Leser erinnern sich an bescheidene Schulabschluss-Partys und diskutieren über das „richtige“ Maß für heutige Abiturfeiern.
LeserbriefePassen kostspielige Abibälle in die Zeit?
„Schulreife“ und Kostenexplosion unvereinbar
Bei den explodierenden Summen für einige Abibälle sollten wir uns ernsthaft die Frage stellen: Müssen wir 50.000 Euro an einem Abend ausgeben, um den Abschluss der Schullaufbahn zu feiern? Eigentlich hatten wir uns als Schüler einer katholischen Schule dafür entschieden, wie andere Schulen mit gutem Beispiel voranzugehen – bis wohl die gefühlte Minderwertigkeit einer Feier in schulischen Räumlichkeiten diese Planung zum Kippen gebracht hat.
Es braucht kein 3-Gänge-Menü, damit die Schullaufbahn unvergesslich wird – eine echte Stufengemeinschaft ist fürs Leben erheblich wertvoller. Außerdem können sich solch ein Vergnügen längst nicht alle Familien leisten. Wir lernen in der Schule viel über große Armut und Krisen auf der Welt, aber unser eigenes Handeln bleibt davon oftmals unberührt. Es scheint uns wichtiger zu sein, uns selbst so ausgiebig wie möglich zu feiern. Ist das die Reife, die wir mit dem Abitur erlangt haben?
Ich werde dieses Jahr nicht zu meinem Abiball gehen. Meine Eltern hätten mir alles bezahlt, aber ich schäme mich für die Unverhältnismäßigkeit dieser Veranstaltung – es gibt zu viele Menschen, die zwar gerne feiern würden, aber gerade einmal das Nötigste zum Leben haben. Ich ermutige die künftigen Abiturjahrgänge, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Dann erlangen wir mit dem Abitur wirklich Reife. Florian Gau Pulheim
Abibälle: Verhältnismäßigkeit wahren
Es ist gut und richtig, den kommenden Abibällen fast eine ganze Seite im „Kölner Stadt-Anzeiger“ einzuräumen. Was dabei allerdings zutage gefördert wird, ist, dass es in Teilen der Stadt oder an bestimmten Schulen Schüler und Eltern gibt, denen es um nichts mehr geht, als sich nach unten abzugrenzen. Getreu dem Motto „was nichts kostet, kann auch nichts sein“ wird von jenen, die es sich leisten können, in einer solchen Deutlichkeit geprotzt, dass es völlig egal ist, was mit weniger potenten Eltern und Kindern geschieht. Diese werden einfach plattgemacht und zum Mitmachen genötigt.
Solches „Denken in Größe“, wie es zur Rechtfertigung propagiert wird, zeigt nichts anderes als Dekadenz, Überheblichkeit und Größenwahn und ist die Fortsetzung des „mit dem SUV bis vors Schultor gefahren werden“. Es ist zudem respektlos. Wie wäre es denn mal mit Demut vor den weniger verwöhnten Mitschülern und Mitschülerinnen, die sich 500 bis 1000 Euro Eigenbeitrag nicht leisten können? Es geht auch kleiner und sollte im Verhältnis zu dem stehen, was man sich leisten kann. Rolf Arenz Köln
Hohe Abiball-Kosten verständlich
70.000 Euro sind eine irre hohe Summe – können die Abiturienten nicht bescheidener sein? Das wünschen sich viele, aber es gibt einige Faktoren, die dazu beitragen, dass solche Summen entstehen. Die Kosten für Abiball-Veranstaltungen sind durch Corona nochmals kräftig in die Höhe gegangen. Aber auch die Abi-Jahrgänge sind zahlenmäßig im Vergleich zu den 2000er Jahren gestiegen. Waren es früher 100 Abiturienten, sind es jetzt ungefähr 150 und mehr, und damit wird die kostenlose Aula sehr schnell zu klein.
Nehmen wir an, die Abiturienten wollen in der Aula feiern. Im Gegensatz zur Abiturzeugnisausgabe, einer schulischen Veranstaltung, ist die „Abifeier“ eine private Sache. Ob die Stadt ihre Zustimmung für eine private Feier in der Aula erteilt, ist fraglich und eher mit Nein zu beantworten. Sollte die Stadt wider Erwarten zustimmen, stellt sich die Frage, wer Organisation und Verantwortung für die erteilten behördlichen Auflagen übernimmt.
Welche Privatperson kann und will die Verantwortung für 150 feiernde Abiturienten stemmen, wenn etwas schiefgeht, ein Unfall passiert, die Feier durch schulfremde Personen gestört wird oder es zu Sachschäden kommt? Da ist ein großer Saal für alle, die das Abitur feiern wollen, die bessere Option. Die Betreiber dieser Räumlichkeiten verlangen stolze Summen, verfügen aber über Knowhow und Logistik für große Feiern.
Und mit den Kosten für den Abiball allein ist es noch nicht getan. Es kommen weitere Ausgaben dazu, wie Kleidung und Fahrtkosten. Und ganz plötzlich steigen die Ausgaben für den Abend auf über 1000 Euro. Aber viele Eltern und Abiturienten wünschen sich eine solch großartige Feier. Und nur wenn Abibälle ausfallen und jede Familie für sich privat feiert, steigen die Kosten nicht ins Unermessliche. Aber das will ja auch keiner, oder?Annette Voigt Hürth
Abibälle passen nicht in die Zeit
Geht es nicht um einiges kleiner in den jetzigen Zeiten? Einige 100 Kilometer weiter östlich sterben Frauen und Kinder durch Bomben und Raketen eines Größenwahnsinnigen, verbluten Männer und Frauen an der Front, um ihre Heimat zu verteidigen, und hier feiern Jugendliche ihr Abitur mit einem Abiball, der fast schon dem Wiener Opernball Konkurrenz macht.
Die Abiturienten und Abiturientinnen sollten dieses Geld für die Hilfsbedürftigen in der Ukraine spenden, das wäre Solidarität, und dabei nicht vergessen, dass die Ukraine für die Nato ein Bollwerk gegen Putin ist und damit auch unsere Demokratie verteidigt. Vielleicht würde die Spende Schule machen und andere zu gleichem Tun anregen.Dr. Wilhelm Süße Köln
Abifeier: Erinnerung an Siedewürstchen und Kartoffelsalat
Der Artikel „70.000 Euro für den Abiball“ erinnert mich an meine Abitur-Abschiedsfete vor 72 Jahren. Wir, 16 Abiturienten und 5 Lehrer, feierten in einer Gaststätte der Mülheimer Bahnhofsruine. Zum Festessen wurden Siedewürstchen mit Kartoffelsalat serviert. Als Getränk erlaubten wir uns Kölsch und Moselwein. Den Wein durften wir uns selbst besorgen gegen Zahlung einer „Korkgebühr“. Ich denke, an dem heiteren Abend haben wir etwa 200 DM verprasst. Bis zum Abitur-Abschied war unser Leben hart, im Krieg als 15-jährige Fronthelfer zeitweise auch grausam.
Ab diesem Siedewürstchen-Kartoffelsalat-Abend ging es mit uns bergauf: Uns standen alle Studiengänge offen, den Numerus Clausus gab es noch nicht. Die meisten studierten an der RWTH Aachen oder der Uni Köln, der Rest hatte bereits an diesem Abend einen Ausbildungsvertrag mit einer Großbank, mit Bayer, Ford, KHD oder der Stadt Köln in der Tasche. Ich wünsche den diesjährigen Abiturienten und Abiturientinnen, dass ihr Leben wie bei uns von Glück und Erfolg begleitet werde. Franz J. Küpper Köln
Spenden statt Abiball
Was macht die Gesellschaft mit unserer Jugend? „Groß denken“, was meint die Mutter eines Schülers damit? Wie wäre es, wenn die zahlungswilligen Eltern ein Vorbild wären und ihren Kindern wirkliche Werte vermittelten, indem sie den überbordenden Betrag für einen guten Zweck spendeten? Renate Opitz Zerlett Köln
Kinderarmut und Abiball: Wie passt das zusammen?
Kann es wirklich wahr sein, dass linksrheinisch solche Abibälle gefeiert werden und im rechtsrheinischen Köln nicht? Weiß denn niemand in der Redaktion, dass an allen städtischen Gesamtschulen auch Abibälle gefeiert werden? Diese werden im Artikel noch nicht einmal erwähnt! Viele junge Menschen feiern ihr Abi an städtischen Berufskollegs, wie und für wie viel Geld und in welcher Form auch immer. Und das alles in einer Zeit, in der jedes fünfte Kind beziehungsweise Jugendlicher in Armut aufwächst. Ulrike Müller-Harth Gesamtschulrektorin i.R. Köln
Große Abschlussklassen sind auf große Festhallen angewiesen
Das Abitur markiert nicht nur das Ende der Schulzeit, sondern auch das Ende der Kindheit – danach verlassen viele junge Erwachsene den von den Eltern vorgegebenen Weg, ziehen von zu Hause aus, um zu studieren oder eine Ausbildung zu machen, entscheiden das erste Mal bewusst selbst über ihre Zukunft. Die Feierlichkeiten um das Abitur herum sind daher eine Art Übergangsritual. Sie markieren einen wichtigen Meilenstein im Leben. Dass ein solcher Meilenstein und Wendepunkt zusammen mit Eltern und Lehrern gefeiert werden soll und muss, steht außer Frage. Die Frage, die polarisiert, ist die nach dem wie und vor allem die nach dem Preis, den dieses Übergangsritual kosten darf.
Zum Zeitpunkt meines Abiturs waren wir 40 Schülerinnen und Schüler. Mit im Schnitt zwei Elternteilen und den Lehrern kamen wir auf etwa 150 Feiernde. Die Stufe, die ich momentan unterrichte, besteht aus etwa 150 Schülern. Hier kommen schnell über 500 Menschen zusammen, die gemeinsam feiern wollen. Den Abiturienten bleibt somit nichts anderes übrig, als auf privatwirtschaftlich genutzte Festhallen und Festräume zurückzugreifen. Auch der durch Corona gebeutelten Gastronomie kann man hier nicht wirklich die Schuld für die Kostenexplosion geben.
Was bliebe, wäre die Identifikation und Nutzbarmachung großer städtischer oder privater Hallen und Räume, die den Feiernden – mit geringen Auflagen und zu einem günstigen Preis – zur Verfügung gestellt würden. Die Abiturienten haben bisher keine andere Wahl, als auf die horrenden Preisvorstellungen der großen mietbaren Räume einzugehen, wenn sie zusammen mit ihren Familien und Lehrern feiern möchten. Als Mutter von vier Kindern, die innerhalb von sechs Jahren ihre Schulabschlüsse feiern werden, ist mir die finanzielle Belastung sehr bewusst. Sara Weyers Köln
Passen Abibälle zum Verzicht, den gerade Jugendliche anmahnen?
Die zu beobachtende exzessive Feierkultur von Abitur-Abgängern in Deutschland erinnert sehr an das Vorbild amerikanischer College-Studenten, was das Äquivalent zur deutschen Oberstufe ist. In der Regel haben insbesondere Gymnasien Fördervereine, die durch Spenden der Eltern Zuschüsse zu nötigen Ausgaben finanzieren, die durch die öffentliche Hand nicht abgedeckt sind.
Bei solchen Summen für einen Abiball darf man schon fragen, ob eine Abiturfeier da nicht besser, wie zu unseren Zeiten, in der Aula bei Chips und Cola stattfindet und das Gesparte dem Förderverein zukommt. Auch ist es in Zeiten politisch angemahnter Enthaltsamkeit in allen Lebenslagen – Heizung, Autofahren, Reisen, Fleischverzehr – die Frage, wie diese Feiern zu den gerade von der jungen Generation hochgehaltenen Werte passen. Thomas Gebhardt Köln
Abifeiern: Mehr Augenmaß bitte
Alle Jahre wieder: exorbitante Kosten für Abibälle. Ich frage mich, wie die Abiturienten überhaupt Zeit und Energie aufbringen, um solche Budgets zu stemmen und zudem noch durch Warenhäuser zu ziehen, um sich für teures Geld in kölscher Zirkuseleganz einzukleiden, nachdem sie im Unterricht Jogginghosen getragen haben. Wir waren damals damit ausgelastet, uns auf die Prüfungen vorzubereiten, und haben unseren Blick auch schon mal auf die Zeit danach gerichtet: Studium, Ausbildung oder was sonst?
Beim Gedanken an meine Abizeit verspüre ich keinen Nachholbedarf: Unsere Mütter haben Kartoffelsalat und Frikadellen hingestellt, die Väter das eine oder andere Fässchen Kölsch und nach der Zeugnisausgabe wurde im Foyer gefuttert. Anschließend gab’s die Fete in der Aula mit Disko und Sketchen. Das war großartig und authentisch. Dass es auch heute noch mit Augenmaß in angemessenem Rahmen geht, zeigen die im Bericht erwähnten Gymnasien in Mülheim und im Agnesviertel. Christoph Menger-Skowronek Köln
Auch ohne Abiball Erinnerung an einen gelungenen Schul-Abschied
Was waren wir, Abi-Jahrgang 1967, doch – vom heutigen Szenario betrachtet – für 32 „armselige“ Gestalten! Für 20 DM pro Person war der „romantische“ Saal der Schützenhalle im Provinzkaff Werl gemietet worden, es gab Würstchen mit Kartoffelsalat, die Musik besorgte die Schulband, die Eltern waren’s zufrieden –und wir Überlebenden erinnern uns auch nach 55 Jahren an einen gelungenen Abschied! Ach ja, mehr stand uns ja auch wohl nicht zu: Der Zeugnisdurchschnitt unseres Abi-Besten lag bei 2,1 – da konnten wir mit den heutigen Koryphäen nicht mithalten. In diesem Sinne: Gaudeamus igitur – lasst uns fröhlich sein! Fritz Tönnies Hennef
„Wie war’s in der Schule?“ Abonnieren Sie hier unseren Newsletter für Familien und Lehrende in der Kölner Region – immer mittwochs.