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Zum 75. Todestag des SchriftstellersWarum Heinrich Mann bis heute im Schatten seines Bruders steht

Lesezeit 5 Minuten
Heinrich Mann als Redner im Jahr 1930

Heinrich Mann als Redner im Jahr 1930

Heute vor 75 Jahren starb Heinrich Mann als verschroben-traurige Figur. Den Erfolg seines jüngeren Bruders Thomas konnte der Autor und Rebell nie erreichen.

Es gibt ein Bild von Heinrich Mann aus seinen letzten Lebensjahren, auf dem er, im formwahrenden weißen Anzug, an seinem Schreibtisch im kalifornischen Pacific Palisades sitzt. Der rechte Arm liegt unbeschäftigt auf irgendwelchen Blättern, der Blick aus dem nur halb zum Fotografen hin gewendeten Gesicht geht hinter der Brille ins Unbestimmte, der Kopf ist leicht geneigt, der Mund verkniffen. Es ist eine Impression depressiver Trostlosigkeit, die sich als solche dem Betrachter auch dann mitteilte, wenn er nicht um die dazugehörigen Lebensumstände wüsste.

Heinrich Mann starb wenige Jahre nach dem Foto, vor exakt 75 Jahren, am 11. März 1950 – vereinsamt, resigniert, von der deutschen Exilkolonie an der Westküste allenfalls respektvoll betrauert. Der Autor, der mit seinen Büchern einst hart am Wind der Zeit gesegelt war – als Gegner von Wilhelminismus und Krieg, als Vorkämpfer demokratischer Lebensformen und unerbittlicher Kämpfer gegen den heraufziehenden Nationalsozialismus –; er hatte im amerikanischen Exil im Gegensatz zu seinem Bruder Thomas nie Fuß fassen können und schien am Ende seines Lebens aus der Zeit gefallen.

Im amerikanischen Exil konnte Heinrich Mann nie Fuß fassen

Vielleicht hätte sich noch etwas gewendet, wenn er den Posten hätte antreten können, auf den er kurz vor seinem Tod gewählt worden war: den eines Präsidenten der Akademie der Künste in Ost-Berlin, in der soeben gegründeten DDR mithin. Irgendwie hätte sich dann ein Lebenskreis geschlossen: Heinrich Mann – wie sein Bruder mehr als „Repräsentant“ denn als „Märtyrer“ geeignet – hätte an seine Tätigkeit als Präsident der Sektion Dichtkunst in der Preußischen Akademie der Künste anknüpfen können, der er seit 1931 gewesen war – ehe er zwei Jahre später in letzter Stunde und bereits unter Lebensgefahr aus dem braun gewordenen Berlin fliehen musste. Andererseits – so kann man es auch sehen – bewahrte ihn sein Tod davor, zum Aushängeschild einer zweiten deutschen Diktatur zu werden. Dies ist ein Schicksal, dem Zunftkollegen wie Arnold Zweig und, vor allem, Anna Seghers nicht entgingen – wohl allerdings der Bruder, dessen Rückkehr nach Europa ebenfalls nicht in der Bundesrepublik, sondern in der zwar neutralen, aber „westlichen“ Schweiz ihren Zielpunkt fand.

Immer wieder er, der Bruder. Sie ist schon triftig, die Gewichtung, die Heinrich Breloer in seinem Doku-Drama „Die Manns“ von 2001 vornimmt, und das gilt zumal für die fortgeschrittene Phase des US-Exils: Thomas Mann, immerhin vier Jahre jünger, regiert als Patriarch der Familie, während Heinrich eine verschroben-traurige Figur abgibt: In seiner Schreibtischschublade finden sich Stapel von obszönen Zeichnungen dicker Damen, und erst recht führt die Alkoholsucht seiner Frau Nelly zu einigen gesellschaftlichen Irritationen. Produktiv ist Heinrich nach wie vor – wie Thomas, der mit dem letzten Teil der Joseph-Tetralogie und dem „Doktor Faustus“ sein hoch bedeutsames Spätwerk einläutet. Aber werden die Romane des Älteren noch beachtet? Die Frage kann man auch heutzutage stellen: Kennt jemand „Lidice“, „Der Atem“, „Empfang bei der Welt“?

Selten war eine Bruderkonstellation so explosiv-exemplarisch

Selten war eine Bruderkonstellation so explosiv-exemplarisch im Persönlichen wie im Politisch-Zeitgeschichtlichen. Die Wege der Lübecker Patrizier-Söhne trennen sich früh: Heinrich gibt dem Décadence-Ästhetizismus, dem Thomas noch über 1918 hinaus anhängt, schon früh den Laufpass, wendet sich mit aggressiver Satire gegen die Verhältnisse im deutschen Kaiserreich, wird zum Vertreter einer linken „littérature engagée“. Als die alte autoritäre Ordnung zusammenbricht, schlägt seine große Stunde. Zumal mit den schon früher entstandenen Romanen „Professor Unrat“ und „Der Untertan“ trifft er den Nerv der neuen Zeit, der sozial-demokratischen Republik. Erst 1922 zieht Thomas mit seiner Rede „Von deutscher Republik“ gleichsam nach.

Die Brüder söhnen sich also politisch-weltanschaulich aus – an der Oberfläche. Gegensätze und Konkurrenz bleiben. Heinrich ist in der Quantität produktiver, kann aber fortan keine dem „Untertan“ vergleichbaren Treffer mehr landen. Thomas hingegen schreibt den „Zauberberg“ und erhält 1929, für die „Buddenbrooks“, den Nobelpreis.

Ein bekennender Linker

In den 30er und 40er Jahren tendiert Heinrich Mann noch entschiedener als zuvor nach links. Bis in seine späten Erinnerungen („Ein Zeitalter wird besichtigt“) hinein verherrlicht er Stalin, verteidigt die Moskauer Schauprozesse. Der Hitler/Stalin-Pakt von 1939 verunsichert ihn kurz, aber als die Wehrmacht 1941 die Sowjetunion überfällt, ist der rote Zar wieder der Größte. Was man da vernimmt – viele Heinrich Mann-Fans übergehen es immer noch mit verlegenem Stillschweigen –, war und ist schlicht abstoßend, gleich, aus welcher Perspektive man es liest.

Auch im bedeutendsten Exilwerk Heinrichs, den beiden „Henri Quatre“-Romanen, an deren Lektüre man angesichts der unübersichtlichen Vielsträhnigkeit und Personalfülle leicht die Lust verliert, ist die Stalin-Verehrung indirekt spürbar: Der Autor preist den französischen König, den Freund der Armen und Unterdrückten, den gütig-strengen, volksverbundenen Versöhner des vom konfessionellen Bürgerkrieg zerstörten Landes in einer Weise, die stark an die Elogen auf den Kremlherrscher erinnert.

Mit „Professor Unrat“ gelingt ihm bemerkenswerte zeitdiagnostische Kraft

Vom literarischen Werk des Bruders hat Thomas Mann nicht viel gehalten. Verwunderlich ist das nicht. Gegenstände, Stil und Darstellungsmittel im jeweiligen Romanwerk sind grundverschieden: Wo Thomas eine zuweilen manieristische, zur Selbstfeier neigende, freilich kaum zu übertreffende Sprachgewalt an den Tag legt, neigt Heinrich zu einer harten, drastischen, spröden, abkürzenden, in der Bildwahl mitunter nachlässigen Prosa. Folgender Satz aus „Professor Unrat“ ist typisch: „Er war in beängstigender Aufregung, leidende Wut verzerrte ihn, und er sah feucht aus.“

Nicht immer gelingen Heinrich Figuren, die aus ihrer humanen Widersprüchlichkeit heraus leben und nicht nur satirisch überhöhte Verkörperungen politisch-sozialer Positionen sind. In seinen besten Texten gewinnt freilich auch das Klischee eine bemerkenswerte zeitdiagnostische Kraft: Das gilt etwa für besagten Professor Unrat, ein sadistisches Lehrerscheusal, das den erotischen Reizen einer örtlichen Halbweltschönheit erliegt. Erkennbar ist hier übrigens die Verteilung der autobiografischen Motive: Gegen die autoritär-bildungsfeindliche Schule des Kaiserreichs hatte Heinrich wie sein Bruder rebelliert, aber auch des Professors Neigung zu Bar und Spelunke war Heinrich Mann nicht fremd.

Diederich Heßling, der nach oben buckelnde und nach unten tretende „Held“ des „Untertan“, ist ebenfalls eine Karikatur, der man vorwerfen kann, sie repräsentiere allenfalls einen Teilaspekt der kaiserreichlichen Bürgerwelt. Trotzdem: Mit geradezu seherischer Kraft wurde hier der Phänotyp des Proto-Nazi entworfen. Wenn Heinrich Mann nur diesen einen Roman geschrieben hätte, würde die Literaturgeschichte heute wohlwollender auf ihn blicken.