Mutter-Kind-Kur„Ich musste mir die Pause aufzwingen, im Alltag wäre sie nie gekommen“
Köln – „Das stimmt alles so nicht. Da läuft irgendetwas schief. Ich kriege das nicht hin.“ Immer wieder kam Julia Teuchert* im Corona-Alltag mit Studium, Job und zwei Kindern an diesen schmerzhaften Punkt. „Ich bekam depressive Verstimmungen“, erzählt die Mutter aus Köln, „ich kämpfte mit negativen Gedanken, habe nicht mehr so gut funktioniert, hatte extreme Schlafstörungen und Rückenschmerzen.“
Durchhalten bis zur totalen seelischen und körperlichen Erschöpfung – das ist ein Gefühl, das viele Eltern kennen. Erst recht seit der Pandemie, durch die Mütter und Väter neben den kolossalen Herausforderungen des Familienalltags noch zusätzlichen Stress bewältigen mussten. „Die Fülle der Aufgaben war unglaublich belastend“, erinnert sich Julia Teuchert. „Unsere normalen Abläufe wurden total durcheinander gewirbelt. Mein Mann arbeitete außer Haus und ich konnte nicht zur Uni, sondern musste zuhause das Homeschooling betreuen, vieles schob ich deshalb in die Nachtzeiten.“ Auch ihren Job als Aikido-Trainerin konnte sie nicht wie gewohnt fortführen. „Ich hatte finanzielle Sorgen und der körperliche Ausgleich fehlte sehr. Es war alles wahnsinnig anstrengend.“
Kur-Bedarf nach Corona ist unter Eltern extrem hoch
Lange Zeit sei es ihr schon nicht so gut gegangen, erinnert sich die Mutter, bis ihr klar geworden sei: Sie wollte etwas dagegen tun. Teuchert entschied sich für eine Mutter-Kind-Kur. „Ich hatte das Gefühl, ich muss jetzt kurz verschnaufen, sonst komme ich nicht mehr gesund da durch“, erzählt sie. „Ich fand es nicht einfach, mir diese Kur zu erlauben, aber ich musste mir diese Pause aufzwingen, weil ich sie im Alltag nie bekommen hätte.“
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Dass der Bedarf einer solchen Eltern-Auszeit nach Corona groß ist, zeigen auch die Zahlen. „Die Kuranfragen steigen seit Anfang des Jahres enorm an, genau wie wir es auch erwartet haben“, sagt Yvonne Bovermann, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks (MGW). Nachdem die meisten Kur-Kliniken im ersten Corona-Jahr ganz hätten schließen müssen, sei die Belegung im Laufe 2021 wieder angestiegen, aber erst jetzt sei der Run auf Kurmaßnahmen besonders hoch. „Die Not der Eltern war auch in den ersten Corona-Wellen schon groß“, sagt Bovermann, „aber sie steckten so in der Situation drin, dass sie gar nicht weg konnten oder gar die Kraft dafür hatten, das zu organisieren.“ Auch Julia Teuchert musste erst einmal nach dem richtigen Zeitpunkt für eine Kur suchen. „Ich wollte die Kinder nicht schon wieder aus der Schule rausreißen. Und es gab einfach immer so viel zu tun.“
„Ich kenne niemanden, der nicht durch Corona überlastet ist“
Mutter-Kind-Kur
Eine Mutter-Kind-Kur oder Vater-Kind-Kur ist eine ärztlich verordnete medizinische Reha-Maßnahme. Um eine Kur beantragen zu können, muss ein gesundheitliches Problem bestehen und zusätzlich eine Belastung aufgrund der Familiensituation diagnostiziert werden. Der Arzt stellt ein Attest aus, das bei der Krankenkasse eingereicht wird.Wird eine Kur bewilligt, wird das Elternteil für diese Zeit krankgeschrieben und das Kind von der Schule freigestellt. Kur-Kliniken nehmen in der Regel Kinder zwischen drei und zwölf Jahren auf.Es gibt auch Angebote für Mütter oder Väter ohne Kinder. Der zurückbleibende Partner oder die Partnerin bekommen dann in der Regel die Kosten für eine Haushaltshilfe finanziert, um die Kinderbetreuung sicher zu stellen.
Schließlich ging die junge Mutter doch mit ihrem Anliegen zum Hausarzt, der bei ihr unter anderem depressive Verstimmungen und eine Corona-bedingte Belastungssituation mit drohendem Burn-out diagnostizierte und ihr ein Attest ausstellte. „Die Kur wurde mir dann auf Antrag als präventive Maßnahme direkt bewilligt.“ Nicht immer kämen solche Anträge sofort durch. „Aber die Mütter in meinem Umfeld, die es versuchten, haben es alle bekommen.“ Und das überrasche sie gar nicht. „Ich kenne eigentlich niemanden, der nicht durch Corona überlastet ist und das dringend gebrauchen könnte.“
Auf eigene Faust habe sie sich dann eine passende Kur-Klinik gesucht und dort glücklicherweise auch einen Platz für den Winter bekommen. „Es gibt das so genannte Wunsch- und Wahlrecht, man darf also die Kur-Einrichtung selbst auswählen“, erklärt Yvonne Bovermann vom MGW. Krankenkassen würden Betroffenen oft nur eine kleine Auswahl an Kliniken vorschlagen, doch es gebe eine große Bandbreite an Einrichtungen mit speziellen medizinischen Schwerpunkten oder besonderen Angeboten, zum Beispiel für Trauernde, für Eltern nach einer Trennung, für Schwangere oder für queere Eltern. „In unseren Beratungsstellen kann man sich informieren, welche Klinik zur Situation der Mütter oder Väter passen könnte.“
„Der Austausch mit Müttern ist so wichtig“
Julia Teucherts Kur fand über die Winterferien in einer Klinik im Allgäu statt. Für drei Wochen lebte sie mit ihren beiden Kindern (sechs und zehn Jahr alte) dort in einem kleinen Apartment. „Es ist toll, weil das Zimmer jeden Tag geputzt und für einen gekocht wird“, erzählt sie, „aber auch nicht wie im Hotel, man muss sich an die Gegebenheiten und festen Abläufe anpassen. Unsere gesetzte Frühstückszeit war aufgrund der Corona-Hygieneregeln etwa schon um 6:50 Uhr, sehr gewöhnungsbedürftig.“
Infos zu Eltern-Kind-Kuren
Das Müttergenesungswerk bietet rund 1000 Beratungsstellen in Deutschland, wo Mütter und Väter eine individuelle Beratung zu ihrer Situation und zu den Möglichkeiten einer Mütter- oder Väter-Kur-Maßnahme erhalten können. Eine Beratungsstelle in Ihrer Nähe finden Sie hier. Es gibt außerdem ein Kurtelefon: 030-330029-29.
Abhängig von der Diagnose wird jede Woche ein Therapieplan zusammengestellt. „Bei uns gab es zum Beispiel Massagen und sportliche Aktivitäten wie Wassergymnastik, Walken oder Waldbaden“, sagt Teuchert, „außerdem Einzeltermine bei einer Psychologin.“ Dort habe sie unter anderem Strategien gelernt, um gegen negative Gedanken anzugehen. Auch in festen Gesprächsgruppen seien die Teilnehmenden regelmäßig zusammen gekommen. „Der Austausch mit anderen Müttern, die ähnliche Probleme haben, ist so wichtig. Man unterstützt sich gegenseitig und erlebt auch, wie man von neuen Menschen wahrgenommen wird, total spannend.“
„Väter und Mütter kommen kranker an als vor der Pandemie“
Die Kinder wurden in dieser Zeit gut betreut, jeden Tag von acht bis drei Uhr. „Die Idee hinter einer solchen Kur ist ja, einfach mal die Verantwortung abzugeben“, sagt Julia Teuchert. Weil der Alltag nicht dabei sei, könnten Mütter und Väter hier ganz anders zu sich kommen, bestätigt Yvonne Bovermann. „Durch diese Entlastung haben sie genug Raum, um sich mit sich selbst, ihren Grenzen und Problemen zu befassen.“
Vater-Kind-Kur
Viele Kurkliniken bieten auch Vater-Kind-Kuren an. In manchen Häusern finden Mütter- und Väter-Programme zeitlich völlig getrennt voneinander statt. In anderen Kliniken reisen Mütter und Väter gemeinsam an. Es gibt aber immer Räume und Angebote nur für Frauen oder Männer. „Es ist sinnvoll, dass Frauen und Männer teilweise unterschiedliche Angebote bekommen und eine Therapiegruppe, in der jeweils nur Mütter oder Väter sind “, sagt Yvonne Bovermann vom MGW, „weil sie in ihrer jeweiligen Rolle als Mutter oder Vater anders belastet sind und auch unterschiedlich auf den Druck reagieren.“
Und für viele Eltern sei es jetzt höchste Zeit. „Die Kurkliniken berichten, dass Väter und Mütter gerade kranker und bedürftiger ankommen als vor der Pandemie.“ Man müsse gesellschaftlich anerkennen, was diese Menschen leisteten. „Politisch muss unbedingt die Care-Arbeit mehr Beachtung finden und die Care-Verantwortlichen müssen besser gestärkt und geschützt werden", fordert sie, „dazu gehört auch, die Möglichkeiten zu Vorsorge und Rehabilitation finanziell zu stärken und den Zugang zu erleichtern.“
Aufatmen in der Natur – auch für die Kinder
Die Kur sei für sie auch als Familie eine wertvolle Zeit gewesen, sagt Julia Teuchert. „Wir konnten nachmittags schöne Dinge unternehmen, ein bisschen wie Ferienprogramm. Meine Kinder haben den Schnee und die Natur geliebt.“ Der größte Erholungsfaktor sei auch für sie selbst die wunderschöne Landschaft gewesen. „Ich habe vor allem aufgetankt, weil ich jeden Tag Spaziergänge in der Natur gemacht habe.“ Am liebsten habe sie all diese Eindrücke speichern wollen, um sie zuhause in Köln wieder abrufen zu können.
Der Wechsel zurück in den Alltag mit all seinen Aufgaben sei dann tatsächlich nicht leicht gewesen. „Ich bin schon mit gemischten Gefühlen dort abgefahren und hatte Sorge, wieder zurückzugehen“, berichtet Julia Teuchert. Aber sie habe auch neue Anregungen und einige neue Abläufe ins Leben daheim integrieren können. „Vor allem aber fühle ich mich erholter, ich bin zuversichtlicher und hänge nicht mehr in negativen Gedankenmustern fest“, sagt sie. „Ich traue mir jetzt zu, das zu schaffen. Ich kriege das hin!“
*Name von der Redaktion geändert