Der Autor Cormac McCarthy ist tot. Er galt als Gigant der US-amerikanischen Literatur. Aber sein Werk bleibt eine Herausforderung, zumal für zartbesaitete Leser.
Zum Tod des US-AutorsWarum für Cormac McCarthy Frieden die gefährlichste Idee war
Schreiben, das war für Cormac McCarthy, Amerikas größten und pessimistischsten Autor, immer eine Frage von Leben und Tod – und von diesen beiden wohl hauptsächlich von Tod. „Es gibt kein Leben“, konstatierte McCarthy in einem seiner seltenen Interviews, „ohne Blutvergießen.“ Die Vorstellung, die Menschen könnten irgendwann in Frieden und Harmonie miteinander existieren, sei eine äußerst gefährliche Idee.
Für Kollegen, die sich mit in seinen Augen geringeren Dingen beschäftigten, hatte er keine Geduld. Marcel Proust oder Henry James verstehe er nicht. „Für mich ist das keine Literatur. Viele Schriftsteller, die als gut gelten, halte ich für seltsam.“ Er bevorzugte Faulkner und Hemingway und Herman Melvilles „Moby-Dick“.
Am Dienstag starb Cormac McCarthy in seinem Haus in Santa Fe, New Mexico. Er wurde 89 Jahre alt. Im vergangenen Herbst hatte er nach Jahren des Schweigens zwei zusammenhängende Bände veröffentlicht, „Der Passagier“ und „Stella Maris“. Letzterer ist sein erster Roman mit weiblicher Hauptfigur, sein Vermächtnis, bar jeder äußeren Handlung, besteht er nur aus den Gesprächsprotokollen mehrerer Therapiesitzungen, und die drehen sich um die letzten Fragen, um die Mathematiker und Physiker, die McCarthy so rückhaltlos bewunderte, wie er Marcel Proust verachtete, um das, was gewusst werden kann.
Der menschliche Verstand kann die Ordnung des Daseins nicht erfassen
Das mag nicht besonders viel sein, denn auch hier blieb McCarthy pessimistisch. Die Ordnung der Schöpfung, hatte er in seinem Meisterwerk „Die Abendröte im Westen“ (im amerikanischen Original „Blood Meridian“) geschrieben, sei nur eine Schnur in einem Labyrinth, die Menschen dorthin gelegt haben, um sich nicht in den Weiten der Schöpfung zu verirren. Der Verstand sei nur ein Fakt unter vielen anderen – und kaum dazu geeignet, die Ordnung des Daseins zu erfassen.
Für den Großkritiker Harold Bloom gehörte Cormac McCarthy zu den vier großen amerikanischen Romanciers ihrer Zeit, zu Philip Roth und Don DeLillo und Thomas Pynchon. Deren Werke wirken im Vergleich zu McCarthys schmalen, aber sprachlich dicht (und manchmal nahezu undurchdringlich) gefügten Büchern geradezu barock, wenn nicht geschwätzig. Immer wieder wurde McCarthy als Kandidat für den Literatur-Nobelpreis gehandelt.
Freilich gab es auch Kritiker, die McCarthy unheilschwangeres Macho-Gepose vorwarfen. Den bedauernswerten Menschen, die seine Bücher bevölkerten, warf er das gesamte Arsenal an Grausamkeit entgegen, das der Kosmos für sie bereithielt. Die Figuren seiner Romane wurden skalpiert, vergewaltigt und geköpft, mit Bolzenschussgeräten hingerichtet, und noch nach ihrem Tod geschändet oder aufgegessen.
Mit „Die Straße“ erreichte Cormac McCarthy ein großes Publikum
Mit seinem mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Roman „Die Straße“ erreichte er 2006 noch einmal das ganz große Publikum. Ein Vater und ein Sohn ziehen mit einem Einkaufswagen durch ein von kannibalischen Banden beherrschtes postapokalyptisches Amerika, das ist reiner Endspiel-Beckett, neu inszeniert als grimmige Actionstory.
Eigentlich hatte die Apokalypse in McCarthys Geschichten längst stattgefunden, ob in den 1960er Jahren in den Bergen von Tennessee in der Serienkiller-Ballade „Child of God“, oder 20 Jahre später im Grenzland zwischen Mexiko und den USA in „No Country For Old Men“, berühmt geworden durch die Verfilmung der Coen-Brüder. Oder ebendort, 130 Jahre zuvor, in „Blood Meridian“, dem unbarmherzigsten aller Western. Eventuell hat sie bereits vor dem Holozän auf das Erscheinen des Menschen gelauert. Der Krieg war für McCarthy in einem existentialistischeren Sinn als für Heraklit der Vater aller Dinge. „Bevor es den Menschen gab“, heißt es in „Blood Meridian“, „wartete der Krieg auf ihn. Das ultimative Handwerk, das auf seinen ultimativen Fachmann wartet.“
Einer der ersten, die am Dienstagabend öffentlich kondolierten, war Stephen King: „McCarthy ist vielleicht der größte amerikanische Romancier meiner Zeit. Er war voll an Jahren und hat ein großartiges Werk geschaffen, aber ich trauere trotzdem um sein Ableben.“ Niemand hat in der amerikanischen Literatur überzeugendere Monster geschaffen als King, doch in Cormac McCarthys Werk war das Leben selbst monströs und jeder, der es mit ihm aufnahm, lief folglich selbst Gefahr, zum Monster zu werden.