Neue Entwicklungen in einem der bekanntesten Cold Cases Europas. Der Bruder des „Vatikan-Mädchens“ musste zur Staatsanwaltschaft.
Vermisste Emanuela OrlandiBruder von „Vatikan-Mädchen“ sagt stundenlang aus – Papst erteilt Auftrag
In einem 40 Jahre alten mutmaßlichen Kriminalfall haben die Strafverfolgungsbehörden des Vatikans nun einen Zeugen vernommen. Acht Stunden lang habe Vatikan-Staatsanwalt Alessandro Diddi mit ihm gesprochen, sagte Pietro Orlandi, Bruder der verschwundenen Vatikan-Bürgerin Emanuela Orlandi, am Dienstagabend vor Journalisten.
Vermisste Emanuela Orlandi: Papst Franziskus erteilt Auftrag
Er habe mit Diddi über die Inhalte eigener Dokumente gesprochen und ihm die Namen von Personen - auch von Kardinälen - genannt, die in dem Fall etwas wissen könnten und vernommen werden sollten. „Ich bin auf große Bereitschaft gestoßen, die Dinge zu klären“, so Orlandi. Der Staatsanwalt habe ihm gesagt, er habe den Auftrag von Papst Franziskus, in alle Richtungen zu ermitteln und auf niemanden Rücksicht zu nehmen.
Netflix-Serie „Vatican Girl“ sorgte für öffentlichen Druck
Orlandis Anwältin Laura Sgro erklärte, Diddi habe ihren Mandanten als Zeugen befragt. Der im September ernannte Vatikan-Staatsanwalt hatte im Januar ein neues Ermittlungsverfahren im Fall Orlandi eröffnet. Zuvor war, auch unter dem Eindruck der Netflix-Serie „Vatican Girl“, der öffentliche Druck auf die italienische und die vatikanische Justiz gewachsen, die Hintergründe des mysteriösen Falls erneut zu untersuchen.
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Vermisstenfall Emanuela Orlandi: Viele Theorien in 40 Jahren
Die 16-jährige Emanuela Orlandi, Tochter eines Vatikan-Angestellten, war im Juni 1983 spurlos verschwunden. Ihr Verschwinden ist eines der größten Rätsel der italienischen Kriminalgeschichte. In den vergangenen Jahrzehnten wurden zahlreiche Theorien zu dem Fall aufgestellt, die von einer türkischen Terrororganisation über das organisierte Verbrechen in Italien bis hin zu einem Sexualverbrechen durch die Polizei des Vatikans reichten.
Die italienische Staatsanwaltschaft hat bereits mehrere Male ermittelt und das Verfahren zuletzt im Oktober 2015 ergebnislos eingestellt. Der Bruder der Verschwundenen drängt jedoch weiter auf Aufklärung.
Damit hält er die Ermittlungen am Laufen: So untersuchten italienische Ermittler auf Drängen der Angehörigen Orlandis im Juli 2019 erfolglos ein historisches Grab, in dem die sterblichen Überreste Orlandis vermutet wurden.
Emanuela Orlandi verschwunden: Italienische Staatsanwaltschaft ermittelte bereits mehrfach
Über die Jahre gab es zahllose Bücher, Dokumentationen und viele Spekulationen, was Emanuela Orlandi zugestossen sein könnte. Viel Aufsehen sorgte im Mai 2012 der römisch-katholische Priester und Exorzist Gabriele Amorth. Er beschuldigte eine Gruppe, zu der auch ein Mitglied der Gendarmerie der Vatikanstadt und ausländische Diplomaten gehörten, das Mädchen entführt und für Partys sexuell ausgebeutet zu haben. Später, so Amorth, sei sie ermordet und ihre Leiche beseitigt worden.
Ebenfalls im Mai 2012 wurde in der Basilika Sant’Apollinare in Rom das Grab des Mafiabosses Enrico De Pedis geöffnet, in dem sich angeblich die Leiche des Mädchens befand. Tatsächlich wurden Knochen gefunden. Gegen den damals für die Basilika zuständigen Priester Pietro Vergari wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der DNA-Test ergab, dass die Knochen nicht dem verschwundenen Mädchen zugeordnet werden konnten. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. (jag/kna)