Regisseur Thomas Jolly setzte mit der olympischen Eröffnungszeremonie in Paris ein starkes Zeichen gegen Intoleranz und für ein Vielfalts-bewusstes Frankreich.
Olympia-EröffnungNicht einfach nur eine hübsche, artige Schau
Historisch würde diese Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele am Freitagabend in Paris werden – so lautete das Versprechen der Organisatoren. Es blieben keine leeren Worte. Groß waren der Druck und die Erwartungen; sie wurden nicht enttäuscht, sondern übertroffen, sodass nicht nur die massiven, aber leider notwendigen Sicherheitsvorkehrungen außergewöhnlich waren.
Unter der Anleitung des Regisseurs Thomas Jolly wurde eine rund vierstündige Schau geliefert, die effektvoll, kreativ, teils auch frech, herausfordernd und durchaus politisch war. Sie berührte selbst Menschen, die nichts mit Sport oder den Olympischen Spielen und deren finanziellen Auswüchsen am Hut haben. Denn im Vordergrund stand die Erzählung eines multikulturellen, freien, toleranten und inklusiven Frankreichs, das so viele eigene Talente zählt, aber auch Künstlerinnen und Künstler anderer Nationen miteinzubeziehen wusste.
Das ist ein wichtiges Zeichen, nur wenige Wochen, nachdem mehr als zehn Millionen Menschen in dem Land bei den Parlamentswahlen für die rechtsextreme Partei Rassemblement National gestimmt haben, für die der Wert aller Menschen nicht gleich ist, die einen Teil von ihnen stigmatisieren und ausschließen wollen. Deren Vertreter reagierten wütend über die vielen schwarzen Künstlerinnen und Künstler, die eine solche Bühne bekamen, um das Land zu repräsentieren, zu dem sie gehören – bei den Sportlerinnen und Sportlern haben sie es akzeptiert, denn diese fahren Triumphe ein.
Die franko-malische Sängerin Aya Nakamura, ein Superstar in den internationalen Plattformen, aber absolutes Hassobjekt für Rassisten, ausgerechnet mit der bestens gelaunten Kapelle der Republikanischen Garde auftreten zu lassen, war ein Geniestreich, mit dem Regisseur Jolly ihren Kritikern eine lange Nase drehte.
Selbst der strömende Regen, der das Spektakel hätte verderben können, schien die Menschen aus aller Welt unter ihren Regen-Ponchos zu verbinden. Und die Emotionen erschienen noch echter. Musste die blutrünstige Anspielung auf die Französische Revolution, in deren Zuge die frühere Königin Marie-Antoinette geköpft wurde, wirklich sein?
Brauchte es die von Vertretern des Christentums scharf kritisierte Parodie des letzten Abendmahls mit Dragqueens und einem nackten, blau bemalten Gott Dionysos in einem riesigen Früchtekorb? Ja, weil diese Eröffnungszeremonie nicht einfach nur eine hübsche, artige Schau war, die allen gefallen wollte.
Kunst ist mehr als das. Die Freiheit zur Provokation und das Recht auf Blasphemie sind urfranzösische Eigenarten. Für beides steht nicht zuletzt das im Jahr 2015 von Terroristen tödlich angegriffene Satireblatt „Charlie Hebdo“. Wer damals, nach der brutalen Ermordung der besten Karikaturisten der Zeitung durch Islamisten, das Solidaritäts-Motto „Wir sind Charlie“ hochhielt, muss auch jetzt ein queeres Abendmahl aushalten, das wenige Minuten der gesamten Zeremonie in Anspruch nahm. Auch über sich selbst lachen zu können, ist ein universaler Wert.
Jolly und sein Team begnügten sich nicht nur mit Show-Effekten, von denen es freilich viele gab. Sie kosteten viel Geld und passten nicht zum Ziel besonders sparsamer und umweltfreundlicher Spiele. Doch in einer Zeit, in der in vielen Ländern – auch der teilnehmenden – Rechte und Freiheiten eingeschränkt werden, in denen Machthaber Gewalt und Krieg zur Durchsetzung ihrer Ziele anwenden, brauchte es auch eine Botschaft der Liebe, Freude, Hoffnung, ja der Verrücktheit. Sie ist angekommen. Auch Frankreich hat politisch unruhige Zeiten hinter und weiter vor sich. Doch in den nächsten zwei Wochen soll die Freude am Sport und am Zusammensein überwiegen. Dafür war der Freitagabend ein würdiger Auftakt.