In Bottrop und Düsseldorf wird das Textilwerk der US-amerikanischen Künstlerin Sheila Hicks ausgestellt.
Zwei Ausstellungen mit Sheila HicksWas man alles aus einem Faden machen kann
Die Künstlerin läuft im Ausstellungsraum umher und packt entschlossen in die herabhängenden dicken orange-gelben Wollstränge, die wie eine Kaskade über dem Balkon in der Düsseldorfer Kunsthalle hängen („Aprentiziaje de la Victoria“, 2008-2016). Sie streichelt die aus den reliefartigen Oberflächen der gewebten Wandbilder in den Raum hängenden Fäden. In der Ecke ein riesiger Haufen aus umwickelten Wollballen („Boules“), jedes einzelne der starkfarbigen Bündel von einem durchsichtigen Netz zusammengehalten („Saffron Sentinel“, 2017).
Eine ähnliche Arbeit von Sheila Hicks war schon 2017 bei der Biennale in Venedig zu sehen und auch in Bottrop gibt es einen kleineren „Rempart“ (2016). Von der hohen Decke etwas weiter entfernt hängen weiße Schnüre im Rund bis auf den Boden herab („Au-delà“, 2022). Hicks hebt ein paar an, lässt sie fallen, ändert ihre Lage und freut sich an den „unendlichen Möglichkeiten“, die man mit diesen so beweglichen Materialien habe. Diese „Columns“ (Säulen) genannten Arbeiten sind beliebig dick und hoch und bunt, wie eine weiche wandelbare Säule und sehen nur so aus wie eine Stütze der Architektur.
Eine Doppelausstellung im Josef Albers Museum in Bottrop und in der Kunsthalle Düsseldorf
Ebendiese unberechenbare Variabilität unterscheide die künstlerische Arbeit mit Fäden, Garn, Fasern und Gewebe von Malerei und Plastik, ist die Künstlerin überzeugt. Farbe und Raum lässt sich mit Textil fabelhaft künstlerisch erforschen. Die Werke interagieren unvermeidlich mit der Architektur, mit Dekoration, haben aber auch einen eigenen Willen. In anderen Kontexten finden die Gewebe Verwendung in spirituellen Praktiken, sind Gebetsteppich oder vielfältig verzierter Redestab, ganz besonders aber sind sie Farbe und Muster.
Im Josef Albers Museum in Bottrop und parallel in der Kunsthalle Düsseldorf gewährt eine große Einzelausstellung mit über 250 Werken nun erstmals auch in Deutschland umfassend Einblick in das vielfältige Schaffen der US-amerikanischen Künstlerin Sheila Hicks (geboren 1934). In Bottrop sind retrospektiv Arbeiten von 1955 bis 2024 versammelt, darunter auch frühe Gemälde aus ihrer Studienzeit bei Josef Albers. Ebenso frühe Textilarbeiten, die in ihrer Zeit in Chile entstanden sind, in Mexiko und Marokko, Auftragsarbeiten für Architekturen, farbintensive Wandobjekte und Installationen, Skizzen und Archivalien. In Düsseldorf sind es vornehmlich neuere Arbeiten.
Bei Sheila Hicks entstehen die Kompositionen aus dem Prozess des Webens und Knüpfens
„Was kann man mit einem Faden machen?“, lautet die Frage, die sich Sheila Hicks seit ihrem Studium bei Josef Albers an der Yale School of Art in den 1950er Jahren stellt. Ihre Antworten seither sind vielfältig und sehr besonders: Wandarbeiten, Teppiche, gewebte Reliefs, hängende Raum-Installationen, Skulpturen, unendlich viele Texturen. In den wunderbaren kleinen „Minimes series“, die auf kleinen improvisierten Handwebrahmen entstehen, experimentiert sie bis heute mit Farben und Formen, Mustern und Reliefstrukturen, Materialien und Ideen. Wie in einem Skizzen- oder Tagebuch.
Für sie haben textile Gewebe eine ganz eigene Sprache, besteht eine enge Verbindung zwischen Text und Textilem, zwischen geschriebener Sprache und den Fäden, aus denen ein Gewebe entsteht. Es sind Texte, die gleichzeitig ihre räumliche Dimension mitdenken. Und, auch bei Hicks entstehen die Kompositionen nicht am Reißbrett, vielmehr entwickeln sie sich aus dem Prozess des Webens und Knüpfens, Knotens und Bündelns ein bisschen wie von selbst.
Josef Albers und seine Frau Anni waren seit ihrer Emigration 1933 in den USA und seit 1950 an der Yale School of Art tätig; mit ihnen teilte Sheila Hicks die Begeisterung für Mexiko, die indigenen Techniken und den unendlich vielfältigen Umgang mit Gewebe. Streifen, Balken, Rechtecke, Gittermuster, Dreiecke... Die Befreiung vom Gegenstand und die Erneuerung des Ornaments, die die künstlerischen Avantgarden der frühen Moderne anstrebten, konnten gut auch auf einem gewebten Teppich stattfinden. Das hat Anni Albers überzeugend demonstriert, Kunst und Kunsthandwerk galten ihr, der Bauhaus-Künstlerin, als gleichberechtigt und so sollte sie eine maßgebliche Rolle bei der Neubewertung von Textilien als Kunst spielen.
Und so wie Anni Albers und deren Kolleginnen lange auf Anerkennung warten mussten, hat auch Sheila Hicks viele Jahre lang eher im Hintergrund gearbeitet, wurde ihre Arbeit doch lange Zeit nicht wirklich ernst genommen und dem Kunsthandwerk zugerechnet. Inzwischen ist diese herablassende Haltung glücklicherweise Vergangenheit, erfährt die textile Kunst eine größere Anerkennung und viel Interesse. Und Sheila Hicks' Werk wird weltweit in großen Ausstellungen gefeiert.
Die 90-jährige Künstlerin ist voller Energie und ansteckender Begeisterung
Die 90-jährige Künstlerin ist voller Energie und ansteckender Begeisterung. Sie fordert die Umstehenden immer wieder auf: „Fühlt mal, fühl mal das oder das!“. (Während des normalen Museumsbetriebs ist dies freilich nicht gestattet.) Dann beginnt sie zu erzählen, wie die Weberinnen in Guatemala sie mit ihrer Arbeit fasziniert und auch beeinflusst haben. Später spricht sie über die Frauen in Madagaskar, die tagelang beisammensitzen, reden und lachen und dabei unendlich viele Knoten knoten. Die Arbeit im Kollektiv ist für sie ein zentraler Aspekt ihres Handwerks und sie ist ebenso wichtig für ihre Kunst.
Eine der schönsten Arbeiten der Düsseldorfer Schau ist ein aus relativ dünnem Garn vollständig geknoteter hängender Wandbehang, der, so die Künstlerin, einfach überall mit hingenommen werden kann und der jeden noch so hässlichen Raum freundlich macht. Als Wandteppich, auf dem Bett oder vor dem Fenster. Das luftig-feine filigrane Knotenwerk scheint auch die Künstlerin sehr zu berühren.
Und dann gibt es noch eine Knoten-Geschichte: Als sie in Südkorea, wo sie selber ausstellen sollte, eine in den benachbarten Räumen abgesagte Ausstellung bestücken helfen sollte, hat sie kurzerhand ein paar Fischernetze gekauft und in den Räumen große runde Bodeninstallationen geschaffen. Die geknüpften Netze passten famos in ihr Konzept, auch sie werden ja im Kollektiv mindestens gesäubert und repariert, ausgeworfen oder im Ausstellungsraum ausgelegt. Noch ein paar Knoten, die ein größeres Netzwerk oder System verbinden.
Scheila Hicks, Josef Albers Museum Bottrop und Kunsthalle Düsseldorf, bis 23. Februar 2025