In der Miniserie „Zero Day“ spielt der Hollywood-Veteran einen Ex-Präsidenten, der an Joe Biden erinnert. Unsere Kritik.
„Zero Day“Diesen Netflix-Thriller kann selbst Robert De Niro nicht retten
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Robert De Niro als Ex-Präsident George Mullen
Copyright: Jojo Whilden/Netflix/dpa
In den 1970er Jahren lag das Vertrauen der US-Bürger in ihre Regierung am Boden. Die sich abzeichnende Niederlage in Vietnam, der Watergate-Skandal, Rassenkonflikte und Ölkrise bildeten Bruchstellen, in denen manche Historiker die Konturen der heutigen Verwerfungen erkennen.
Zwischen 1971 und 1976 drehte der Kinoregisseur Alan J. Pakula seine berühmte Paranoia-Trilogie, den Neo-Noir-Krimi „Klute“, den Verschwörungsthriller „The Parallax View“ und das Politdrama „All the President's Men“. Den formal recht unterschiedlichen Filmen gemein war ihr Porträt einer instabilen Gesellschaft, in der staatliche Autorität verdächtig geworden war und das Gefühl, überwacht zu werden total.
Die neue, sechsteilige Netflix-Miniserie „Zero Day“ atmet den Geist dieser Paranoia-Trilogie – und klammert sich zugleich mit allen erzählerischen Mitteln an eine Zeit, in der das politische Leben in Amerika noch nicht wie die Fortsetzung des Bürgerkriegs mit anderen Mitteln wirkte. Robert De Niro spielt den ehemaligen US-Präsidenten George Mullen, den letzten – schwärmt eine Journalistin zu Beginn der Serie – der noch mit beiden Seiten arbeiten konnte. Eine integrative, von allen geachtete Figur.
Als Ermittler missachtet Robert De Niro sämtliche Grundrechte
Weshalb Mullen nach einem verheerenden Cyberangriff auf das Land aus dem Ruhestand heraus in eine Position absoluter Verfügungsgewalt versetzt wird: Er soll die Untersuchungskommission leiten, die den oder die Schuldigen ermitteln und einen bereits angekündigten nächsten Schlag verhindern soll – und zwar mit allen Mitteln, unter Missachtung sämtlicher Grundrechte.
Der Rücktritt nach nur einer Amtszeit, der Verlust eines Sohnes, eine Nachfolgerin (Angela Bassett), die ihm zwar höchsten Respekt entgegenbringt, aber Mühe hat, sich von ihm abzugrenzen, dazu noch Gedächtnislücken und öffentliche Aussetzer, die selbst seine engsten Mitarbeiter an ihm zweifeln lassen: De Niros Protagonist ist im Grunde Joe Biden als Actionfigur.
Der Ex-Präsident kehrt als Actionheld zurück
Wo der greise Präsident arglos ins Ungefähre lächelte, kneift De Niro seine Züge zur grimmig entschlossenen Magenverstimmungsmiene zusammen, mit der er schon seit einem Vierteljahrhundert von Film zu Film wandert – und nun eben zum ersten Mal ins Streaming-TV. Sein Action-Biden schreckt selbst vor Foltermethoden nicht zurück, wenn sie denn der Wahrheitsfindung und dem Wohl der Nation dienen. Und die untrüglichen Anzeichen fortschreitender Demenz? Könnten das Ergebnis einer der CIA entwendeten Geheimwaffe sein – was eher an John Frankenheimers noch einmal gut zehn Jahre älteren Paranoia-Klassiker „The Manchurian Candidate“ („Botschafter der Angst“) erinnert.
Der Verfolgungswahn der 70er Jahre richtete sich gegen „die da oben“, gegen unentwirrbare Strukturen einer korrupten Elite. Verschwörungsmythen waren damals noch eher links codiert. In „Zero Day“ fürchten in Umkehr Politiker den Zorn der uninformierten Massen: „Wenn der Mob die Burg stürmt und uns alle köpfen will, wird jeder in Schwierigkeiten geraten“, mahnt Matthew Modine als Sprecher des Hauses. Weshalb die Präsidentin eher dazu bereit ist, eilige Vergeltungsschläge gegen die üblichen Verdächtigen zu befehlen, als das Volk auf belastbare Ergebnisse warten zu lassen. Die klaustrophobischen Glasräume, die Regisseurin Lesli Linka Glatter („Mad Men“, „Homeland“) mit erdrückend niedrigen Decken filmt, evozieren die alten Thriller, doch sie sind Schutz- und Rückzugsorte der Regierungsangestellten.
Ein Tucker-Carlson- oder Joe-Rogan-ähnlicher Influencer, mit viel Gusto von Dan Stevens gespielt, richtet denn auch in seinem Kellerstudio kaum weniger Unheil an als die unbekannten Cyber-Angreifer. Und die „Mainstream-Medien“? Sie dienen in „Zero Day“ lediglich dazu, dem unaufmerksamen Zuschauer komplexe Handlungsverläufe in einfachen Schlagzeilen nachzureichen, getreu der Netflix-Gebrauchsanleitung für Drehbuchautoren, nach der Figuren laut ankündigen sollen, was sie zu tun gedenken oder gerade getan haben, damit man das Programm genauso gut mitverfolgen kann, wenn es nur beim Bügeln im Hintergrund läuft.
Ausgedacht haben sich die starbesetzte Miniserie zwei Veteranen ebendieser Medien: Noah Oppenheim, langjähriger Produzent der „Today Show“ des US-Senders NBC, und Michael S. Schmidt, Investigativreporter der „New York Times“. Statt auf ihr politisches Insiderwissen stützen sich die beiden Showrunner jedoch eher auf ein Seifenoper-ähnliches Geflecht handelnder Personen: Ausgerechnet George Mullens Tochter (Lizzy Caplan) leitet den Kongressausschuss, der ihrem Vater auf die Finger schauen soll. Und Mullens besorgte Frau (Joan Allen) engagiert dessen Ex-Geliebte (Connie Britton) als seine Stabschefin. Müssen wir da noch erwähnen, dass Mullens Mädchen für alles Roger Carlson (Jesse Plemons) der heimliche Geliebte seiner Tochter ist und zudem vom zwielichtigen Milliardär Robert Lyndon (Clark Gregg) erpresst wird?
Nie dagegen erfährt das Publikum, wer welcher Partei angehört oder wer welche Agenda verfolgt. Nicht die politische Ausrichtung ist in „Zero Day“ das Problem, sondern allein die Tatsache der Polarisierung. Über die Nivellierung von Bürgerrechten durch permanenten Ausnahmezustand regen sich einzig notorische Aufwiegler und Intriganten auf.
Für die aufrechten, landesliebenden Charaktere ist dagegen allein die Besetzung der Führungsposition das Problem: De Niros Ex-Präsident muss seinen Geisteszustand, seine Methoden und seine Ermittlungsergebnisse hinterfragen lassen, dem verfassungswidrigen Konstrukt der „Zero Day Commission“ an sich widerspricht niemand. So geben sich Oppenheim und Schmidt einer Art liberaler Allmachtsfantasie hin, einer wohlwollenden Konsens-Diktatur der Guten.