Corona-KriseTaiwan oder Schweden – Welches Modell ist besser?

Durch Plastikwände getrennt: taiwanesiche Schüler in der Mittagspause
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- Unterschiedliche Länder, unterschiedliche Strategien. Während Schweden in der Corona-Krise auf Lockerheit setzt, geht Taiwan den Weg der strengen Überwachung.
- Beide Ansätze werden durchaus kritisiert. In Taiwan leidet die Privatsphäre. In Schweden schießt die Zahl der Todesfälle in die Höhe.
- Welcher Weg ist nun der vielversprechendere? Ein Vergleich.
USA gegen China, Trump gegen Xi: Der Machtkampf der Supermächte ist voll im Gang. Von einem Zusammenrücken in der Corona-Krise ist nichts zu spüren. Und mitten im Sturm: die Weltgesundheitsorganisation. In ihr ist der kleine Staat Taiwan nicht einmal Mitglied, doch trotz der Nähe der Insel zu China, gilt er als vorbildlich im Umgang mit der Pandemie. Taiwan hat Covid-19 so erfolgreich bekämpft wie kaum ein anderes Land. Kritiker finden jedoch, die Regierung sei bei der Überwachung weit übers Ziel hinausgeschossen.
Das Land Schweden hingegen wird von vielen als Vorbild hingestellt, wenn es um die Wahrung der Grundrechte trotz der Bedrohung durch das Coronavirus geht. Es gibt die Rede vom „schwedischen Modell“, auf das sich auch hierzulande viele Regierungskritiker beziehen. Ein Vergleich beider Länder:
Taiwan setzte auf Überwachung
Anders als im Rest der Welt ist das Leben durch das weltweit grassierende Coronavirus in Taiwan kaum beeinflusst. Es gibt keine Ausgangsbeschränkungen. Universitäten, Schulen, Restaurants und Geschäfte sind geöffnet, sogar die Fitnessstudios. In Taiwan, in einem Land, in dem seit Beginn der Krise im Januar intensiv getestet wird, sind nur wenige Menschen mit dem Virus infiziert worden.
Taiwan hat Covid-19 so erfolgreich bekämpft wie kaum ein anderes Land. Chinas Nachbar hat insgesamt nur 440 Infektionen und sieben Todesfälle gemeldet. Seit mehr als einem Monat gibt es keine einzige lokale Infektion mehr und seit mehr als einer Woche auch keinen neuen importierten Fall.
Welchen Anteil hat daran die Überwachung? Kritiker finden, deren Nutzen sei kaum erwiesen und die Regierung sei weit übers Ziel hinausgeschossen. Die Regierung hält natürlich dagegen; sie ist stolz auf ihre digitalen Fähigkeiten.
Eine Anfang Mai veröffentlichte Studie schildert im Detail das Contact-Tracing von Passagieren eines Kreuzfahrtschiffs im Januar. Gäste der „Diamond Princess“ besichtigten den Norden des Landes. Als sich nach Abfahrt des Schiffes herausstellte, dass einige Passagiere mit dem Virus infiziert waren, reagierten die taiwanischen Behörden rasch. Sie filterten alle ausländischen Mobiltelefonnummern aus den besuchten Gebieten im entsprechenden Zeitraum heraus, dann schauten sie per Geo-Lokalisierung, welche taiwanischen Mobiltelefone sich zeitgleich in der Nähe aufgehalten hatten. Diese mehr als 600 000 Nummern erhielten Warnnachrichten, sich notfalls in Selbstquarantäne zu begeben.
Die taiwanischen Behörden konnten laut der Studie sogar herausfinden, wie viele dieser gut 600 000 Telefonbesitzer später wegen Atemproblemen – einem verräterischen Symptom von Covid-19 – einen Arzt aufsuchten.
Die nationale Krankenversicherungskarte, die jeder Taiwaner hat, enthält zwar viele persönliche Daten, nicht aber Telefonnummern. Eine Erklärung liefert ein mit den Vorgängen vertrauter Medizin-Professor. Chen Hsiu-hsi von der National Taiwan University sagt am Telefon: „Die Behörden können die Mobilfunknummern mit dem Einwohnerregister verbinden, und auch mit der Datenbank der Grenzkontrolle.“ Diese Daten wiederum könne man mit den Versicherungsdaten verbinden.
Offenbar über diesen Umweg stellten die Behörden fest, dass die gut 600 000 Telefonbesitzer anteilig seltener Atemprobleme hatten als die taiwanische Gesamtbevölkerung. Daraus schlussfolgern die Autoren der Studie, dass auch Contact-Tracing gegen die Verbreitung von Covid-19 helfen könne.
Ist der „schwedische Weg“ in der Corona-Krise wirklich so anders?
Man beschreite keinen Sonderweg, heißt es seitens der Regierung und der Gesundheitsbehörde in Stockholm. Man mache vielmehr das, was die meisten anderen auch täten: mit geeigneten Maßnahmen die Ansteckungskurve abzuflachen, um eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Nur sei man überzeugt, dass Maßnahmen auf der Basis von Freiwilligkeit und Kooperation in der schwedischen Gesellschaft besser funktionierten als Zwang.
Mit dem Beifall polternder Trump-Anhänger pflegt man sich in Schwedens Mainstream-Medien eher nicht zu schmücken. Doch ein bisschen Stolz schwang schon mit, als das öffentliche Fernsehen vor einiger Zeit über eine Demonstration in Kalifornien berichtete, bei welcher der Corona-Lockdown in diesem amerikanischen Gliedstaat kritisiert und ein „schwedisches Modell“ gefordert wurde. Einen weniger restriktiven Ansatz also, so wie man ihn in Stockholm gewählt hatte, im Unterschied zu den meisten anderen Ländern. Die Episode spielte sich allerdings noch zu einer Zeit ab, da Schwedens Behörden hofften, den Spagat zwischen effizienter Pandemie-Bekämpfung und der Minimierung wirtschaftlicher Schäden relativ elegant zu schaffen. Diese Zuversicht hat wegen einer vergleichsweise hohen Zahl an Todesfällen - bis zum 15. Mai waren es 3646 beziehungsweise 361 pro Million Einwohner - inzwischen einige Kratzer abbekommen.

Aufkleber erinnern in Stockholm daran, auf Abstand zu bleiben.
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Forscher kritisieren die Hoffnung auf Herdenimmunität. Im Vergleich zu seinen skandinavischen Nachbarn ringt Schweden mit hohen Infektions- und Todesfallzahlen. Das Land hält dennoch weiter an seiner von vergleichsweise freizügigen Maßnahmen geprägten Corona-Strategie fest. Dagegen sträubt sich im Land eine Reihe von Wissenschaftlern, die nun Kritik an der Hoffnung auf Herdenimmunität üben, die sich in Stockholm breitgemacht hat.
„Sich auf eine künftige Herdenimmunität zu verlassen, ist sowohl unrealistisch als auch gefährlich“, monierten 22 Forscher, darunter Virologen, Infektionsärzte und Lungenmediziner, in einem am Donnerstag von der Zeitung „Dagens Nyheter“ veröffentlichten Meinungsbeitrag. Von einer solchen Immunität befinde man sich zudem noch weit entfernt. „Anstatt Menschen sterben zu lassen, sollten wir Menschen am Leben erhalten, bis wirksame Behandlungen und Impfstoffe eingesetzt werden können“, erklärten die Wissenschaftler.
Herdenimmunität bedeutet, dass ein Virusausbruch abklingt, da immer mehr Menschen dagegen immun sind, weil sie die Krankheit überwunden haben oder geimpft wurden. Offiziell geht es der Gesundheitsbehörde Folkhälsomyndigheten beim schwedischen Sonderweg nicht darum, dies zu erreichen. Der Staatsepidemiologe Anders Tegnell hält es vielmehr für eine Konsequenz der schwedischen Strategie, dass eine solche Immunität im Laufe der Zeit eintreten könnte. Mathematischen Berechnungen zufolge könnte dies in der Hauptstadt Stockholm bereits im Juni der Fall sein.
Bei der Gesundheitsbehörde stellt man in Abrede, dass die schwedische Strategie auf eine relativ rasche Durchseuchung der Gesellschaft und auf „Herdenimmunität“ ausgelegt sei. Wenn diese eher früher als später erreicht werde, sei das höchstens ein positiver Nebeneffekt, aber nicht ein eigenständiges Ziel, sagte Tegnell unlängst in einem Interview.
Kurs in Schweden umstritten
Von offiziellen Stellen wird damit das, was im Ausland als Charakteristik eines „schwedischen Modells“ wahrgenommen wird, relativiert. Das heißt allerdings nicht, dass der eingeschlagene Kurs im eigenen Land unumstritten wäre.
Mitte April meldeten sich 22 zum Teil prominente Wissenschaftler zu Wort, die der Gesundheitsbehörde vorwarfen, sich gefährlich passiv zu verhalten, weil man fatalerweise davon ausgehe, dass an einer sukzessiven Ansteckung weiter Teile der Gesellschaft kein Weg vorbeiführe. Außerdem werde die Rolle prä- und asymptomatischer Virusträger bei der Verbreitung des Erregers unterschätzt, mit gravierenden Folgen etwa im Bereich der Altenpflege. Die Regierung wurde aufgerufen, das Heft endlich resolut in die Hand zu nehmen. (red mit dpa)