Wogen des Glücks, Eruptionen der guten Laune. Das ist Karneval 2023. Nach Jahren der Vereinzelung und des „social distancing“ war der Kölner Fastelovend mit einem großartigen Rosenmontagszug auch ein Stück Selbstvergewisserung: „Mir sin immer noch do.“ Ein Kommentar
Kommentar zum Karneval in KölnKraft in Zeiten von Krieg und Krisen – „Mir sin immer noch do“
Gänsehaut, doch nicht vom Wetter. Wogen des Glücks, Eruptionen der guten Laune. Das ist Karneval 2023. Nach drei langen Jahren sind die Freude und die Ausgelassenheit der tollen Tage nach Köln und in die Region zurückgekehrt. So, als wären sie nie fort gewesen? Nein!
Den Feiernden in den Kneipen und auf den Straßen ist sehr wohl bewusst, was hinter ihnen liegt: die Zeit der Pandemie mit all ihren Entbehrungen und Verwerfungen im sozialen Gefüge. Und dann natürlich auch die Erfahrung, dass in Europa nach Jahrzehnten des Friedens wieder ein Land unter der Geißel des Krieges leidet. An Weiberfastnacht vor einem Jahr wachten die Menschen mit der Nachricht vom Überfall Russlands auf die Ukraine auf. An Rosenmontag 2022 funktionierten die Kölnerinnen und Kölner ihren Zoch spontan zu einer Großkundgebung für den Frieden um.
Grundschulkinder haben das Begeisternde des Karnevals zum ersten Mal erlebt
Das ist auch ein Jahr danach nicht vergessen – im Gegenteil: Es ist eingegangen in die Stimmung dieser Tage. So stark spürbar wie noch nie in diesem Jahrtausend ist die kathartische, die reinigende und erneuernde Wirkung des Karnevals als Zeit des gemeinsamen Feierns. Für viele Menschen war es womöglich die erste Gelegenheit seit langem. Kinder im ersten oder zweiten Grundschuljahr haben das Begeisternde und Mitreißende des Fastelovends zum ersten Mal überhaupt erleben können.
Nach Jahren der Vereinzelung und des „social distancing“ ist der Karneval, dieses Kraftwerk des Gemeinschaftsgeistes, auch ein Stück Selbstvergewisserung: „Mir sin immer noch do.“ Das war nicht zuletzt die heimliche Botschaft eines großartigen Rosenmontagszugs, der im Jubiläumsjahr erstmals über die Deutzer Brücke führte und damit in einer sprechenden Symbolik die Stadt auf beiden Seiten des Rheins miteinander verband.
Der Zoch war nicht nur Ausdruck purer Freude, sondern auch politisch wie selten
Ein schönes Zeichen war auch die Teilnahme einer ukrainischen Fußgruppe, organisiert vom unermüdlichen „Blau-Gelben Kreuz“. Der Zoch war eben nicht nur Ausdruck purer Freude, sondern auch politisch wie selten. Putins Gräuel und die Proteste gegen das Regime im Iran wurden gleich mehrfach thematisiert.
Überhaupt hat der organisierte Karneval mit Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn an der Spitze das Beste aus der 200-Jahr-Feier gemacht: mit einem gut aufgelegten, zurecht umjubelten Dreigestirn, gestellt von den Roten Funken. Das Jubiläumskorps hat die Chance genutzt, Geschichte, Gegenwart und Zukunft des rheinischen Brauchtums zum Thema zu machen und in Szene zu setzen.
Die Glücksspeicher sind nun bis oben gefüllt
An diesem Dienstag folgen jetzt noch einige große Veedelszöch. Danach brennt der Nubbel – und dann ist schon Aschermittwoch. Alltag. Doch die Kraft dieser Session wird die Kölnerinnen und Kölner noch länger tragen. Die Glücksspeicher sind nun bis oben gefüllt. Eine gute Voraussetzung, um die kommende Zeit beherzt und mit Zuversicht anzugehen.
Sie wird schwer genug werden. Putins Angriffskrieg und seine Folgen werden die Politiker beschäftigen, aber auch jede und jeden Einzelnen bewegen. Die Hoffnung auf ein baldiges Schweigen der Waffen, die Sehnsucht nach Frieden und Verständigung nehmen wir aus dem Karneval mit.
Wie schön wäre es, wenn die Menschen im Rheinland schon mit der großen Demonstration zum ersten Jahrestag des Kriegsbeginns vor dem Dom am kommendem Freitag wieder ein starkes Zeichen setzen würden. Die Kraft dazu ist da. Jetzt umso mehr.