Lebogang Mashile bei der Poetica 10

Lebogang Mashile bei ihrem Auftritt am zweiten Abend der Poetica in der Kulturkirche Nippes

Am zweiten Abend der Poetica zeigten Lebogang Mashile, Yoko Tawada und Michael Krüger, was alles Platz hat in einem Gedicht.

„I smoked a spliff with Jesus Christ last night“ – so beginnt die südafrikanische Autorin Lebogang Mashile das erste von drei Gedichten, das sie an diesem Abend aufführen wird. Der Ort könnte kaum passender sein: Sie steht mitten im neogotischen Chor der Kulturkirche in Nippes. Mit ihr sind die japanisch-deutsche Lyrikerin Yoko Tawada und der Schriftsteller Michael Krüger auf der Bühne, die ebenfalls zu diesem zweiten Abend der Kölner Poetica-Festivalwoche und zur Frage „Was alles hat Platz in einem Gedicht?“ eingeladen waren. Was alle drei Gäste verbinde, sei ihre Offenheit für verschiedene Formate, so Moderator Jan Wagner zu Beginn der Veranstaltung.

Yoko Tawada eröffnete den Abend mit ihrer zauberhaft-grotesken Welt

Das zeigte Yoko Tawada gleich zu Beginn bei ihrem gemeinsamen Auftritt mit ihrer musikalischen Partnerin, der japanischen Pianistin Aki Takase. Im Zusammen- und Gegenspiel mit der Musik entsteht ihre zauberhaft-groteske, lyrische Welt. Während Tawada ihre Version eines der ältesten japanischen Gedichte – über einen in den Teich springenden Frosch –vortrug, warf sie Ping-Pong-Bälle auf die Saiten des Flügels. Ihre Gedichte schreibt Tawada gleichermaßen auf Japanisch und Deutsch, seziert dabei humorvoll die Eigenheiten der deutschen Sprache und spinnt aus diesen sprachlichen Beobachtungen Geschichten. So denkt die „faule Dichterin“ etwa im Passiv über ihren Pass nach, bevor sie sich über die Einreisebedingungen nach Deutschland auslässt. Grammatik sei für sie ein sehr emotionales Thema, sagt sie im Gespräch mit Jan Wagner.

Michael Krüger verbindet Pilze mit dem Krieg

Michael Krüger wiederum nimmt das Publikum in seinen an diesem Abend vorgetragenen Gedichten mit auf Spaziergänge durch den Wald oder in seinen Garten. In die Idylle mischt sich aber schon bald die Bedrohung des Krieges und des Schreckens der aktuellen Weltpolitik: „Kaum Pilze im zweiten Jahr des Krieges“, beginnt er etwa sein achtes von zwölf Gedichten, die er im vergangenen Jahr im Rahmen einer Poeta Laureatus des Literaricum Lech monatlich verfasste. Zum ersten Mal in seinem 80-jährigen Leben habe er erlebt, wie es ist, Deadlines einhalten zu müssen. Dass die Form und Zeit des Erscheinens vorgegeben war, habe im Rückblick auch zu anderen, neuen Inhalten der Gedichte geführt, sagte Krüger an diesem Abend, bevor als letzte Rednerin schließlich Lebogang Mashile in ihr imaginäres – und bekifftes – Gespräch mit Jesus trat.

Lebogang Mashile wehrt sich gegen unrealistische Schönheitsideale

Dabei geht es darin weniger ums Kiffen, als um philosophische Fragen über das Leben und die Liebe, die man mit Jesus offenbar auch hervorragend diskutieren kann. Aber auch feministische und postkoloniale Themen finden den Weg in ihre Gedichte. So emanzipiert sie sich etwa von den unrealistischen Schönheitsidealen und Erwartungen an Frauen und Mütter, feiert stattdessen in einer kritischen Hymne ihren Körper, der „zu viel ist für zu viele / Und nicht genug, um richtig zu sein / für diejenigen, die entscheiden, was Schönheit ist“. Nicht nur Mashile erntete dafür großen Applaus, sondern auch Katharina Schmalenberg, die die deutschen Übersetzungen las.

Lyrik als Heilung?

Obwohl sie sehr damit hadert und drei weitere Sprachen spricht, schreibt die Südafrikanerin, die in den USA aufgewachsen ist, ihre Texte auf Englisch. Denn das sei nun mal die Sprache der institutionellen Macht, und in Südafrika bekomme immer noch die Poetik mehr Aufmerksamkeit, die in eine westliche Form gepresst werde, so Mashile, die viel über die Spuren des Kolonialismus nachdenkt. Auf Wagners Frage, ob Lyrik in dieser Hinsicht auch eine Form der Heilung sein könne, antwortet Mashile, Heilung werde heute oft in Form von Blumen und Yogaleggins verkauft, in Wirklichkeit sei sie aber eben sehr hart. Und doch könne Lyrik vielleicht ihren Beitrag dazu leisten.

Bevor der Abend mit Ovationen im Stehen für alle Beteiligten endet, präsentieren Yoko Tawada und Aki Takase ein letztes Gedicht – es handelt vom Schienenersatzverkehr. Auch das hat also Platz in einem Gedicht.


Noch bis zum 25. Januar finden Veranstaltungen der 10. Poetica statt. Das gesamte Programm gibt es auf der Website.