Die Menschen haben den Planeten, auf dem sie leben, so sehr verändert, dass Fachleute nach 12.000 Jahren ein neues Erdzeitalter ausrufen wollen.
Mensch hat Erde massiv verändertWissenschaftler sehen neues Erdzeitalter Anthropozän angebrochen
Auf den ersten Blick unterscheidet ihn nichts von tausenden anderen Seen auf der ganzen der Welt. Klares, blaues Wasser, umgeben von Nadelwäldern, besonders groß ist er auch nicht – nichts deutet auf die besondere Bedeutung des Crawford Lake im Osten Kanadas, der ganz in der Nähe des ungleich größeren Lake Ontario und unweit von Toronto liegt, hin. Doch der Schein trügt. Denn das Wasser reicht mit stolzen 24 Metern extrem tief. Am Grund lagern Sedimentschichten, die eine genaue Datierung der Sedimentkerne ermöglichen.
An diesem See, so sagen es internationale Forscher, lässt sich der Anbruch eines neuen, vom Menschen geprägten Erdzeitalters, des sogenannten Anthropozäns, am besten belegen. Seit die Idee eines nach dem Menschen benannten Erdzeitalters zum ersten Mal geäußert wurde, hat sie sich schnell verbreitet und durchgesetzt. In naher Zukunft könnte offiziell ein neues Zeitalter eingeläutet werden. Doch so weit sind die Forscher noch nicht.
Das Ende des Holozäns: Forscher sehen nach 12.000 Jahren neues Erdzeitalter angebrochen
Einen großen Schritt dahin verkündeten sie allerdings am Dienstag in Berlin. Die internationale Anthropozän-Forschungsgruppe und die Max-Planck-Gesellschaft ließ wissen, dass der kleine Crawford Lake als Referenzort zum Nachweis des neuen Erdzeitalters ausgewählt worden sei. Damit wurde ein weiterer Schritt getan hin zu einer offiziellen wissenschaftlichen Anerkennung des Anthropozän, dessen Beginn die Forscher auf Mitte des 20. Jahrhunderts datieren. Konkret favorisieren die Geologen eine Sedimentlage aus dem Jahr 1950.
Geologen teilen die Erdgeschichte in verschiedene Zeitalter ein. Demnach leben wir derzeit im Holozän, das vor knapp 12.000 Jahren begann. Seither hat der Planet unter anderem durch den Ausstoß von Treibhausgasen und die Zerstörung von Ökosystemen extrem verändert, verursacht in erster Linie durch den Menschen. Experten verschiedener Fachrichtungen sehen deshalb das Zeitalter des Menschen angebrochen.
Anthropozän: Fachleute sammeln Belege für neues Erdzeitalter
Die Fachleute rufen nicht etwa leichtfertig ein neues geologisches Erdzeitalter aus, sie müssen dies mit streng etablierten Methoden begründen und Nachweise liefern. Spuren zum Beispiel, die man noch in einer Bodenprobe in einer Million Jahre eine Bodenprobe nachweisen könnte, sind von Relevanz.
Für eine offizielle Anerkennung, die nicht von allen Wissenschaftlern als gerechtfertigt angesehen wird, sind klare wissenschaftliche Belege nötig und hier vor allem ein konkreter Referenzort für das neue Zeitalter. Seit 2009 sucht die sogenannte „Anthropocene Working Group“ (AWG) nach genau diesen Spuren. Mit dem Crawford Lake im kanadischen Bundesstaat Ontario haben die Wissenschaftler nun in der Idylle Kanadas einen geeigneten Referenzort gefunden.
„Der See ist mit 24 Metern sehr tief für seine Größe“, erklärte die Geowissenschaftlerin Francine McCarthy von der Brocks University in Ontario. Sein entsprechend ruhiges Tiefenwasser ermögliche eine ungestörte Sedimentablagerung.
Die jährlichen Schichten des Sediments seien besonders gut unterscheidbar und bildeten so ein stabiles geologisches Archiv. „Das Muster, das wir sehen, ist ziemlich deutlich, wie Fingerabdrücke“, sagt McCarthy. Ihr falle „nur eine andere Spezies ein, die den Planeten stärker beeinflusst hat, als der Mensch“, sagt McCarthy – und meint damit die Cyanobakterien, die vor zwei Milliarden Jahre das Leben auf der Erde für immer veränderten.
Offiziell ausgerufen ist das Anthropozän noch nicht
Die Wirkung des Menschen auf die Erde lässt sich an vielen Veränderungen ablesen wie der Mikroplastik-Verschmutzung oder Verunreinigungen der Umwelt durch sogenannte ewige Chemikalien. Der niederländische Chemienobelpreisträger Paul Crutzen, der die Theorie eines Anthropozän im Jahr 2002 vorgestellt hatte, hatte vorgeschlagen, das neue Erdzeitalter an den Treibhausgas-Emissionen der Menschheit seit Erfindung der Dampfmaschine festzumachen. Die Anthropozän-Forschungsgruppe entschied sich aber für einen anderen Marker.
Tatsächlich ließen sich Spuren der Verbrennung fossiler Brennstoffe zwar im Boden nachweisen, erklärte Colin Waters von der britischen University of Leicester. Dies sei aber nur lokal vor allem in Europa der Fall. „In Australien würde man nichts finden“, betonte Waters.
Damit würde das Kriterium einer globalen Nachweisbarkeit des neuen Zeitalters verfehlt. Die Forscher entschieden sich daher für Plutonium-Isotope aus oberirdischen Atomwaffentests, die ab 1945 stattfanden, als zuverlässigstem Marker. Im Crawford Lake ist das Plutonium ab Ende der 1940er-Jahre zu finden, mit einem schnellen Anstieg ab 1950. Die AWG-Gruppe schlägt die Zeit um 1950 als Beginn des Anthropozäns vor, weil die weitreichenden Veränderungen dieser Zeit rund um den Globus Spuren in allen Sedimenten hinterlassen haben. Die Entscheidung für den Crawford Lake muss nun laut Max-Planck-Gesellschaft noch weitere Abstimmungen unter Experten durchlaufen.
Der Mensch hat die Erde verändert – Experten wollen Beginn neues Zeitalters Anthropozän nachweisen
Keine Experten braucht es, um festzustellen, wie sehr der Mensch die Erde verändert hat. Ein untrügliches Zeichen für das neue Zeitalter ist die rapide Zunahme des Ausstoßes von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen, die die Erdatmosphäre aufheizen. Alles änderte sich, „als die Menschen die Technologie entwickelten, um gespeicherte Sonnenenergie in Form von Öl, Kohle und Gas aus dem Boden zu holen“, sagt der britische Geologe Jan Zalasiewicz, der die Arbeitsgruppe zum Anthropozän von 2009 bis 2020 leitete.
Die Menschheit verbrauchte seit 1950 mehr Energie als in den vorangegangenen 11.700 Jahren des Holozäns. Diese Energie war Grundlage für ein exponentielles Bevölkerungswachstum und sie ermöglichte der Menschheit, die Welt in einer Weise zu beherrschen, wie es zuvor nicht möglich war.
Neues Erdzeitalter: Der Mensch zerstörte das Gleichgewicht der Arten auf der ganzen Welt
Menschen machen einer wissenschaftlichen Schätzung zufolge heute 34 Prozent der Biomasse aller Landsäugetiere aus, ihre Nutztiere 62 Prozent. Der Anteil der Wildtiere an der Gesamtmasse ist auf vier Prozent geschrumpft. Allein die Hühner aus der Massentierhaltung machten zwei Drittel der Masse aller Vögel aus, sagt Zalasiewicz. Der Mensch zerstörte das Gleichgewicht der Arten auf der ganzen Welt, zum Beispiel auch, indem er invasive Arten wie Ratten selbst auf den entlegensten Pazifikinseln einschleppte.
Technik-Schrott Forscher schätzen, dass die Masse aller von Menschen hergestellten Gegenstände bereits die Masse aller Lebewesen auf der Erde übersteigt. Die Anthropozän-Forscher nennen die Überbleibsel der menschengemachten Technik Technofossilien. Dazu zählen zum Beispiel die Milliarden immer schneller veraltender Handys.
Mikroplastik und ewige Chemikalien
Die Produkte der Menschheit hinterlassen weltweit und überall Spuren. So wurde Mikroplastik - winzige Kunststoffteilchen - bereits auf den höchsten Gipfeln und in den tiefsten Meeren nachgewiesen. Auch die sogenannten ewigen Chemikalien, Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS), wie sie zum Beispiel für die Beschichtung von Pfannen oder wetterfester Kleidung verwendet werden, verbreiten sich über das Wasser und reichern sich in der Natur an.
Diese und viele weitere Hinterlassenschaften werden den Forschern zufolge noch in hunderttausenden Jahren Auskunft über das Zeitalter der Menschen geben.
Spuren der Menschheit überall auf der Erde gut nachweisbar
Die Wissenschaft rätselt, ob es überhaupt noch einen Ort auf der Welt gibt, der frei von menschlichen Spuren ist. Selbst im Pine-Island-Gletscher in der Antarktis fand sich Plutonium, das bei Atomtests in tausenden Kilometern Entfernung freigesetzt wurde. Für die Wahl des Crawford Lake zum Referenzort des Anthropozäns waren letztlich die Plutonium-Isotope aus oberirdischen Atomwaffentests ausschlaggebend. Schließlich sind diese Spuren der Menschheit überall auf der Erde gut nachweisbar.
Bei entsprechender Zustimmung könnte die Fachgesellschaft International Union of Geological Sciences den Lake Crawford im August 2024 für das Anthropozän als geologischen Referenzpunkt, in der Fachsprache Global Stratotype Section and Point (GSSP) genannt, ratifizieren.
Sollte der Lake Crawford bestätigt werden, würde der See in Kanada wie die Referenzorte früherer Erdzeitalter mit einer goldfarbenen Plakette, dem sogenannten Golden Spike, gekennzeichnet werden. Die Entscheidung der 2009 eingesetzten Anthropozän-Forschungsgruppe für den Crawford Lake war nach jahrelanger Prüfung gefallen. Insgesamt zwölf Orte auf der Erde waren in die Auswahl gekommen, darunter Korallenriffe und Eiskerne. (mit dpa/afp)