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Zum Tod von Bill ViolaVideokunst als Erfahrung der ersten und letzten Dinge

Lesezeit 3 Minuten
Eine Besucherin betrachtet ein Videokunstwerk von Bill Viola.

Eine Besucherin betrachtet ein Videokunstwerk von Bill Viola.

Videokunst war für Bill Viola wie eine zweite Renaissance. Jetzt ist der Meister der angehaltenen Zeit im Alter von 73 Jahren gestorben

In der Kunst von Bill Viola ging es immer um die ersten und die letzten Dinge: Geburt und Tod, Leben und Sterben, Gegenwart und Jenseitigkeit. Daran wäre nichts Ungewöhnliches, wäre Viola ein Nachfolger der großen amerikanischen Jenseitsmaler gewesen. Stattdessen lud er das Banalste, was man sich in den 1970er Jahre denken konnte, das Video, mit den erhabenen Gefühlen auf, die einem im Museum sonst vor den abstrakten Gemälden von Mark Rothko oder Barnett Newman überkamen.

Im Spiegel seiner Videos lief die Zeit langsamer, Bill Violas Installationen glichen Altären

Bill Violas Frühwerk „The Reflecting Pool“ (1977-79) besteht aus einer einzigen Einstellung und zeigt ein Waldstück mit einem Weiher im Vorder­grund. Ein Mann nähert sich und hält am Rand des Gewäs­sers inne. Er springt - und die Zeit steht still. Während Viola den in der Luft er­starrten Mann lang­sam aus dem Bild ­blendet, be­merkt man, dass sich die Wasseroberflä­che weiterhin bewegt. Alles, was wir danach sehen, vom Wiegen der Blätter im Wind bis zu einer vorüber laufenden Frau, sehen wir lediglich als wässrige Spiegelun­gen. Viola selbst hat dieses Ein­tauchen des Menschen in die Na­tur als „Taufe in einer Welt virtueller Bilder und indirekter Wahr­nehmungen“ beschrie­ben.

Bill Viola schaut in die Kamera. Er trägt eine Brille, eine Kette und einen roten Pullover.

Bill Viola im Jahr 2017. Der Videokünstler starb im Alter von 73 Jahren. / AFP)

Im Spiegel dieser virtuellen Bilder lief die Zeit langsamer, man sollte vor Violas Leinwänden ergriffen und aus der Gegenwart gerissen werden wie vor einem christlichen Altar. Seine Werke zeichneten sich durch eine einfache, an Sakralformen angelehnte Bildsprache aus, die zugleich an Meditationen erinnerten. Ein- und Ausatmen standen in ihnen für den Zyklus des Lebens, die Elemente Wasser und Feuer für die Reinigung des Menschen von seiner materiellen Existenz. Ob sich diese ästhetischen Vorlieben tatsächlich durch eine kindliche Nahtoderfahrung erklären lassen (Viola wäre als Sechsjähriger beinahe ertrunken), darüber streiten die Gelehrten. Aber das „Eintauchen“ in ein anderes Element, in den Kunstraum, gehört zu den Leitmotiven in Violas Werk.

Bill Viola war ein früher Großmeister der immersiven Kunsterfahrung

Heute feiert das die Kunstwelt als „immersiv“. Bill Viola war ein früher Großmeister dieser Erfahrung, selbst der Gasometer in Oberhausen, wo er 2003 seine monumentale Installation „Five Angels for the Millennium“ zeigte, wurde bei ihm zur Kathedrale. Eine andere Arbeit, „Slowly Turning Narrative“, beschrieb er so: „Man sieht ein Bild, dann dessen Spiegelung, dann sein eigenes Spiegelbild, dann das projizierte Licht auf dem eigenen Körper. Wenn die Leute im Bild aufgehen, ist das ein beinahe transzendentales Erlebnis: Sich selbst für einen Augenblick verlieren und mit der Welt verschmelzen.“

Gemeinsam mit Nam June Paik gehörte Viola zu den Pionieren der noch jungen Videokunst – für ihn war es eine zweite Renaissance. Aber er warnte bereits früh vor der „vergiftenden Wirkung“ des unendlichen Bilderflusses. „Als ich mit meinen Arbeiten begann, dachte ich, dass Videoaufnahmen der Welt keinen Schaden zufügen könnten. Die Kamera hinterlässt keine Spuren, rodet keine Wälder und ätzt kein Material, um es zu formen. Inzwischen klebt ein hohes moralisches Preisschild auf diesem Medium. Die Manipulation der Bilder verursacht Probleme überall auf der Welt und hat ein Ausmaß erreicht, das uns zu zerstören droht.“ Das sagte Bill Viola vor 20 Jahren. Am Freitag ist dieser hellsichtige Künstler im Alter von 73 Jahren gestorben.